GDL-Chef Claus Weselsky gibt sich vor der Tarifrunde gewohnt kämpferisch. Wir sprachen mit ihm über seine Forderungen und über drohende Streiks.
Herr Weselsky, bald starten die Tarifverhandlungen. Muss ich Angst vor tagelangen Streiks im Herbst und Winter haben?
Nein, Sie müssen sich nicht sofort auf längere Streiks einstellen. Zu einem Streik gehören ja immer zwei Parteien. Wir müssen erst mal eine Verhandlungsrunde abwarten. Und dann kommt es darauf an, ob die Arbeitgeberseite ein Angebot macht und wir das Angebot für verhandlungsfähig halten. Aber: Falls die Tarifverhandlungen schwergängig sein sollten und die Arbeitgeberseite kein ordnungsgemäßes und für uns verhandlungsfähiges Angebot macht, dann werden sowohl die Welt als auch die Pendler das erfahren.
Können Sie verstehen, wenn Pendler bei Streikwellen sauer reagieren?
Absolut. Wir entziehen den Menschen damit ja ihr Verkehrsmittel. Das kommt zwar mit Ansage und Ankündigung, aber trotzdem fällt dann ihr Transport weg, den sie sonst gegen Entgelt bekommen. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Leute Verständnis zeigen, wenn man mit ihnen redet und erklärt, warum die Kolleginnen und Kollegen streiken.
Die GDL fordert neben einer Entgelterhöhung auch eine Absenkung der Wochenarbeitszeit bei Schichtarbeitern von 38 auf 35 Stunden sowie eine Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro. Gibt es eine Forderung, die Ihnen besonders wichtig ist?
Die entscheidende Komponente ist die Senkung der Arbeitszeit. Wir haben einen Personalmangel ohne gleichen. Alle klagen, dass wir nicht genügend Leute für die Zukunft bekommen. Aber keiner hat eine Idee, wie wir unsere Berufe attraktiver machen können. Eine Absenkung der Wochenarbeitszeit bedeutet mehr Lebensqualität, mehr soziale Kontakte und mehr Zeit für die Familie. Das ist von entscheidender Bedeutung und daher das Schwergewicht in dieser Tarifrunde.
Wie optimistisch oder pessimistisch gehen Sie in die Verhandlungen?
Die Forderung zur Senkung der Wochenarbeitszeit wird von allen anderen Beteiligten als völlig falscher Weg bezeichnet und abgelehnt. Daher gehe ich davon aus, dass die Tarifrunde 2023 etwas anstrengender wird.
Erst vor wenigen Wochen hat eine Auswertung der Bahn ergeben, dass die Züge 2022 noch unpünktlicher geworden sind. Woran liegt das?
Das ist das Ergebnis von jahrelangem Missmanagement. Das Netz und die gesamte Infrastruktur wurden kaputtgespart. Investitionen, die zwingend erforderlich gewesen wären, beispielsweise in die Unterhaltung des Schienennetzes und der Bahnhöfe, wurden weggelassen, zugunsten irrsinniger Projekte im Ausland. Milliarden vom deutschen Steuerzahler wurden in solche Projekte gesteckt, ohne dass das Eisenbahnsystem hierzulande irgendwie davon profitiert.
Interview: Benjamin Stroka