München – In den 80er- und 90er-Jahren war die Angst vor der „tödlichen Seuche“ Aids noch groß. Seither hat sich viel getan. Eine HIV-Infektion ist heute längst kein Todesurteil mehr. Zudem gibt es gute Möglichkeiten, sich zu schützen. Zu verdanken ist das auch der Wirkstoffkombination Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil, die für die für die sogenannte HIV-Präexpositionsprophylaxe, kurz PrEP, eingesetzt wird. Aktuell nutzen in Deutschland rund 40 000 Menschen solche Medikamente zur HIV-Vorsorge.
Doch derzeit gibt es Lieferengpässe. Verzögerungen bei der Herstellung sowie eine erhöhte Nachfrage sind den Herstellen zufolge die Gründe. Die Arbeitsgemeinschaft ambulant tätiger HIV-Mediziner fürchtet deshalb einen Anstieg von HIV-Infektionen. Dazu kommt: Bereits Infizierten, die Wirkstoffe im Rahmen ihrer Therapie einnehmen, droht ein lebenswichtiges Medikament wegzufallen.
Die Lieferengpass-Datenbank zeige „um den Jahreswechsel eine Entwicklung hin zu einer eingeschränkten Verfügbarkeit dieser Wirkstoffkombination bzw. bei den diese Wirkstoffkombination enthaltenden Fertigarzneimitteln“, bestätigt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Nachfrage unserer Zeitung. Und der Mangel hält an. „Das Gros der Lieferengpässe ist aktuell bis März bzw. April prognostiziert – ein Lieferengpass bis Ende Januar“, schreibt das BfArM weiter. Aktuell fänden deshalb „bei einzelnen Zulassungsinhabern Bemühungen statt, Warenkontingente zu vergrößern oder Warenkontingente früher als ursprünglich geplant für den Markt zur Verfügung zu stellen“. Demnach werde sich die Verfügbarkeit dieser Arzneimittel Anfang Februar leicht stabilisieren, hofft das BfArM. Darüber hinaus kläre man gerade, ob es im Ausland überschüssige Kontingente gebe. Eine erste Rückmeldung zeige, dass sich womöglich die Chance biete, Medikamente aus den USA zu importieren. Das von Karl Lauterbach (SPD) geführte Bundesgesundheitsministerium kündigt gegenüber unserer Zeitung an, Importe zu ermöglichen, und fordert die Krankenkassen auf, die Mehrkosten zu übernehmen.
Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) fordert die Bundesregierung hingegen auf, „unverzüglich“ einen Versorgungsmangel festzustellen. „Dann kann Bayern Maßnahmen ergreifen, um Arzneimittel leichter zu importieren“, sagt Gerlach unserer Zeitung. „So haben wir das beispielsweise im Mai 2023 bei den anitbiotikahaltigen Säften für Kinder gehandhabt – und auch Ende des Jahres 2023 bei den salbutamolhaltigen Arzneimitteln.“ Seit Jahren gebe es immer wieder Versorgungsengpässe. „Aktuell sind in Deutschland über 500 Produkte von einem Lieferengpass betroffen, dazu gehören zum Beispiel Antibiotika, Antidiabetika und einige Krebsarzneimittel“, sagt Gerlach. Lauterbach müsse den Mangel endlich umfassend und wirksam bekämpfen. „Es ist für mich schwer zu verstehen, dass es in Berlin trotz dieser hohen Zahlen weiterhin so ruhig bleibt“, sagt Gerlach. SEBASTIAN HORSCH