München/Berlin – Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) legt erneut weite Teile des Bahnverkehrs in Deutschland lahm. Bis Montagabend soll der Ausstand dauern. Fast sechs Tage lang müssen sich Fahrgäste und auch die Wirtschaft auf weitreichende Einschränkungen im Fern-, Regional- und Güterverkehr einstellen. Dass es der letzte Arbeitskampf im aktuellen Tarifkonflikt ist, gilt als unwahrscheinlich. Zu unversöhnlich ist derzeit der Ton zwischen der Bahn und der GDL, zu weit auseinander liegen ihre Positionen.
GDL-Forderungen zur Arbeitszeit
Knackpunkt der Verhandlungen ist die Forderung der GDL nach einer Absenkung der Arbeitszeit für Beschäftigte im Schichtbetrieb. Vor allem Lokführer und Zugbegleiter sind in der GDL organisiert. Ihre Wochenarbeitszeit soll von 38 auf 35 Stunden sinken, ohne, dass sie auf Geld verzichten müssen. In einem Schreiben an die Deutsche Bahn hat die Gewerkschaft die Forderungen weiter konkretisiert. „Die Vorschläge orientieren sich an den Tarifabschlüssen, die wir in den vergangenen Wochen mit unseren Tarifpartnern erzielen konnten“, heißt es in dem Schreiben, das die GDL gestern veröffentlicht hat. Die Arbeitszeitreduzierung soll demnach stufenweise umgesetzt werden, der letzte Schritt soll zum 1. Januar 2028 erfolgen.
Die Bahn lehnte die Vorschläge der GDL als Grundlage für weitere Verhandlungen ab. Es handele sich lediglich um die „Wiederholung altbekannter Maximalforderungen“, sagte eine Sprecherin. GDL-Chef Claus Weselsky monierte, die Bahn bewege sich nur millimeterweise. Auf die Frage, wann die Gewerkschaft wieder verhandeln werde, sagte der Gewerkschafter: „Sobald die Deutsche Bahn vom hohen Ross herunter kommt.“
Schlichtung soll Lösung bringen
Schon nach der zweiten Verhandlungsrunde hatte die GDL die Gespräche mit der Bahn für gescheitert erklärt. Seit November wurde nicht mehr verhandelt. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) forderte die Gewerkschaft auf, über eine Schlichtung mit einem externen Vermittler zu einer Lösung zu kommen. Bislang lehnt die GDL eine Schlichtung ab. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann brachte für Tarifverhandlungen bei Infrastrukturunternehmen wie der Bahn eine verpflichtende Schlichtung ins Spiel, bevor Streiks zulässig wären. Dafür ist auch die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler. Sie geht aber noch weiter und fordert, das Streikrecht auf den Prüfstand zu stellen. „Zentrale Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge dürfen nicht eine Woche lang flächendeckend lahmgelegt werden“, sagte sie. Die Forderungen der Lokführer gingen weit über das hinaus, was der Standort Deutschland verkraften könne. Es dürfe nicht sein, dass eine Spartengewerkschaft eine ganze Gesellschaft für ihre Einzelinteressen in Haft nehmen könne, kritisierte Niebler, die auch Präsidentin des Wirtschaftsbeirats Bayern ist.
Unmut der Bahnkunden wächst
Unterdessen wächst die Unzufriedenheit nicht nur in der Wirtschaft und bei den Fahrgästen. Auch der Interessenverband Allianz pro Schiene, in dem die GDL Mitglied ist, der aber auch von der Bahn unterstützt wird, kritisierte das Vorgehen der Arbeitnehmerseite. „Die häufigen und zunehmend längeren Streiks auf der Schiene sind Querschüsse für die Verkehrswende“, teilte Verbandsgeschäftsführer Dirk Flege mit. „Sowohl in der Wirtschaft als auch bei den Reisenden wird Vertrauen zerstört.“ Er wünsche sich ein verbales Abrüsten. Zudem sprach sich Flege ebenfalls für Schlichtung aus. Der Streik führt auch im Güterverkehr zu erheblichen Einschränkungen. Unternehmen drohten harte Einschränkungen bis hin zu einzelnen Produktionsausfällen, Drosselungen und Stillständen in der Industrie, sagte Tanja Gönner, die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie. „Bei einem sechstägigen Streik ist eine Schadenshöhe von insgesamt bis zu einer Milliarde Euro nicht unrealistisch.“
Notfahrplan angelaufen
Für Fahrgäste im Personenverkehr hat die Deutsche Bahn erneut einen Notfahrplan erstellt. „Im gesamten Fern- und Regionalverkehr kommt es bis einschließlich Montag zu massiven Beeinträchtigungen durch den Streik der GDL“, teilte eine DB-Sprecherin in München mit. Die Bahn hat einen Notfahrplan im Fern-, Regional- und S-Bahn-Verkehr eingerichtet, der den Angaben zufolge am Morgen wie geplant angelaufen ist.
„Im Regionalverkehr ist es das Ziel, ein stark reduziertes Angebot zu fahren“, sagte die Sprecherin. „In welchem Umfang dies möglich ist, unterscheidet sich regional stark.“ Die Bahn riet Reisenden dazu, Sitzplätze zu reservieren und sich 24 Stunden vor Fahrtantritt erneut über die Verbindung zu informieren. Fahrgäste können sich über die Internetseite der Bahn oder die App „DB-Navigator“ über ihre Fahrt informieren. Zudem hat die Bahn eine Info-Rufnummer eingerichtet. Für gebuchte Fahrten während des Streikzeitraums ist die Zugbindung aufgehoben. Kunden können ihre Reisen somit auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.
Streik umfasst erstmals ganzes Wochenende
Der Ausstand auf der Schiene soll bis Montagabend um 18 Uhr andauern. Mit Einschränkungen ist auch danach noch zu rechnen. Der vierte Arbeitskampf der GDL im laufenden Tarifstreit mit dem bundeseigenen Konzern sei „der längste in der Geschichte der Deutschen Bahn“, sagte die Sprecherin. 136 Stunden soll er im Personenverkehr andauern, 144 Stunden im Güterverkehr. Der Streik umfasst erstmals auch ein komplettes Wochenende.