Dritte Stromtrasse für Bayern möglich

von Redaktion

VON MATTHIAS SCHNEIDER

München – Die Beziehung der Staatsregierung zu Strom-trassen ist zwiespältig: Obwohl schon 2011 klar war, dass die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, wehrte man sich noch 2014 heftig gegen den Bau von Hochspannungsleitungen, die Bayern mit norddeutschem Windstrom versorgen sollten. „Mit riesigem Aufwand werden hier Trassen vorbereitet, die überhaupt nicht erforderlich sind“, sagte 2016 noch der heutige Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Die Konsequenz: Statt 2022 werden die Leitungen wohl frühestens 2027 fertig, Windräder werden oft abgeriegelt, statt bezahlbaren Strom in den Freistaat zu schicken.

Nun hat der Wind sich gedreht, die zwei geplanten Trassen Suedlink und Sued-ostlink sind Aiwanger zu wenig: Die Bundesnetzagentur „ignoriert weiterhin bayerische Bedürfnisse“. In München fordert man nun eine dritte Stromtrasse zwischen Nordsee und Bayern.

Der zuständige Übertragungsnetzbetreiber Tennet hatte parallel ähnliche Überlegungen – und will die dritte Leitung tatsächlich bauen: „Die Bundesnetzagentur möchte eine Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) nach Baden-Württemberg von zwei auf vier Gigawatt aufstocken“, erklärt Mario Meinecke, Fachmann für Netzentwicklungspläne bei Tennet, gegenüber unserer Zeitung. „Wir werden der Bundesnetzagentur stattdessen am Montag vorschlagen, diese Leitung zu teilen und eines der beiden Zwei-Gigawatt-Systeme im bayerischen Trennfeld enden zu lassen“, so Meinecke.

„Damit würde Bayern perspektivisch deutlich mehr Windstrom aus dem Norden zur Verfügung stehen.“ In Zahlen wären das statt ursprünglich vier Gigawatt sechs Gigawatt Übertragungsleistung. Zum Vergleich: Das AKW Isar 2 hatte eine Leistung von 1,4 Gigawatt. Der Anschluss an die Nordsee gilt als entscheidend, weil hier nicht nur zahlreiche Offshore-Windparks entstehen, sondern auch die gewaltigen norwegischen Wasserspeicher angebunden sind. Besonders Bayern ist für ein klimaneutrales Stromnetz auf Offshore-Windräder angewiesen. Denn die haben pro Megawatt Leistung schnell dreimal mehr Volllaststunden im Jahr, als die im Freistaat vorherrschende Solarkraft. Das ist vor allem nachts und im Winter entscheidend, um teure Ausgleichsenergie zu sparen.

Für Meinecke ergibt die Verlegung aus mehrerer Hinsicht Sinn: Zum einen könnte man dort mehr Netzengpässe heilen, „die Strecke wäre zudem deutlich kürzer und damit – bei einer Ausführung als Erdkabel – gut 1,5 Milliarden Euro günstiger.“ Grundsätzlich nehme man den Nachbarn aber nichts weg: Durch den eh schon geplanten Ausbau des Drehstromnetzes würden auch der Großraum Frankfurt und Baden-Württemberg von Trennfeld mitversorgt, Strom fließt dahin, wo er gebraucht wird.

Doch braucht es eine dritte Stromtrasse tatsächlich? Die Staatsregierung kritisiert, dass unrealistisch hohe Importe aus Österreich angenommen worden. Meinecke erklärt: Wir orientieren uns beim Netzausbau für die Nachbarstaaten an einem Szenario aus dem europäischen Zehnjahres-Netzentwicklungsplan, den der Verband der Übertragungsnetzbetreiber errechnet. Die Herausforderung ist groß, weil man aktuell schon das Stromnetz für 2037, beziehungsweise 2045 planen muss. „Bei einem solchen Szenario, das für den Netzentwicklungsplan 1:1 übernommen wird, kann es in Einzelfällen zu Zahlen kommen, die als unrealistisch eingeschätzt werden – wie zum Beispiel zum Zubau Erneuerbarer Energien in Österreich“.

Die Tennet wird der Netzagentur am Montag den neuen Vorschlag unterbreiten. „Die Bundesnetzagentur wird voraussichtlich im ersten Quartal 2024 über den Netzentwicklungsplan entscheiden.“

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