„Können uns Kürzungspolitik nicht leisten“

von Redaktion

INTERVIEW mit dem Wirtschaftsweisen Prof. Achim Truger – Investitionen helfen Konjunktur

München – Der Wirtschaftsweise Achim Truger hat angesichts der flauen Konjunktur davor gewarnt, staatliche Ausgaben zusammenzustreichen. Die öffentlichen Haushalte dürften jetzt nicht in eine Kürzungspolitik verfallen, „bei der Konjunktur und Investitionen auf der Strecke bleiben“, erklärte Truger am Rande der Vorstellung des Jahresgutachtens des Sachverständigenrats Wirtschaft unserer Zeitung. „Das können wir uns nicht leisten“, sagte der Volkswirt. Skeptisch zeigt sich der Ökonom auch, was eine dauerhafte Absenkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie angeht. Für diese milliardenschwere Subvention gebe es nur schwache Argumente.

Herr Prof. Truger, der Sachverständigenrat erwartet für 2024 ein Wachstum von kärglichen 0,7 Prozent. Das ist sogar noch weniger als der IWF gerade prophezeit hat. Wie ernst ist die Lage?

Was die IWF-Prognose von 0,9 Prozent für 2024 angeht, da würde ich aus den 0,2 Prozentpunkten Unterschied zu uns jetzt ehrlich gesagt keine Riesengeschichte machen. Aber es stimmt schon: Eine kräftige Konjunkturerholung sieht anders aus. Wir liegen für das Jahr 2024 auch spürbar unter der Wachstumsprognose der Bundesregierung von 1,3 Prozent. Wir sehen zwar auch eine Erholung, die über steigende Realeinkommen und einen anspringenden privaten Konsum läuft. Aber wir sehen vor allem den privaten Konsum deutlich schwächer.

Was muss passieren, damit die deutsche Wirtschaft endlich wieder richtig Fahrt aufnimmt?

Die öffentlichen Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Kinderbetreuung, Forschung und Entwicklung sowie Wohnungsbau müssen weiter steigen. Dann müssen die privaten Investitionen gefördert werden. Da passiert schon viel, aber da müsste beim Wachstumschancengesetz noch einmal richtig draufgesattelt werden. Ich persönlich meine auch, dass es einen Brückenstrompreis braucht, der der Industrie für die nächsten Jahre Planungssicherheit verschafft, bis der Ausbau der Erneuerbaren Energie für günstigere Strompreise sorgt. Und ganz wichtig: Die öffentlichen Haushalte dürfen jetzt nicht in Kürzungspolitik verfallen, das heißt, die Kreditspielräume im Rahmen der Schuldenbremse müssen ausgenutzt werden. Kürzungspolitik, bei der Konjunktur und Investitionen auf der Strecke bleiben, können wir uns nicht leisten.

In Deutschland ist die Gefahr zu verarmen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, warnen Sie im aktuellen Gutachten. Angesichts dessen fordern Sie eine Reform der Grundsicherung. Was schlagen Sie konkret vor?

Es ist schon beunruhigend, dass das Armutsrisiko trotz guter Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung in den 2010er Jahren immer weiter gestiegen ist. Wir haben analysiert, wie man durch eine Zusammenlegung unterschiedlicher Transfers wie Bürgergeld, Wohngeld sowie Kinderzuschläge einmal die Transparenz erhöhen kann. Und wie man höhere Erwerbsanreize dadurch erzeugt, dass die Menschen mehr von jedem verdienten Einkommen behalten dürften. Die Ergebnisse sind ermutigend: Es ist möglich, die Erwerbstätigkeit spürbar zu steigern und dadurch das Armutsrisiko zu senken, ohne dass es den Staat insgesamt mehr kostet. Natürlich muss aber auch die Kinderbetreuung ausgebaut werden, damit die Menschen wirklich die Möglichkeit haben, zu arbeiten.

Außerdem plädieren Sie gemeinsam mit Ihren Kollegen für eine zügige Reform der Rentenversicherung. Dabei bringen Sie auch eine Inflationsanpassung von Bestandsrenten ins Spiel. Wollen Sie den Rentnern jetzt an den Geldbeutel?

Angesichts der demografischen Entwicklung muss man sich schon damit beschäftigen, wie die Rente in Zukunft gesichert werden kann, ohne dass Arbeitnehmer und Wirtschaft über steigende Beiträge zu stark belastet werden. Mir gehen die Vorschläge der Ratsmehrheit allerdings deutlich zu weit, denn sie würden zu sehr massiven Rentenkürzungen führen. Deshalb habe ich ein ausführliches Minderheitsvotum verfasst. Ich denke, dass die gesetzliche Rente gestärkt werden muss. Das wird über die Jahre zu einem gewissen Anstieg der Beitragssätze führen, der aber verkraftbar ist, wenn gleichzeitig die Erwerbstätigkeit und die Wirtschaftsdynamik insgesamt gestärkt werden.

Aber können Rentner sicher sein, in den nächsten Jahren nicht schlechter gestellt zu werden?

Das ist letztlich immer eine politische Entscheidung, die die Interessen von Rentnern und Beitrags- und Steuerzahlern austariert. Die Bundesregierung strebt aber aus meiner Sicht zu Recht an, das Rentenniveau perspektivisch nicht weiter abzusenken. Andernfalls wird die gesetzliche Rente immer weiter ausgehöhlt.

Zum Jahresende läuft der reduzierte Steuersatz für Speisen von sieben Prozent aus. Doch die Hotel- und Gastrobranche läuft dagegen Sturm und drängt vehement auf eine Entfristung.

Es ist legitim, dass die Gastrobranche sich für ihre Interessen einsetzt. Aber ehrlich gesagt finde ich die Argumente schwach. Die Branche wurde in der Corona-Pandemie massiv unterstützt und hat sich insgesamt gut erholt. Ich sehe nicht, warum man mehrere Milliarden Euro jährlich an steuerlicher Subventionierung aufwenden sollte.

Interview: Thomas Schmidtutz

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