„Es drohen Geisterhäuser in der Innenstadt“

von Redaktion

INTERVIEW Handelsexperte Berentzen über die Galeria-Pleite und mögliche Filialschließungen

München – Nach der dritten Pleite in drei Jahren wird nun kräftig spekuliert, wie es mit der Kaufhauskette Galeria weitergeht, die zur ebenfalls insolventen Signa-Holding von René Benko gehört. Bekommt sie erneut Staatshilfen, obwohl in den vergangenen Jahren bereits hunderte Millionen Euro vom Fiskus geflossen sind? Kauft ein Investor die gesamte Kette? Oder wird sie zerschlagen, weitere Filialschließungen inklusive? Das haben wir Johannes Berentzen von der Münchner Handelsberatung BBE gefragt.

Herr Berentzen, Galeria ist pleite und jetzt beginnt das Rätselraten, wie es mit der Kaufhauskette weitergeht. Was glauben Sie?

Es sieht nicht gut aus. Mit der jetzt beantragten Regelinsolvenz wird vermutlich ein Stück deutscher Handelsgeschichte zu Ende gehen. Für einen institutionellen Anbieter ist das Paket insgesamt unattraktiv, auch Zinsniveau und aktuelles Investitionsklima sprechen dagegen. Daher droht die Zerschlagung.

Galeria soll mit Investoren sprechen. Sie glauben nicht, dass jemand die ganze Kette übernimmt?

Nein, das glaube ich nicht. Es wären enorme Investitionen erforderlich, um nur einen Teil der Standorte zukunftsfähig aufzustellen. Wer würde sich auf so etwas einlassen?

Es kursieren Namen wie Peek & Cloppenburg, die Central Group, Breuninger oder Buero.de.

Für jeden der genannten wären einzelne Standorte interessant, auch Family-Offices oder andere Filialisten könnten da mitmischen. Aber die ganze Kette? Eher nicht.

Und wenn sich jemand die Filetstücke rauspickt: Was müssen die mitbringen?

Je größer die Stadt, je größer das Einzugsgebiet, je mehr Frequenz und je höher die Kaufkraft, desto höher die Chance, dass zumindest ein Standort dort als mehrgeschossiges Warenhaus erhalten werden kann. Wenig Chancen sehe ich für die Standorte in kleinen wie mittleren Städten. Hier werden die Kaufhäuser aus dem Stadtbild verschwinden und es kommt die schwierige Aufgabe auf die Städte zu, dass eine andere Verwendung gefunden werden muss.

Das heißt, es werden erneut viele Galeria-Filialen schließen? Schon nach der letzten Pleite im Jahr 2022 wurden von 131 Häusern rund 40 zugesperrt.

Es wird wieder Schließungen geben. Dort, wo Filialen zusperren, muss ein alternatives Nutzungskonzept her. Viele Eigentümer werden sich von den bisherigen Mietvorstellungen auch ein Stück weit verabschieden müssen.

Galeria sagt, der Grund für die jetzige Pleite sei, dass man an Signa zu hohe Mieten zahle und Signa gleichzeitig im Rahmen der letzten Restrukturierung vereinbarte Zahlungen schuldig bleibe. Ist das so?

Aus meiner Sicht ist das nicht der Grund, sondern der Anlass für die Insolvenz. Signa ist aktuell noch Eigentümer von etwa 20 Galeria-Immobilien. An diesen Standorten sind die Mietbelastungen zum Teil deutlich überzogen, das stimmt. Doch das ist nur etwa ein Fünftel der Standorte. Und bei der Finanzspritze darf man nicht vergessen, dass bis lang bereits eine Milliarde Euro an Steuergeldern an Galeria geflossen sind, hinzu kommen milliardenschwere Gläubigerverzichte. Den tatsächlichen Grund für die erneute Pleite sehe ich deshalb darin, dass im Rahmen der zwei Schutzschirmverfahren viel zu wenig am Geschäftsmodell verändert wurde.

Wird der Staat wieder als Retter einspringen?

Das halte ich für ausgeschlossen. Weitere Staatshilfen wären einfach nicht vermittelbar und angesichts der angespannten Haushaltslage auch kaum vorstellbar.

Wie geht es mit den vier Münchner Häusern am Marienplatz, dem Rotkreuzplatz, dem OEZ und in Schwabing weiter?

Die Prognose ist nicht gerade rosig. Einen zweiten Warenhausstandort halte ich neben dem Oberpollinger für eine Stadt wie München denkbar, mehr aber nicht.

Das heißt umgekehrt?

Drei der vier Münchner Galeria-Standorte sind aus meiner Sicht akut von Schließung bedroht. Die besten Perspektiven hat noch die Filiale am Marienplatz. Die Neuhauser Straße und in Verlängerung die Kaufingerstraße sind die meistbesuchten Einkaufsstraßen Deutschlands und hier bilden der Oberpollinger und die Galeria-Filiale am Marienplatz wichtige Frequenzanker. Für die anderen Filialen im Olympia-Einkaufszentrum, am Rotkreuzplatz und in Schwabing schätze ich die Überlebenschancen als Warenhaus als sehr gering ein.

