„Auch ich bereue manche Käufe“

von Redaktion

INTERVIEW Stiftung-Warentest-Chef Hubertus Primus über die Macht der Produktnoten

München – Sie kann der Schrecken der Industrie sein: Verteilt die Stiftung Warentest schlechte Noten, ist das schlecht für den Umsatz von Staubsaugern, Kaffeemaschinen oder Hautcremes – ganz schlecht sogar. Anders herum versuchen viele Hersteller, sich mit guten Testnoten zu schmücken – manchmal auch zu Unrecht. Einer, der das Geschehen seit 33 Jahren aus nächster Nähe verfolgt, ist Hubertus Primus, der seine Karriere als Redakteur bei der Zeitschrift „Finanztest“ startete. 2012 wurde er Vorstand der Stiftung Warentest. Zum Jahresende verlässt der Jurist mit 68 Jahren nun das Institut. Wir sprachen mit ihm über Testverfahren, Fehlkäufe, Uschi Glas und die Hautcreme seiner Frau.

Herr Primus, erinnern Sie sich an ein Produkt, beispielsweise eine Waschmaschine oder einen Staubsauger, der „gut“ oder „sehr gut“ getestet wurde, sich bei Ihnen zu Hause aber als Totalausfall erwiesen hat?

Nein, daran kann ich mich tatsächlich nicht erinnern. Dazu ist unsere Prüfmethodik auch zu ausgefeilt.

Wie testen Sie denn eigentlich genau?

Wir kaufen anonym Produkte ein. Dann testen wir die Produkte mit wissenschaftlichen Methoden in unabhängigen Prüfinstituten, darauf basieren in unseren Zeitschriften die Tabellen.

Trotzdem gibt es immer wieder Elektrofachhändler, die aus ihrer täglichen Erfahrung die Testergebnisse, etwa bei Waschmaschinen, in Zweifel ziehen.

Gerade bei den Waschmaschinen unterziehen wir die Produkte einem sehr strengen Prüfprogramm. Wir simulieren in unserem Dauertest eine Laufzeit von zwölf Jahren, wir beladen die Maschinen mit unendlich viel Wäsche, da wäre ich vorsichtig mit Urteilen aus dem Fachhandel – die testen die Produkte ja nicht.

Welchen Tipp haben Sie für jeden, der im Supermarkt oder im Fachhandel einkaufen geht?

Im Lebensmittelbereich gibt es sehr gute preiswerte Produkte, das sind oft die Eigenmarken des Handels. Die können qualitativ in vielen Fällen mit den Markenprodukten locker mithalten – sind aber deutlich günstiger. Bei teuren Konsumgütern wie Waschmaschinen ist es ratsam, sich an den bekannten Marken zu orientieren. Und wer das Geld nicht hat, ist oft mit einem gebrauchten Markenprodukt besser beraten als mit einem neuen Billigprodukt.

Was gilt beim Online-Shopping?

Nicht überall wo „Test“ draufsteht, wurde auch tatsächlich getestet. Oft sind das Seiten, die auf Produkte bei Amazon verlinken. Dafür erhalten die Betreiber der vermeintlichen „Test“-Seiten eine Provision.

Sie verlinken Produkte auf ihrer Internetseite test.de nicht?

Nein, das machen wir grundsätzlich nicht. Die Unabhängigkeit und Objektivität ist unser höchstes Gut.

Vor zehn Jahren hat die Stiftung Warentest dennoch damit angefangen, Lizenz-Gebühren von Unternehmen zu kassieren, sofern sie das Bapperl der Stiftung Warentest auf ihr Produkt kleben möchten. Untergräbt dieses Lizenz-Geschäft nicht die Unabhängigkeit?

Nein, ganz im Gegenteil. Dieses Lizenz-Modell war tatsächlich eines der ersten Dinge, die ich als Vorstand eingeführt habe.

Warum?

Bevor wir das Lizenz-Modell hatten, gab es um unser „test“-Siegel einen regelrechten Wildwuchs. Es gab unlautere Werbung, weil Firmen das Siegel den falschen Produkten zugeordnet haben – und wir konnten dagegen nichts unternehmen.

Sie hätten klagen können.

Nein, eben nicht. Klageberechtigt war beispielsweise nur der Konkurrent eines Waschmaschinen-Herstellers – aber nicht wir.

Und das ist jetzt anders?

