Davos – Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, geht von sinkenden Zinsen bis zum Sommer aus. Sie halte es für „wahrscheinlich“, dass der EZB-Rat im Sommer oder sogar bereits zuvor mehrheitlich für erste negative Zinsschritte stimme, sagte die Französin am Mittwoch in einem Fernsehinterview am Rande des Weltwirtschaftsforums im schweizerischen Davos. Dennoch hänge dies von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung ab, schränkte die EZB-Präsidentin ein.
„Ich muss zurückhaltend bleiben, weil wir auch sagen, dass wir von den Daten abhängen und dass es noch ein Maß an Unsicherheit gibt“, sagte Lagarde zu Bloomberg Television. Einige wirtschaftliche Kennzahlen seien bislang „noch nicht auf dem Niveau, auf dem wir sie gerne sehen würden“, ergänzte Lagarde.
Die EZB hatte infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine und der daraus resultierenden massiven Inflation mit zehn Leitzinserhöhungen in Folge reagiert. Die Teuerung hat sich seitdem wieder deutlich abgeschwächt, die Inflation in der Eurozone lag im Dezember bei 2,9 Prozent. Die EZB strebt ein Niveau von zwei Prozent an. Lagarde sieht die Inflation nach eigenen Angaben „auf dem richtigen Weg“. Es sei aber zu früh, um den Sieg zu verkünden. Als wesentliche Risikofaktoren nannte sie erneute Schwankungen bei den Energiepreisen und mögliche Unterbrechungen der globalen Lieferketten.
Die EZB hat auch die Lohnentwicklung in der Eurozone im Blick, weil sie „ernsthafte Auswirkungen“ auf die Inflation haben könnte, wie Lagarde ausführte. „Wir werden wahrscheinlich im April oder Mai mehr wissen.“
Aktuell liegt der Leitzins der EZB bei 4,5 Prozent – noch bis Mitte 2022 lag er bei null Prozent. Die Zinserhöhung im Juli 2022 war die erste nach über sechs Jahren Pause. Das Tempo der darauffolgenden Zinserhöhungen war das höchste seit Gründung der Gemeinschaftswährung im Jahr 1999. afp/mm