„Es geht nicht um Veggie oder Würstchen“

von Redaktion

INTERVIEW Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens über Landwirtschaft ohne Umweltzerstörung

Ausgelaugte Böden, Artensterben, brennende Wälder: Die moderne Landwirtschaft richtet auf der Erde wachsende Schäden an. Gleichzeitig müssen immer mehr Menschen ernährt werden. Dabei sind eine gesunde Umwelt und Ernährungssicherheit kein Widerspruch, schreibt der Naturfilmer und Ex-Terra-X-Moderator Dirk Steffens in seinem neuen Buch „Eat it“, für das er 18 Monate um die ganze Welt gereist ist. Im Interview erklärt der Journalist aus Icking im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, was unsere Bratwurst mit der Ahrtalflut zu tun hat, weshalb der Pflug vielleicht gar keine so gute Erfindung ist und wie jeder ohne Verzicht Großes bewirken kann.

Es gibt eine berühmte Prognose der Welternährungsorganisation FAO: Die Menschheit hat noch 60 Ernten, dann ist Schluss. Droht uns wirklich das Ende der Zivilisation?

Natürlich wird die Zivilisation nicht untergehen. Sie wird nicht untergehen, weil wir Menschen lernende Systeme sind. Aber die Prognose ist grundsätzlich legitim: Wenn wir unser Verhalten nicht ändern, zerstören wir auf Dauer unsere Böden.

Was bedeutet das?

Auf der Erde wird die Erde knapp. Für jeden der acht Milliarden Menschen steht weniger Fläche als ein Fußballfeld zur Verfügung, um ihn satt zu machen – mehr nicht. Und jetzt wird diese Fläche jeden Tag kleiner: Zum einen weil die Bevölkerung weiter wächst. Zum anderen weil wir von dieser knappen Fläche jedes Jahr zwölf Millionen Hektar verlieren. Schuld ist zu einem großen Teil nicht zeitgemäße Landwirtschaft. Hier gibt es zwei Faktoren: Durch das Umpflügen liegt die Erde nackt da, Wind und Wasser haben leichtes Spiel, um den Boden abzutragen. Zum anderen laugen wir unsere Äcker oft aus: Wenn wir ständig Dünger, Gülle und Pestizide darauf kippen, schwächt das die Millionen Lebewesen, die den fruchtbaren Humus erzeugen. Bisher gleicht man das aus, indem man mehr Dünger auf die Felder bringt. Aber man muss nicht Agrarwissenschaft studiert haben, um zu wissen, dass das nicht auf Dauer funktioniert.

Aber gerade durch intensive Landwirtschaft und Kunstdünger haben wir es erst geschafft, so viel Nahrung zu produzieren. Müssen wir uns zwischen Ernährungssicherheit und Umwelt entscheiden?

Nein. Wir werden ständig vor Entweder-Oder-Entscheidungen gestellt, die es so gar nicht gibt: Es geht nicht um Veggie oder Würstchen. Es geht um pragmatische Lösungen, mit denen wir die Menschheit ernähren können, ohne dabei unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. Ohne etwas tolles wie Kunstdünger könnten wir vielleicht eine, vielleicht zwei Milliarden Menschen auf der Welt ernähren, aber bestimmt nicht acht. Aber wir müssen unsere Landwirtschaft modernisieren.

Und wie geht das?

Ein Beispiel: Heute fahren schwere, dumme Maschinen viel Chemie auf den Feldern aus. Das verdichtet den Boden. Wenn der Dünger auch noch nach dem Gießkannen-Prinzip verteilt wird, ist das sehr belastend für die Bodenlebewesen. Wir brauchen deshalb eine präzisere, digitalisierte Landwirtschaft. Also statt einer großen Maschine viele kleine, die den Acker minimalinvasiv pflegen, zum Beispiel nur mit einem Tröpfchen Herbizid direkt am Unkraut, und nicht mit einem Sprühstrahl. Dazu müssen wir ein paar neue und alte Erkenntnisse aus der Ökologie einbringen.

Was kann ich mir darunter vorstellen?

Ein umgepflügter Acker ist quasi wie ein gehäuteter Körper, er liegt nackt und schutzlos da, ist anfällig. Es gibt aber Methoden aus der regenerativen Landwirtschaft, die aufs Pflügen weitgehend verzichten und dabei ähnliche Ernteerträge erzielen – aber eben dauerhaft. Der Bodenschutz klappt auch mit Viehhaltung: Auf dem Hofgut Bösel experimentiert man mit dem sogenannten „Mob Grazing“. Dabei darf die Rinderherde immer nur für wenige Stunden auf einer kleinen Parzelle grasen, bevor sie versetzt wird. Das Gras wird durch den Fraß zu mehr Wurzelwachstum angeregt, der Boden speichert mehr Wasser, mehr CO2, ist artenreicher und sicher vor Erosion. Das ist ein natürlicher Prozess: Früher haben auf diese Art 60 Millionen Bisons die Grasebenen  der Great Plains in den USA gepflegt. Nachdem die weg waren, ist die Dust Bowl entstanden, eine wüstenähnliche Landschaft.