Ja. Jetzt ist vertraglich geregelt, wer wann, wo und wie mit dem „test“-Siegel werben darf. Und für die Nutzung des Siegels müssen die Unternehmen eine Gebühr bezahlen. Das alle wird über eine gemeinnützige GmbH abgewickelt, die zum Beispiel auch den „blauen Engel“ managt. Auch Verbraucher haben etwas davon.

Was denn?

Verstößt ein Unternehmen gegen die Nutzungsregeln des Logos, können wir dagegen vorgehen. Das führt dazu, dass sich die Unternehmen eigentlich immer an die Vorgaben halten. Für Verbraucher hat das beim Einkaufen den großen Vorteil, dass sie sich darauf verlassen können, dass mit unserem Bapperl, wie Sie es genannt haben, richtig geworben wird. Das ist gerade für Leute wichtig, die nicht das Geld haben, sich ein „test“-Heft zu kaufen oder nicht in der Lage sind, den Test kostenpflichtig im Internet abzurufen.

Warum sind die Testergebnisse nicht kostenlos? Dank des Lizenz-Geschäftes dürfte es an Geld doch nicht mangeln.

Das Logo-Lizenz-Geschäft macht gerade einmal rund zehn Prozent unserer Gesamteinnahmen aus. Der Rest stammt aus dem Verkauf von Heften, Büchern, Online-Abrufen und den Erlösen aus dem Stiftungskapital. Und was mir ganz wichtig ist: Ab dem kommenden Jahr wird es erstmals keine staatlichen Zuwendungen mehr geben, dann ist die Stiftung Warentest komplett unabhängig.

Wie ist es dazu gekommen, dass die Stiftung Warentest bisher auf Staatsgeld angewiesen war?

In der Wirtschaftswunderzeit von Konrad Adenauer und Ludwig Ehrhardt setzte sich in der Politik der Gedanke durch, dass Verbraucher objektive Informationen benötigt, weil sie sich nicht allein auf die Werbung der Hersteller verlassen könnten – trotz Widerstandes etwa vom BDI, dem Bundesverband der Deutschen Industrie. Der Bundestag entschied sich für ein Warentest-Institut – organisiert als Stiftung und damit unabhängig vom Staat.

Trotzdem gab es über viele Jahre Geld vom Staat.

Die Hoffnung war von Anfang an, dass sich die Stiftung Warentest über Heft-Verkäufe selbst finanzieren könnte –was natürlich eine Illusion blieb, da das Heft bis heute komplett werbefrei ist. Trotzdem ist es uns gelungen, die staatlichen Zuwendungen immer stärker zurückzufahren, in diesem Jahr machten sie weniger als ein Prozent unserer Gesamteinnahmen aus. Im kommenden Jahr ist Schluss, worüber ich sehr froh bin.

Wie wichtig ist es für Hersteller heute, ein „gut“ oder ein „sehr gut“ für ihr Produkt zu bekommen?

Es kommt immer mal wieder vor, dass beispielsweise ein Olivenöl von uns „sehr gut“ getestet wird. Wenige Tage später ist das Öl im Supermarkt ausverkauft. Die Unternehmen wissen: Wenn sie mit unserem Logo werben, können sie sich Hoffnung auf mehr Umsatz machen.

Gab es in den über 30 Jahren bei der Stiftung Warentest Versuche, Sie zu bestechen, um eine bessere Note zu erhalten?

In den 90er-Jahren, ich war damals geschäftsführender Redakteur von „Finanztest“, hat mich tatsächlich einmal ein Fondsanbieter angerufen und gesagt: Wenn wir positiv über ihn schreiben, könnte ein Anteil am Fonds für mich herausspringen.

Wie haben Sie reagiert?

Ich habe das sofort dem Verwaltungsrat gemeldet und bin natürlich nicht darauf eingegangen. Unsere Unabhängigkeit und das Vertrauen unserer Leser ist das allerhöchste Gut, das wir haben.

Sind solche Bestechungsversuche bei der Stiftung Warentest an der Tagesordnung?

Nein, das sind zum Glück Einzelfälle.

Was Sie offenlegen, ist Ihre Testmethodik. Damit können Unternehmen das Design ihrer Produkte doch so an die Tests so anpassen, dass sie gut abschneiden, das Produkt im Alltag aber versagt?

Genau das ist ein Trugschluss. Wir freuen uns ja, wenn die Unternehmen ihre Produkte so verbessern, dass sie unsere Tests bestehen. Denn das ist ja gerade der Nachweis, dass das Produkt alltagstauglich ist. Nehmen wir zum Beispiel den Staubsauger-Test: Wir haben im Labor eigens Hausstaub entwickelt, der echtem Hausstaub praktisch gleicht. Aus Verbrauchersicht wäre es doch wünschenswert, wenn alle Staubsauger-Hersteller ihre Geräte in Zukunft so bauen, dass unser Staub im Test perfekt gefiltert wird statt, ihn in die Umgebungsluft zu blasen.

