Gas und Öl: Sanktionen und ein Nadelöhr

von Redaktion

VON MATTHIAS SCHNEIDER

München – Der Nahe Osten steht für einen großen Teil der weltweiten Öl- und Gasexporte. Dementsprechend groß war der Schock auch an den Märkten, als die Hamas am 7. Oktober Israel überfiel. Obwohl eine größere Eskalation unter Ökonomen als unwahrscheinlich gilt, bleibt der Iran als Risikofaktor. Die Energiemärkte im Fokus.

Öl

Der Schock am Ölmarkt fiel überraschend milde aus. Die Preise für die Ölsorte Brent waren bereits Ende Juli dauerhaft über die 80-Dollar-Marke pro Fass geklettert. Grund waren die freiwilligen Förderkürzungen der Opec+-Länder, die über Monate gegen eine maue Nachfrage ankämpften. Am 7. Oktober, als die Hamas-Terroristen Israel überfielen, stieg der Ölpreis um sieben Prozent, nicht einmal über sein Jahreshoch von 94 Dollar Ende September. Aktuell sind es knapp 90 Dollar.

. Erwartung

Edoardo Campanella, Analyst bei der Unicredit-Bank in Mailand, rechnet nicht mit einer weiteren Eskalation. Selbst wenn im Norden zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah eine zweite Front entstehen sollte, dürfte der Brent-Preis für den Rest des Jahres unter 100 Dollar das Fass bleiben, so der Analyst in einem aktuellen Papier. Denn Israel fördert selbst kein Öl. Auch Thu Lan Nguyen, Chef-Rohstoff-Analystin bei der Commerzbank, erwartet grundsätzlich keine großen Preissprünge: „Unsere Jahresendprognose für dieses und nächstes Jahr bei Brentöl liegt bei 90 Dollar je Barrel“, so Nguyen gegenüber unserer Zeitung.

. Risiken

Die große Unbekannte ist der schiitische Iran, der als Unterstützer der Hamas gilt. Unicredit-Analyst Edoardo Campanella gibt zu bedenken, dass das Teheraner Regime täglich 700 000 Barrel Öl ausführt – trotz bestehender Sanktionen. Diese könnten verschärft werden, um Druck aufzubauen. In diesem Falle sei es zwar gut möglich, dass etwa das sunnitische Saudi-Arabien, Erzfeind des Irans, stattdessen mehr Öl fördert, was den Barrelpreis unter 100 Dollar halten könnte. Aber, so Campanella weiter: Im Falle von Sanktionen wird es wahrscheinlicher, dass der Iran versucht, auch über Stellvertreter, saudische Ölförderstätten zu attackieren, wie es 2019 geschehen ist. „Alternativ könnte der Iran die Straße von Hormus destabilisieren.“ Über dieses Nadelöhr, das den Persischen Golf mit dem Arabischen Meer verbindet, wird ein großer Teil der weltweiten Ölförderung transportiert. Sollte es also zu einem regionalen Konflikt kommen, seien auch 150 Dollar und mehr pro Barrel möglich.

Gas

Der Gasmarkt reagierte weit empfindlicher. Kostete eine Megawattstunde am europäischen TTF-Markt am 5. Oktober noch gut 36 Euro, waren es eine Woche später fast 54. Dabei sind die Lieferungen nach Europa kaum beeinträchtigt: „Israel hat zwar seine Förderung im Mittelmeer gedrosselt, das fällt aber nicht wirklich ins Gewicht“, erklärt Commerzbank-Analystin Nguyen. „Israel beliefert vor allem Ägypten und Ägypten lieferte im vergangenen Jahr rund fünf Prozent des europäischen Flüssiggasbedarfs.“

. Erwartung

Weil Flüssiggas – kurz LNG – global gehandelt wird, komme es jetzt stark auf Fernost an, so Nguyen: „Wenn Lieferungen aus Ägypten wegfallen, aber die Nachfrage in Asien schwach bleibt, ist das kein Problem.“ Doch im Gegensatz zum Öl gebe es wenig Spiel: „Der LNG-Markt ist sehr eng. Die Sorge am Markt ist, dass der Konflikt sich im Nahen Osten ausweitet, ähnlich wie wir es während der Ölkrise vor 50 Jahren gesehen haben.“ Denn im Persischen Golf wird nicht nur Öl umgeschlagen: „Katar war bis 2022 der weltgrößte Flüssiggasexporteur“, so Nguyen. Im Falle eines größeren Konflikts sind laut Unicredit auch 100 Euro pro Megawattstunde und mehr möglich. Bisher erwartet die Commerzbank jedoch für den Rest des Jahres einen Gaspreis von 50 Euro, die Unicredit Schwankungen zwischen 35 und 50 Euro.

. Risiken

Im Gegensatz zum kurzfristigen Markt sind Gas-Termingeschäfte für das Jahr 2024 mit aktuell rund 52 Euro kaum teurer, als noch im Sommer, wie Daten der Terminbörse Intercontinental Exchange zeigen. Thu Lan Nguyen erklärt: „Momentan liegt der europäische Gaskonsum deutlich unter dem Niveau von 2021, außerdem sind die Speicher außergewöhnlich gut gefüllt.“ Kurzfristig sehe es nach einer sehr komfortablen Situation aus, was die niedrigeren Preise erklärt. „Kommendes Jahr wird sich das wahrscheinlich ändern, weil sich die Industrienachfrage in Europa erholen dürfte“, so die Analystin. „Gleichzeitig ist das LNG-Angebot begrenzt, erst ab 2025/26 sollen deutlich mehr Exportkapazitäten verfügbar sein.“ Das bedeutet: Erdgas könnte kommendes Jahr teurer sein als 2023. Die Commerzbank erwartet für 2024 einen Durchschnittspreis von 60 Euro.

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