Es ist düster geworden in Deutschland. Die Zukunft ist abgesagt. Schuld ist die Schuldenbremse. Sie ist eine Zukunftsbremse. Keine Brücken mehr, keine saubere Energie, keine Schulen, kein Internet, keine Züge, keine Klimarettung, keine Wirtschaft und kein Geld für die Armen … so schallt es aus dem politischen Berlin und den Talkshows der deutschen Nation. Wo führt das nur hin?
Um das zu erfahren, habe ich mich Ende November nach Süden aufgemacht – in das kleine Land der Berge und Seen, die Schweiz. Sie ist die Mutter der Schuldenbremsen. Dort lastet die Zukunftsbremse schon seit 20 Jahren auf der Volkswirtschaft. Mit eigenen Augen wollte ich die Ruinen sehen.
Los ging es mit Verspätung. Das Personal habe es nicht rechtzeitig in den Zug geschafft. Klar, die Schuldenbremse bremst auch hier, denke ich mir. Über der Grenze fährt der nächste Anschluss pünktlich ab. Die Waggons sind sauber und neu. Auch am Zielort sind wir pünktlich. Muss ein Zufall sein. Die gibt es auch bei uns. Das Wetter ist trüb, aber der Bahnhof und das Städtchen leuchten. Die vielen Geschäfte sind gut besucht. Das Universitätsgebäude, in dem ich gemeinsam mit Bürgern dieses Landes den 20. Jahrestag der Bremse begehen darf, wirkt neu. Das Kulturzentrum nebenan scheint in modernstem Glanz. Eine Insel der Reichsten vielleicht.
Ein älterer Herr spricht als Erster. Er sei der Vater der Schweizer Schuldenbremse, sagt man mir – ehemals eidgenössischer Finanzminister und Bundespräsident. Doch die Zuhörer scheinen ihm freundlich gesinnt. Damals hätten 85 Prozent der Wähler dafür gestimmt. Für ihn? Nein, für die Schuldenbremse – per Volksabstimmung.
Regierungen hätten eine Neigung, Schulden zu machen. Es ginge immer um die Legislaturperiode, nicht die Zukunft darüber hinaus. Politiker müssten Wahlen gewinnen, würden Wahlgeschenke machen. Direkte Transferleistungen und Subventionen kämen vor Investitionen, und zwar lieber schuldenfinanziert als mit Steuererhöhungen. Man habe sich deshalb auf Bundesstaatsebene selbst binden wollen.
Ich denke an unseren Vizekanzler und Wirtschaftsminister, der sagt, die Schuldenbremse sei wenig intelligent. Sie würde ihm die Hände auf den Rücken binden, gerade wenn er in einen Boxkampf ziehen müsse. Hier dagegen spricht man davon, wie sinnvoll es sei, den Ausgabendrang zu begrenzen. Politiker hätten keine Schwierigkeiten, Prioritäten zu setzen, die „Post-Prioritäten“ seien das Problem – also zu identifizieren, was nicht ganz so dringend, vielleicht sogar unnötig oder gar schädlich sei.
Der freundliche Ex-Politiker weiß zu berichten, die Unterstützung durch das Volk sei ungebrochen. Aber ich will mich nicht einlullen lassen. Lieber werfe ich einen Blick auf die Wirtschaftsdaten. Seit dem Jahr 2000 ist die Wirtschaftsleistung um gut 50 Prozent gewachsen, also trotz Herrschaft der Schuldenbremse fast doppelt so viel wie bei uns in Deutschland. Also ist die Schuldenbremse vielleicht doch keine Wachstumsbremse. Viele arbeitswillige, begabte und teils zahlungskräftige Menschen sind dort zugewandert. Und der Klimaschutz? Auf der Strom- und CO2-Emissionenkarte Europas leuchtet das kleine Land grün, Deutschland nicht. Die Staatsverschuldung liegt bei 40 Prozent der Wirtschaftsleistung. Zinsen und Steuern sind niedrig, ebenso die Inflation. Die Staatsquote – also der Anteil der Staatsausgaben und Transferleistungen an der Wirtschaftsleistung – liegt etwas über 30 Prozent. Bei uns sind es 50 Prozent. 2011 bis 2019 waren es nur 45 Prozent. Ich fange an mich zu fragen, warum das nicht reicht, um die Zukunft zu gestalten.
Zurück am Grenzbahnhof, der Himmel klart etwas auf. Der deutsche Zug ist pünktlich. Der Waggon ist sauber und wirkt nicht alt. Hoffnung keimt auf. Die Zukunft ist noch nicht vorbei. Das mit den Postprioritäten müsste doch auch unsere Regierung hinbekommen können.
Weder Restaurant- und Hotelnutzer noch Fabrikanten von Standard-Chips für den Weltmarkt benötigen all die Subventionen auf Kosten künftiger Steuerzahler. Und dringend benötigte Arbeitskräfte müssten wir nicht unbedingt mit 63 in die Rente komplimentieren. Wenn der Staat sich weniger Geld leiht, um Güter und Dienstleistungen zu kaufen, stehen mehr für private Investitionen zur Verfügung. Wer mehr für das Recht, Treibhausgas zu emittieren, zahlen müsste, wird in klimaschonende Technologien investieren.
Und wenn unsere Regierung das nicht kann? Dann kommt irgendwann eine andere. Die Zukunft ist offen.