„US-Systeme sind häufig schon fertig“

von Redaktion

INTERVIEW: Bundeswehrforscher: Weshalb die deutsche Luftwaffe amerikanische Flieger kauft

Das Bundeswehr-Sondervermögen kommt nicht bei der deutschen Rüstungsindustrie an – zumindest nicht bei den Flugzeugbauern, beklagt die Branche. So sollen etwa die altgedienten Tornados der Bundeswehr durch F35-Flieger des US-Herstellers Lockheed Martin ersetzt werden. Doch nach welchen Kriterien kauft die Truppe überhaupt ein – und welche strategische Bedeutung hat die deutsche Rüstungsindustrie? Ein Gespräch mit Michael Eßig, der an der Bundeswehr-Uni München zur Beschaffung bei der Truppe forscht.

Herr Eßig, nach welchen Kriterien wird bei der Bundeswehr eingekauft?

Lange Zeit war die Frage, ob überhaupt etwas beschafft wird. Die Bundeswehr war viele Jahre unterfinanziert, es wurde also tendenziell nicht oder zu wenig eingekauft. Das ist jetzt anders: Im Zuge des Ukraine-Krieges hat die Bundesregierung beschlossen, die Truppe ihren Anforderungen entsprechend auszurüsten. Das Ergebnis sind die 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen. Die Frage, welche Wehrtechnik die Bundeswehr braucht, um ihre Aufgaben zu erfüllen, beantworten im Wesentlichen die Fachleute, also die Militärs. Neben der reinen Beschaffungsfrage steht aber immer auch Sicherheits- und Industriepolitik im Raum, also die Frage: Bei wem kaufe ich das gefragte System.

Aktuell werden die alten, europäischen Tornado-Flugzeuge durch amerikanische F35 ersetzt. Wie kam diese Entscheidung zustande?

Die Bundeswehr unterliegt wie jede andere Behörde dem Vergaberecht. Es besagt im Kern, dass das wirtschaftlichste Produkt in einem fairen und transparenten Wett- bewerbsverfahren ermittelt werden soll. Eigentlich ein gutes Grundprinzip, so funktioniert ja unser ganzes Wirtschaftssystem. Wichtig dabei: Das wirtschaftlichste Gut ist nicht zwingend das billigste, sondern das mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Um im Beispiel zu bleiben: Die Bundeswehr hat definiert, welche Anforderungen sie an den Tornado-Nachfolger hat. Und offenbar hat der Hersteller Lockheed Martin diese mit der F35 am wirtschaftlichsten – und das kann ausdrücklich auch am schnellsten umfassen – erfüllen können.

Ist es denn egal, wo auf der Welt die Bundeswehr ihre Waffen kauft?

Nein, wir als Deutschland und Europa haben ja aus strategischen und Sicherheitsgründen ein Interesse an einer heimischen wehrtechnischen Industrie. Deshalb gibt es seit 2020 ein Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Darin sind vierzehn Technologien definiert, die in drei Kategorien eingeordnet sind: Zum ersten nationale Schlüsseltechnologien, zum zweiten europäische Technologien, welche mit europäischen Partnern gesichert werden, und zum dritten der Rückgriff auf global verfügbare Technologien.

Welche Technologien muss die Bundeswehr in Deutschland beschaffen?

Sicherheitsrelevante IT- und Kommunikationstechnologien, Künstliche Intelligenz, elektronische Kampfführung, Schutz, Sensorik, geschützte und gepanzerte Fahrzeuge, Marineschiffbau sowie vernetzte Operationsführung und Kryptografie. Hubschrauber und Flugzeuge dagegen gelten als europäisch oder global verfügbare Technologien.

Das heißt, deutsche Hersteller haben etwa auf Panzer ein De-facto-Monopol, Flugzeugbauer stehen aber in der internationalen Konkurrenz. Wie gut sind die deutschen Produkte?

