„Man schlägt nicht die Tür zu und geht“

von Redaktion

INTERVIEW Ein Experte erklärt, wie man die Nachfolge in einem Familienunternehmen regelt

München – Die Baby-Boomer gehen in den Ruhestand – das gilt auch für Unternehmer. Laut einer Studie des bayerischen Wirtschaftsministeriums stehen in den Jahren 2022 bis 2026 in Bayern 36 500 Firmen mit insgesamt 618 000 Mitarbeitern vor einem Generationenwechsel. Einige davon werden bei Klaus Hainer landen, der für die Privatbank Berenberg vermögende Familienunternehmen betreut und sie bei Nachfolgeregelungen unterstützt. Mit 400 Familienunternehmen aus Bayern steht die Privatbank im aktiven Austausch. Doch was sind die größten Fehler, die man bei der Übergabe machen kann?

Herr Hainer, früher wurden Familienunternehmen wie es der Name schon sagt, meist innerhalb der Familie weitergegeben. Ist das auch heute noch so?

Ja, die allermeisten unserer Kunden geben ihre Firma innerhalb der Familie oder zumindest innerhalb des Gesellschafterkreises weiter. Dort sitzen in der Regel langjährige Partner, die oft schon enge Freunden sind. Nur selten wird ein Familienunternehmen an einen externen Nachfolger vergeben, verkauft oder an die Börse gebracht.

Was ist der erste Schritt, wenn man seine Firma übergeben will?

Eine Agenda erarbeiten: Was ist das Ziel und wann und wie möchte ist das erreichen? Das kann man dann Schritt für Schritt ausgestalten. Je nach Größe der Firma macht es auch Sinn, sich externe Hilfe mit Beratern, Steuerexperten, Banken und Wirtschaftsprüfern an Bord zu holen. Die goldene Regel: Nie überstürzt und emotional agieren.

Ab wann sollte man die Kinder bei einer Firmenübergabe einbinden?

Bindet man Kinder früh ein, bereitet man sie besser vor. Das betrifft auch die gezielte Wahl der Ausbildung. Manche Kunden bringen ihre Kinder mit in Beratungsgespräche, obwohl diese noch Schüler oder Studenten sind – einfach um zu sehen, ob sie Interesse am Unternehmertum haben und wie sie sich in solchen Situationen verhalten.

Es gibt Chefs, die wollen nicht über Nachfolge sprechen, solange sie gesund sind. Das ist nicht der Königsweg, oder?

Auf keinen Fall! Je früher man über die Nachfolge nachdenkt, desto besser. Bei einer Firmenübergabe muss man viele rechtliche, steuerliche und finanzielle Aspekte regeln. Das dauert. Drei bis fünf Jahre Vorlauf sollte man mindestens ansetzen.

Kann es nicht für den Familienfrieden besser sein, eine so schwierige Entscheidung aufzuschieben?

Eher im Gegenteil. Wird wirklich innerhalb der Familie über die Nachfolge gestritten, liegt meist davor schon etwas im Argen. Außerdem ist der Streit dann nur aufgeschoben. Besser man klärt solche Dinge schnell und alle Beteiligten können sich dann auf die Situation einstellen.

Haben Sie schon erlebt, dass Familien an Nachfolgefragen zerbrechen?

Das gibt es, aber das sind nur Einzelfälle. In der Regel läuft eine Firmenübergabe sehr harmonisch ab. Damit das so ist, sollte aber jeder wissen, was auf ihn zukommt. Das geht zum Beispiel mit einer Familienverfassung.

Eine Familienverfassung? Klingt nach Ehevertrag.

Wie hält man die Familie zusammen? Wer übernimmt die Nachfolge? Wer leitet welche Teilbereiche? Wer wird ausbezahlt? Das sind alles Dinge, die man in einer Familienverfassung regeln kann. Immer mehr Familienunternehmen machen das. Ist klar geregelt, auf wen welche Aufgaben zukommen, kann man auch gut in die neue Rolle hineinwachsen.

Und wenn es dennoch Diskussionen gibt, wer den Chefsessel erbt?