Und wie steht es um die Erträge?

Sie können mit Mob Grazing, so die ersten Versuche, viermal mehr Tiere auf derselben Fläche halten wie mit traditioneller Weidewirtschaft. Das heißt: Wenn ich die Kuh nicht in einen Stall sperre und mit Soja aus Brasilien oder Getreide vom Acker füttere, sondern  sie mit klugen Methoden auf der Weide halte, kann ich Viehhaltung im großen Stil betreiben und meine Böden wiederbeleben. In Nordkalifornien werden auf der Alexandre-Family-Farm 8000 Rinder auf einem renaturierten Feuchtgebiet gehalten. Und das ist nur ein Beispiel. Unterm Strich gibt es mehr Lösungen als Probleme. Verwirrend ist für mich, warum wir sie so zögerlich einsetzen.

Also sind die Bauern schuld?

Nein, ich komme selber aus einem Bauerndorf und habe Kühe gemolken, bevor ich Fahrrad fahren konnte. Auch die Bauern wollen nur das Gute und Richtige tun. Aber sie müssen auch ihre Betriebe wirtschaftlich führen. Und wir Verbraucher sagen ihnen: Wir wollen mehr Nahrung und das billig. Deshalb macht es heute betriebswirtschaftlich oft am meisten Sinn, die Kühe in einen Stall zu sperren, ihre Futterpflanzen auf dem Acker anzubauen und die Gülle wieder auszufahren – mit den vorhin beschriebenen Problemen.

Wie kann man das Dilemma lösen?

Kostenwahrheit wäre wichtig. Eine preiswerte Bratwurst im Supermarkt suggeriert uns, dass das Produkt günstig ist. Die Kosten für Umwelt und Gesellschaft sind aber nicht eingerechnet. Laut einer Studie der Boston Consulting Group erwirtschaftet die deutsche Landwirtschaft im Jahr 21 Milliarden Euro – und erzeugt dabei 90 Milliarden Euro Umweltfolgekosten, die der Steuerzahler auffangen muss. Dazu gehören Wiederaufforstung, Kompensation für Ernteausfälle und Wasserreinigung. Das hat wenig mit Marktwirtschaft zu tun. Der Staat nimmt seine Steuerungsfunktion viel zu wenig wahr: Auf Kuhmilch gibt es zum Beispiel sieben Prozent Mehrwertsteuer, auf die ökologischere Hafermilch 19 Prozent. Und diese Fehlsteuerung zwingt die Landwirte, mit der Natur schlecht umzugehen.

Nicht nur die Böden leiden. Fleisch gilt auch als Klimakiller.

Unsere konventionelle Bratwurst kommt aus der Massentierhaltung. Da wird Soja aus Brasilien verfüttert. Für die Soja-Felder wird immer noch Regenwald abgeholzt. Der wiederum steuert über seine Verdunstung – täglich 20 Milliarden Tonnen Wasserdampf – das Weltklima. Brennen wir ihn ab, kommt es verstärkt zu Extremwetterereignissen wie der Ahrtalflut. Natürlich ist die Bratwurst – die auch ich gerne esse – nicht allein an dieser Katastrophe schuld. Aber unser Billigfleisch-Konsum hat definitiv damit zu tun. 80 Prozent der weltweiten Ackerflächen werden für Viehfutter genutzt – und 20 Prozent des Viehfutters stammt aus illegaler Regenwaldrodung. Die Landwirtschaft ist der mit Abstand größte Hebel zur Rettung der Welt.

Was können wir Verbraucher tun – müssen wir alle Veganer werden?

Also ich habe nicht vor Veganer zu werden, aber man sollte sich überlegen, ob man dreimal täglich Fleisch essen muss. Omas Sonntagsbraten, mit Fleisch von hoher Qualität, ist eine gute Leitlinie. Ich rate gern zu gesundem Menschenverstand: Wenn ich mir täglich eine Flug-Mango aus den Philippinen kaufe, weiß jeder, dass das eine erhöhte Umweltbelastung ist. Und: Besser ein Siegel als kein Siegel. Bioböden sind gesünder und in der Bio-Bratwurst steckt kein Soja aus Brasilien. Der allergrößte Hebel ist aber unser Müll: Global werfen wir ein Drittel unserer Lebensmittel einfach weg, in Deutschland landen jährlich etwa elf Millionen Tonnen essbare Nahrung aus Privathaushalten im Müll. Was für eine sinnlose Verschwendung! Wenn wir allein das in den Griff bekommen, gewinnen wir genug Zeit, um uns danach mit Augenmaß um Mobilität und Energieversorgung zu kümmern. Ohne lauter Verbote, Verzicht und Miesmacherei.

Interview: Matthias Schneider

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