Die technischen Details will ich nicht beurteilen, das ist die Aufgabe von Fachtechnikern und militärischen Bedarfsträgern. Bei den aktuellen Beschaffungen ist jedoch Geschwindigkeit handlungsleitend. Das Ziel ist, die Truppe möglichst schnell auszustatten. Deshalb wurde im Zusammenhang mit dem Sondervermögen vom Deutschen Bundestag auch das sogenannte Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz beschlossen. Dort ist unter anderem geregelt, bei der Beschaffung marktverfügbare Lösungen zu priorisieren, also Systeme, die schon fertig entwickelt sind und sofort gebaut werden können. Die gibt es häufig in den USA, weil die Rüstungsindustrie dort wegen des traditionell größeren Wehretats ganz anders gewachsen ist.

Das ist der Vorwurf der deutschen Industrie: Erst wurde jahrelang nichts bestellt, und jetzt, wo Geld da ist, kauft man in den USA.

Es ist tatsächlich ein Zielkonflikt. Natürlich brauchen wir langfristig eine europäische Verteidigungsindustrie, um uns autark mit Rüstungsgütern zu versorgen. Weil die Haushaltsmittel jahrelang geschrumpft sind, hat die Industrie aber natürlich weniger in die Entwicklung neuer Produkte und Fertigungskapazitäten investiert. Und es ist vollkommen logisch, dass sie ihre Kapazitäten von heute auf morgen nicht verdoppeln kann. Wenn unser politisches Ziel jetzt aber eine schnelle Ausrüstung der Bundeswehr ist, dann ist es nur konsequent, das schon entwickelte Produkt zu kaufen, auch wenn es aus den USA kommt. Wir können derzeit nicht beide Ziele gleichzeitig erreichen.

Die deutschen Hersteller warnen, dass auch die Eurofighter-Nachfolge noch nicht geklärt ist. Droht uns noch mehr Abhängigkeit von US-Waffen?

Zwischen dem Auslaufen der Eurofighter-Verträge und dem Nachfolge-System FCAS liegen laut Industrie zehn Jahre. Sollte es so sein – was ich nicht beurteilen kann – ist klar, dass die Unternehmen ihre entsprechende Produktion in Deutschland abbauen würden. Damit hätten wir zukünftig einen eingeschränkteren Kreis an Lieferanten, was natürlich auch zu weniger Wettbewerb führen würde. Ganz davon abgesehen, dass wir möglicherweise ein strategisches Interesse daran haben, uns selbst mit Rüstungsgütern versorgen zu können.

Wie können wir die strategische Industrie erhalten?

Wir werden die Ziele heimische Produktion und Geschwindigkeit aktuell nicht unter einen Hut bringen. Trotzdem kann man versuchen, die beiden Ziele parallel zu verfolgen. Wir brauchen –wie bei jedem großen Unternehmen – ein strategisches Lieferantenmanagement. Das fängt bei der Auftragsvergabe an: Rüstungskonzerne sind auf der ganzen Welt hochgradig von Aufträgen der öffentlichen Hand abhängig. Wenn die Unternehmen erhalten werden sollen, brauchen sie Planungssicherheit. Das erstreckt sich im Übrigen nicht nur auf die direkten Lieferanten der Bundeswehr, sondern auch auf die dahinterliegenden Lieferketten – derartige Lieferketten umfassen dutzende Stufen mit tausenden Unternehmen, welche häufig weltweit verteilt sind. Die Renationalisierung von Lieferketten gibt es nicht zum Nulltarif.

Bräuchte es also eigentlich noch mehr Geld für die Bundeswehr?

Ja. Studien zeigen, dass die Teuerungsrate in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie immer über der normalen Inflationsrate liegt. Hauptgrund ist die deutlich steigende Leistungsfähigkeit neuer Waffensysteme gegenüber ihren Vorgängermodellen. Und diese Leistungsfähigkeit wollen wir ja haben, damit unsere Streitkräfte im Gefecht überlegen sein können. Da sind wir aber wieder bei der Industriepolitik: Wenn wir in Europa kaufen, bleibt ja auch die Wertschöpfung in Europa.

Interview: Matthias Schneider und Andreas Höß

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