Dann kann man einen externen Mediator einschalten, der innerhalb der Familie vermittelt. Das hilft ungemein. Jemand von außen kann das Thema ohne Emotionen angehen. Er fühlt sich in der Regel keiner Partei verpflichtet und sucht eine Lösung, die dem Unternehmen hilft und für alle akzeptabel ist. Das ist auch für den Familienfrieden unheimlich wichtig.

Was ist denn der größte Fehler bei der Übergabe eines Unternehmens?

Das Schlimmste ist der Patriarch, der bis ins hohe Alter Chef bleibt, bis dahin alle im Unklaren lässt und dann plötzlich die Familie vor vollendete Tatsachen stellt. Damit läuft man Gefahr, falsche Hoffnungen zu schüren und Menschen zu enttäuschen. Wenn die Übergabe dann von heute auf morgen kommt, stehen der Nachfolger oder die Nachfolgerin plötzlich vor einer emotional schwierigen und komplexen Aufgabe.

Gibt es solche Patriarchen denn heute noch?

Längst nicht mehr so viele wie vor 20 oder 30 Jahren.

Viele Patriarchen halten sich ja so lange, weil sie Angst haben, dass ohne sie nichts geht und ihre Nachfolger überfordert sind. Was, wenn sie damit richtig liegen?

Auch dann ist es besser, wenn man das nicht erst merkt, wenn es schon zu spät ist. So kann der Senior dem Nachfolger oder der Nachfolgerin als Sparringspartner zur Seite stehen und das Unternehmen ohne Druck Stück für Stück in einzelnen Schritten übergeben.

Welche Fehler gibt es noch?

Ein anderer Fehler ist eine zu hohe Erwartungshaltung. Früher bläuten Unternehmer ihren Kindern oft schon in jungen Jahren ein, dass sie dass Lebenswerk der Eltern fortführen müssen. Das baut viel zu viel Druck auf. Das erleben wir aber zum Glück ebenfalls kaum mehr.

Lehnen denn viele Kinder die Nachfolge ab?

Auch wenn es oft anders behauptet wird: Viele junge Leute haben Lust auf Verantwortung. Sie wissen es zu schätzen, wenn die Generation vor ihnen etwas aufgebaut hat, das sie weiterführen können. Aber klar: Manche lehnen auch dankend ab, weil sie kein Interesse haben. Das sind aber nicht viele.

Und wenn die Firma übergeben ist? Zieht man sich dann komplett zurück?

Als Unternehmer schlägt man nicht am letzten Arbeitstag die Tür zu und geht. Man sollte dem Nachfolger weiter mit Rat und Tat zur Seite stehen, bis er fest im Sattel sitzt. Andererseits darf man auch nicht aus dem Hintergrund weiter die Strippen ziehen. Deshalb: Verantwortung abgeben, Unterstützung anbieten.

Was, wenn ein Unternehmer stirbt oder krank wird und der Nachfolger sofort übernehmen muss?

Da kann man sich leider nur schlecht darauf vorbereiten. Wichtig ist: Jeder Unternehmer muss ein Testament und Vorsorgevollmachten haben. Die müssen das private Vermögen genauso wie betriebliche Dinge abdecken. Es muss also ein Notfallplan vorliegen, der die Handlungsfähigkeit erhält. Man hat ja auch Verantwortung für viele Mitarbeiter. Testament und Vollmachten muss man zudem alle paar Jahre wieder auf einen aktuellen Stand bringen. Die Aufgaben, die man seinen Kindern in solchen Fällen zumuten kann, wachsen ja auch von Jahr zu Jahr.

Wo findet man einen externen Nachfolger, wenn es keinen Interessenten aus der Familie gibt?

Wir versuchen da als Bindeglied zu fungieren und gegebenenfalls zu vermitteln. Bei Berenberg gibt es zum Beispiel einen Stammtisch, bei dem sich Unternehmer austauschen können. Es gibt aber auch einige Börsen für die Unternehmensnachfolge, zum Beispiel vom Bundeswirtschaftsministerium und von der IHK München.

Interview: Andreas Höß

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