Ernst Rauch ist Geophysiker und Chef-Klimatologe beim weltgrößten Rückversicherer Munich Re. Im Interview erklärt er die Besonderheiten des Katastrophenjahres 2023.
Mega-Katastrophen wie Hurrikan Ian sind im Jahr 2023 ausgeblieben. Hat der Klimawandel eine Pause eingelegt?
Große Katastrophen mit einem versicherten Schaden im zweistelligen Milliardenbereich wie Hurrikan Ian im Jahr 2022 hat es vergangenes Jahr tatsächlich nicht gegeben. Der größte versicherte Schaden war das Erdbeben in der Türkei und Syrien. Bei den Hurrikans hatten wir 2023 einmal Glück und einmal Pech.
Wie meinen Sie das?
Hurrikan Idalia in Florida war ein sehr starker Sturm, er hat aber zufallsbedingt geringe Schäden verursacht, da er die großen Städte nicht direkt getroffen hat – da hatten wir Glück. Anders war es bei Hurrikan Otis, der Acapulco in Mexiko getroffen hat. Die Schäden vor Ort waren verheerend, allerdings sind die versicherten Werte in Mexiko geringer als in den USA.
Was heißt das in Bezug auf den Klimawandel?
Schwere Unwetterereignisse gab es auch 2023, und zwar rund um den Globus. 76 Milliarden Dollar Schaden entstand etwa durch heftige Gewitterereignisse mit Sturm und Hagel – das ist ein neuer Rekord. In Bayern haben wir in Bad Heilbrunn, Benediktbeuern und Bad Bayersoien ja gesehen, welche Wucht solche Ereignisse haben können. Und bei diesen schweren Unwettern beobachten wir seit Jahren einen Trend zu immer höheren Schäden.
Was ist die Konsequenz?
Wir müssen uns beim Bau und der Standortauswahl den Klima-Risiken anpassen. Im Immobilienbestand haben wir traditionell Ziegeldächer. Hier müsste man mehr mit Materialien arbeiten, die Hagel und Sturm standhalten. Bei Neubauten muss darauf geachtet werden, dass nicht dort gebaut wird, wo Überschwemmungen drohen.
Wie sieht das Klima in zehn Jahren aus?
Zehn Jahre sind aufgrund der Langlebigkeit von Treibhausgasen in der Atmosphäre ein zu kurzer Zeitraum für die Beobachtung von Klimaveränderungen. Langfristig hängt es davon ab, ob es uns als Menschheit gelingt, den Ausstoß von Treibhausgasen schnell zu reduzieren. Tun wir das nicht, wird sich die Welt im selben Tempo wie bisher erwärmen – oder sogar noch schneller. 2023 haben wir die höchsten Temperaturen seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen. Wir bewegen uns sehr schnell auf das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu. Und jeden Monat, in dem wir weiter Treibhausgase ausstoßen, wird das Erreichen dieses Zieles unwahrscheinlicher.
In der Abschlusserklärung der Klimakonferenz von Dubai Mitte Dezember ist recht unverbindlich von einem „Übergang weg von fossilen Energieträgern“ die Rede. Können Sie dem Text trotzdem etwas Positives abgewinnen?
28 Jahre Klimakonferenzen haben gezeigt, dass die proklamierten Ziele und deren praktische Umsetzung nicht immer übereinstimmen. Insoweit darf man mit Skepsis auf das Ergebnis von Dubai blicken. Wenn man der Erklärung etwas Positives abgewinnen will, dann das: Die Richtung stimmt.
Interview: Sebastian Hölzle