Ist die Stiftung Warentest in der Lage, die Märkte in eine andere Richtung zu lenken?

Ja – einmal hat mich die Wirkung eines unserer Tests selbst überrascht.

Bei welchem Produkt war das?

Bei den Matratzen. Vor rund zehn Jahren war die Matratzen-Branche sehr intransparent. Dann kam ein Start-up namens Bett1 auf den Markt, das für vergleichsweise wenig Geld eine wirklich hervorragende Matratze auf den Markt brachte. Zur Überraschung aller wurde die Matratze von Bett1 Testsieger.

Das hat die Branche verändert?

Bett1 ist heute eine feste Größe im Markt, und unsere guten Testergebnisse haben zu dieser Entwicklung maßgeblich beigetragen. In der Folge sind weitere junge Matratzenhersteller wie Emma auf den Markt gekommen. Heute bekommen Verbraucher für relativ wenig Geld eine gute Matratze.

Wie sieht es mit Spionage aus? Unternehmen könnten sich beispielsweise Informationen beschaffen, wo Sie einkaufen.

Das ist noch nie vorgekommen, aber einen sehr witzigen Fall habe ich einmal erlebt, der in diese Richtung geht.

Was ist passiert?

Für einen Batterie-Test ist einer unserer anonymen Testkäufer einmal in den Laden gekommen, um Batterien zu kaufen. Dann sagte der Verkäufer, der ja nicht wusste, dass der Mann von der Stiftung Warentest kommt: „Nee, die Batterien da hinten können Sie nicht bekommen, die sind reserviert, falls die Stiftung Warentest kommt.“ Man sieht an diesem Beispiel, dass vielen Unternehmen überhaupt nicht bewusst ist, wie wir arbeiten. Die denken, dass wir mit großem Logo auf der Mütze den Laden betreten. Trotzdem passieren auch uns beim Einkauf manchmal Fehler.

Zum Beispiel?

Einmal wollten wir Schnittblumen testen, nur leider hat einer der Einkäufer statt Rosen Nelken gekauft. In Erinnerung geblieben ist mir natürlich auch die Geschichte mit Uschi Glas – wobei wir hier alles richtig gemacht haben.

Die Creme von Uschi Glas hatte damals ein klares „mangelhaft“ erhalten.

Und zwar weil sieben unserer 30 Probandinnen nach dem Auftragen der Hautcreme Pickel bekommen haben. Außerdem enthielt die Creme sehr viele Konservierungsstoffe, was immer ein schlechtes Zeichen ist. Die Gerichte haben uns zwar Recht gegeben, der Kampf in den Boulevardmedien ging aber weiter. Die Boulevard-Medien im Norden Deutschlands machte sich über Uschi Glas lustig, die Boulevard-Medien im Süden nahmen Uschi Glas in Schutz. Und nachdem die ersten Fernsehauftritte folgten, war die Stiftung Warentest auf einmal mitten im Boulevard gelandet.

Welche Hautcremes können Sie heute guten Gewissens empfehlen?

Hautcremes sind eigentlich von der Zusammensetzung fast alle gleich, selbst die günstigen schneiden im Test immer wieder überraschend gut ab. Aber mir ist es trotzdem nie gelungen, meine Frau von einer günstigen Hautcreme zu überzeugen. Man sieht, wie mit Marken sehr viel Geld gemacht wird.

Muss sich Ihre Frau jetzt fürchten, dass Sie ihr im Ruhestand jeden Tag einen Vortrag über Hautcremes halten?

Nein, das gewiss nicht. Ich sehe das sehr gelassen. Und manchmal ist der Einfluss eines Vorstands der Stiftung Warentest doch begrenzter als viele vielleicht denken.

Sind Sie selbst nach über 30 Jahren bei der Stiftung Warentest ein besserer Verbraucher geworden?

Nein, das nicht. Zwar versuche ich, so oft es geht, mich an den Test-Ergebnissen meiner Kolleginnen und Kollegen zu orientieren. Spontankäufe wird es aber auch bei mir immer geben. Käufe, die man hinterher bereut, weil sich das Produkt als Schrott herausstellt. Dann denkt man sich, dass man sich vor dem Kauf doch mal besser informiert hätte.

Interview: Sebastian Hölzle

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