Galeria sagt, die Häuser sind profitabel.

Trotzdem muss man einen Investor überzeugen, dass sie auch zukunftsfähig sind. Und da setze ich ein dickes Fragezeichen. Beispiel Schwabing: Das ist ein Warenhaus alter Schule mit viel Ware auf engstem Raum. Das hat Amazon auch und das ist der Grund, weshalb Warenhäuser an sich in der Krise sind. Dieses Konzept ist überholt und für eine andere Nutzung wäre ein großer Umbau fällig. Ähnlich am Rotkreuzplatz.

Dort ist Signa der Vermieter der Immobilie.

Die Signa kann wegen der Insolvenz kein Geld in einen Umbau investieren. Sie wird das Haus auch nicht schnell unter dem Papierwert verramschen, weil der Insolvenzverwalter eine möglichst hohe Summe einnehmen muss. Hier droht Leerstand. Die OEZ-Filiale ist in einem Einkaufszentrum, hier könnte eine Nachnutzung oder ein Umbau schneller gehen.

Es wird also Geisterhäuser und Leerstand geben?

Dieses Szenario droht, zumindest für eine gewisse Zeit. Neue Warenhäuser wird es dort jedenfalls nicht geben. Einzelhandel beschränkt sich zunehmend auf die Erdgeschossflächen, das gilt nicht nur für Kleinstädte, sondern immer öfter auch für Großstädte. Geisterhäuser sollten allerdings unbedingt vermieden werden. Stehen zentral gelegene große Häuser leer, ist das für den Einzelhandel im Umfeld problematisch. Langer Leerstand macht Innenstädte unattraktiv, das ist wie eine Abwärtsspirale.

Wie lange stehen solche Klötze in der Regel leer?

Im Schnitt dauert es von der Schließung bis zur Nachnutzung vier bis fünf Jahre. Es gibt aber Beispiele, dass Warenhausimmobilien 15 Jahre und länger leer stehen, wie in Velbert oder Rheine. Im besten Fall kann innerhalb von ein bis zwei Jahren eine Nachnutzung erfolgen, wenn wenig Umbau notwendig ist und sich alle Interessengruppen schnell einig sind.

Was bedeutet das für die Innenstädte? Es könnte ja einige Filialen treffen, nicht nur in München.

Meiner Ansicht nach werden weniger als 30 Galeria-Standorte als Warenhäuser übrig bleiben, unter welcher Flagge auch immer. Für die Innenstädte, die von Schließungen betroffen sind, bedeutet das zunächst große Leerstandsobjekte in zentraler Lage. Hier müssen Städte, Eigentümer und potenzielle Nutzer schnell an einen Tisch, sonst drohen in der Tat Geisterhäuser und jahrelange Baustellen. Positiv ausgedrückt bedeutet eine Schließung für die Städte jedoch eine Chance.

Eine Chance auf was?

Neue Impulse und Nutzungsarten in zentraler Lage. Oft stehen sinnvollen Konzepten jedoch veraltete Nutzungsordnungen entgegen. Hier sind die Städte gefragt, ebenso in der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, im Baustellenmanagement oder in der Ermöglichung von Zwischennutzungen. Auch für die ansässigen Händler gibt es Handlungsbedarf. Was heißt das für die eigenen Sortimente? Wie kann fehlende Frequenz ersetzt werden? Wie gut ist die Vernetzung mit den Onlinekanälen? Das kann eine große Chance sein.

Welche Nachnutzungen sind denn denkbar?

Am erfolgreichsten haben sich Mischnutzungen erwiesen: Handel und Gastronomie im Erdgeschoss, darüber Ärzte, Co-Working oder andere Dienstleistungen, dann Kultur- und Büroflächen, oben Wohnungen. Damit das funktioniert, ist jedoch ein gutes Zusammenspiel von Städten, Eigentümern und Nutzern notwendig.

Kann die Stadt auch selbst ein Nutzer werden, etwa mit Behörden, Ämtern, Büros oder Kultur- und Veranstaltungsräumen?

Hochfrequenzdienste wie ein Bürgerbüro oder Touristeninfo ja, Verwaltungsbüros eher nein. Das sollte jedoch nicht die erste Wahl sein, um eine Innenstadt lebendig zu halten. Es geht ja nicht darum, um jeden Preis eine Fläche zu füllen, sondern darum, den Innenstadtbesuch weiterhin attraktiv zu gestalten. Und hierfür sind Einzelhandel und Gastronomie unerlässlich. In den oberen Stockwerken sehe ich außerdem Chancen für Veranstaltungsräume und Kulturangebote. In Bonn zieht in das Obergeschoss des ehemaligen Karstadt an der Poststraße beispielsweise eine städtische Konzert- und Veranstaltungslocation ein.

Was heißt das alles für die Mitarbeiter von Galeria?

Die sind natürlich leidgeprüft und müssen schon wieder um ihre Zukunft bangen. Der Einzelhandel sucht allerdings händeringend nach Fachkräften. Ihre Jobperspektiven sind also sehr gut.

Interview: Andreas Höß

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