Die Stromautobahn kommt

von Redaktion

VON MATTHIAS SCHNEIDER

Landshut – Nach jahrelanger Planung hat der Übertragungsnetzbetreiber Tennet im Landkreis Landshut offiziell mit dem Bau der Stromtrasse Südostlink begonnen. Ab 2027 soll Strom von Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt zur Schaltanlage Isar in Bayern transportiert werden, ab 2030 soll Strom auch aus Klein Rogahn in Mecklenburg-Vorpommern nach Süden fließen. Nicht zuletzt auf Grund von Protesten aus dem Freistaat wird der bayerische Teil der Trasse auf rund 270 Kilometern unterirdisch verlegt. Bürgerinitiativen hatten das Projekt kritisiert, ursprünglich war die Fertigstellung 2022 geplant. Doch was soll das milliardenschwere Projekt überhaupt bringen?

Das Problem

Der deutsche Strommarkt funktioniert aktuell nicht richtig. Warum, weiß Stephan Kigle, Projektleiter an der Münchner Forschungsstelle für Energiewirtschaft: „Wir haben beim Ausbau der Erneuerbaren ein großes Gefälle in Deutschland. Während im Norden viel Windkraft ausgebaut wird, werden im Süden vor allem Photovoltaik-Anlagen entwickelt.“ Eigentlich handhabbar: „PV ist vor allem im Sommer stark, Wind im Winterhalbjahr, das ergänzt sich relativ gut.“ An und vor Deutschlands Küsten sollen in den kommenden Jahren gigantische Windparks entstehen, die große Stromüberschüsse produzieren werden.

Aber: „Schon heute schaffen es die Netze nicht, den günstigen Windstrom in den Süden zu transportieren, die Anlagen werden oft abgeregelt“, so Kigle. Wegen fehlender Speicher und Netze blieben allein im ersten Quartal 2023 rund 3400 Gigawattstunden Windstrom ungenutzt, so Daten der Bundesnetzagentur, genug, um über 1,1 Millionen Haushalte ein Jahr lang zu versorgen. Die Windkraftbetreiber werden für den Ausfall entschädigt.

„Den heute abgeregelten Windstrom könnten wir in Bayern gut gebrauchen. Hier müssen stattdessen oft Wasser- und Gaskraftwerke angefordert werden, das ist relativ teuer.“ Der Markt funktioniert also theoretisch, physisch aber nicht. Die häufigen Eingriffe in das Netz sorgen für Unmut bei den Behörden: „Die EU-Regulierungsbehörde Acer prüft gerade, ob sie Deutschland wegen der vielen Eingriffe in den Strommarkt in unterschiedliche Preiszonen aufteilen soll“, erklärt Kigle.

Dabei dürfte das Nettoimportland Bayern den Kürzeren ziehen, erklärt Peter von Zumbusch. Er ist Werksleiter bei Wacker Chemie in Burghausen und damit wahrscheinlich Bayerns größter Stromkunde: „Preiszonen würden den Strom in Süddeutschland teurer machen.“

Die Lösung

Der Südostlink soll, gemeinsam mit anderen Gleichstromleitungen, die physische Lücke im Markt schließen und Stromüberschüsse mit Nachfrage zusammenbringen: „Der Südostlink verbessert die Nord-Süd-Transportkapazität und verringert damit die Wahrscheinlichkeit einer Aufteilung des deutschen Marktes in zwei oder mehr Preiszonen“, erklärt Peter von Zumbusch. Er hofft auf eine bessere Integration in den europäischen Strommarkt: „Je umfangreicher und – europaweit – flächendeckender der Ausbau Erneuerbarer Energien stattfindet, umso leichter können Dunkelflauten in einzelnen Regionen ausgeglichen werden –zumindest, wenn entsprechende Transportleitungen wie der Südostlink gebaut werden.“

Die Strompreise

„Je mehr wir die Integration der Erneuerbaren voranbringen, desto stärker wird die Entkopplung vom Gas – und damit wird der Strom perspektivisch günstiger“, erklärt Stephan Kigle, „einfach weil PV und Wind heute meist schon die günstigsten Erzeugungsformen sind.“ Peter von Zumbusch: „Wir gehen davon aus, dass infolge des begonnenen Ausbaus mittelfristig das Angebot an Erneuerbaren Energien so groß sein wird, dass sich daraus eine spürbare Entlastung des Strompreises ergibt.“ Bis dahin brauche die Industrie mangels Wettbewerbsfähigkeit einen subventionierten Brückenstrompreis, so der Wacker-Manager.

Klar sei aber auch: „Das Stromangebot wird mit wachsendem Anteil Erneuerbarer Energien volatiler, an windigen Sommertagen beispielsweise herrscht bereits heute ein deutliches Überangebot.“ Mit insgesamt 4 Gigawatt Leistung können die beiden Stränge des Südostlink mehr in der Spitze als doppelt so viel Energie liefern wie das AKW Isar II (1,4 GW). In diesen Überschussphasen – oder wenn die Sonne stark scheint – wird Strom an der Börse sehr günstig sein.

Damit entsteht ein Marktanreiz für flexiblen Verbrauch, auch wenn das in Deutschland heute kaum Thema ist: „Sofern es entsprechend attraktive wirtschaftliche Anreize gibt, also niedrige Strompreise zu Zeiten hoher Produktion an Erneuerbaren Energien, könnten wir mit einer flexibleren Produktion Schwankungen nachfahren und entsprechend stabilisierend wirken“, erklärt von Zumbusch. Auch die Haushalte werden eine Rolle spielen: „Wir haben berechnet, dass die bayerischen E-Autos in einem stark elektrifizierten Szenario 2040 gut zehn Terawattstunden im Jahr ein- und ausspeichern könnten, das entspricht unserem heutigen Importbedarf“, so Stephan Kigle.

Die Kehrseite: In den Stunden mit zu wenig Wind und Sonne wird der Strom sehr teuer sein. Denn: „In den Stunden, in denen Wind und Sonne den Bedarf nicht decken können werden wir teure Gaskraftwerke brauchen. Die sollen perspektivisch Wasserstoff verstromen, das wird wahrscheinlich noch mehr kosten“, so Kigle.

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