Bayern muss Erneuerbare schneller ausbauen

von Redaktion

VON CARSTEN HOEFER

München – Die Zeit für das von der Staatsregierung ausgegebene Ziel eines klimaneutralen Bayerns 2040 wird nach Einschätzung der Energiewirtschaft knapp. Um es zu erreichen, müsste sich die Ökostromproduktion in Bayern bis 2040 „mindestens verdreifachen, wenn nicht verfünffachen und vor allem verstetigen“, sagt Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW). Darüber hinaus gibt es in der Energiebranche große Zweifel an der Wasserstoff-Vision von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler).

„Die vor uns liegenden Aufgaben sind epochal“, sagt Fischer. „Die Tendenz zur Verharmlosung ist groß, bringt uns aber nicht weiter.“ Den Ausbaubedarf geschätzt hat im Auftrag des VBEW die Münchner Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft (FfE). Bis zum Zieljahr 2040 müssten demnach Woche für Woche in Bayern folgende Kapazitäten in Betrieb genommen werden: Freiflächen-Solaranlagen mit einer Gesamtfläche von mindestens 50 Fußballfeldern, 2 800 Dach-Solaranlagen mit einer Leistung von je 10 Kilowatt und pro Woche zwei neue Windräder mit einer Leistung von jeweils 5,5 Megawatt. Nachzulesen ist das in dem im Frühjahr veröffentlichten „Bayernplan Energie 2040“. Tatsächlich neu in Betrieb gegangen sind in Bayern laut Daten der Fachagentur Windenergie an Land vom 1. Januar bis 9. Oktober aber nur sechs neue Windräder, also weniger als eines pro Monat. Der Freistaat hinkt den Zielen also weit hinterher.

Statt zu steigen, ist die Stromproduktion in Bayern aber wegen der Abschaltung der Atomkraftwerke gesunken. 2024 werden nach Worten des VBEW-Chefs überschlägig geschätzt 65 Terawattstunden Strom erzeugt werden. Der Bedarf könnte bis 2040 „auf über 200 Terawattstunden pro Jahr ansteigen, wenn sich die Industrie über Strom dekarbonisiert und wir mit Strom heizen und Auto fahren“, sagt Fischer. Auch bei stark steigendem Ausbau der Ökostromerzeugung wird der Freistaat laut „Bayernplan“ bis zu einem Drittel des benötigten Stroms importieren müssen.

Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger sieht dabei Wasserstoff als wichtigen Baustein. „Von der Erzeugung, Speicherung übers Heizen und Industrieanwendungen bis hin zur Mobilität – Wasserstoff ist die Lösung in der Energiewende“, sagte Aiwanger kürzlich. Um „grünen“ Wasserstoff in großem Stil herstellen zu können, wären aber auch entsprechende Produktionskapazitäten an Ökostrom aus Wind-, Wasser-, oder Sonnenenergie notwendig. Diese sind in Bayern, gemessen am Bedarf, aber sehr knapp. Insofern gehen quasi alle Fachleute davon aus, dass der Freistaat künftig stark auf Wasserstoff-Importe angewiesen wäre.

Bundesweit ist das Wasserstoff-„Kernnetz“ in Planung, in Bayern eine erste Pipeline namens „Hypipe Bavaria“ von Ingolstadt ins oberbayerische Chemiedreieck, gedacht vor allem für die Versorgung der Industrie. „Die Realisierung eines bayerischen H2-Netzes mit Anbindung der Industrieregionen Ingolstadt und Burghausen ist zwischen 2027 und 2032 geplant“, sagt ein Sprecher des Gas-Netzbetreibers Bayernets.

Technisch wäre die Umrüstung des Erdgasnetzes auf Wasserstoff durchaus möglich. „Die in Deutschland verbauten Rohrleitungswerkstoffe für die Erdgasnetze sind bis auf wenige Ausnahmen grundsätzlich alle für den Betrieb mit 100 Prozent Wasserstoff geeignet“, sagt Fischer. In Bayern sind laut VBEW etwa 50 000 Kilometer Erdgasleitungen verlegt. Also Bahn – beziehungsweise Gasleitung – frei für Wasserstoff als neuen Heizbrennstoff? „Das lässt sich leider nicht pauschal mit Ja oder Nein beantworten, und schon gar nicht seriös zum derzeitigen Zeitpunkt“, sagt Fischer. „Die Leitungsinfrastruktur für Gas liegt schon im Boden“, betont hingegen Aiwanger. „Dort, wo es Sinn macht, sollte künftig Wasserstoff als Erdgasersatz auch in die Privathaushalte fließen. Der Markt wird dann zeigen, was sich auf Dauer durchsetzt.“

Derzeit sieht es aber nicht danach aus, als ob der Markt sich in diese Richtung entwickelt. Nach Schätzung der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) könnten die Produktionskosten heimischen Wasserstoffs fast doppelt so hoch sein wie angenommen: zwischen fünf und acht Euro pro Kilogramm anstelle der bisher erhofften drei Euro. Ein Grund ist der Kostenanstieg bei Bau und Finanzierung neuer Windräder. „Als Ergebnis wird Wasserstoff in Gebäuden sehr viel teurer als andere Optionen wie Wärmepumpen und Fernwärme sein“, so die Unternehmensberatung.

Auch nach Einschätzung der Stadtwerke München (SWM) wird grüner Wasserstoff für die Privatheizung „eher unattraktiv“ bleiben. „Denn ein Fernwärmeanschluss beziehungsweise eine Wärmepumpe werden nahezu immer deutlich günstiger sein“, erklärt ein Sprecher des Unternehmens. Die Stadtwerke in der Landeshauptstadt gehen deswegen davon aus, dass sich nur wenige Hauseigentümer für eine Wasserstoffheizung entscheiden würden. „Vor diesem Hintergrund ist der Umbau des Gas-Versorgungsnetzes in München zu einem Wasserstoffnetz für Privatkundinnen und -kunden Stand heute nicht sinnvoll.“

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