München – Der Dax ist nur wenige Punkte von seinem Rekordhoch entfernt, in den USA sind die Rekordmarken bereits geknackt: Gestern hat der deutsche Aktienmarkt nach moderaten Verlusttagen wieder etwas Boden gutgemacht. Der Anstieg folgte der Entwicklung in den USA, wo die Indizes Dow Jones Industrial und S&P 500 am Montag neue Höchstmarken erreicht hatten. Das befeuerte auch diesseits des Atlantiks die Börsen: Gestern stieg der Dax in den ersten Handelsminuten bis auf 16 999 Punkte. Damit lag der nur noch vier Punkte unter seinem Rekordhoch von Mitte Dezember. Wir sprachen mit Fondsmanager Jens Ehrhardt von der DJE Kapital AG in Pullach über die aktuelle Lage an den Aktienmärkten.
Die Stimmung in der Wirtschaft ist schlecht – und der Dax ist auf Rekordjagd. Was ist da los an den Börsen?
Die Lage an den Börsen sieht gerade besser aus, als sie tatsächlich ist. Es sind einzelne große Aktien, insbesondere in Amerika, aber auch in Europa, die den Markt nach oben ziehen.
Und der Rest der Aktien?
Die Masse der Aktien bröckelt ab. Nehmen wir als Beispiel den US-amerikanischen Index S&P 500: Die größten sieben Unternehmen machen inzwischen 30 Prozent des gesamten Index aus. Würde man alle 500 Aktien gleich gewichten, wäre es bis Oktober vergangenen Jahres mit dem S&P 500 bergab gegangen. Dann ging es zwar ein paar Monate aufwärts, aber jetzt beobachten wir erneut in der Breite wieder sinkende Kurse, der gleichgewichtete Index fällt.
Welche Unternehmen treiben die Indizes?
In den USA sind es Technologie-Werte wie Microsoft oder Apple, im Dax Konzerne wie SAP. Schaut man sich Aktien von Unternehmen aus der Industrie oder dem Konsumbereich aus, sieht es oft anders aus.
Im Dax ist die Bayer-Aktie sogar auf ein Allzeittief gefallen.
Aber auch im MDax, in dem die kleineren deutschen Unternehmen notiert sind, geht es für viele Aktien abwärts. Daher verwundert es auch nicht, dass der MDax – anders als der Dax – von einem Allzeithoch weit entfernt ist. Die kleinen und mittleren Aktien hinken hinterher. Die Technologie-Aktien lassen wegen ihrer hohen Gewichtung die Sache besser aussehen, als sie eigentlich ist.
Gab es so etwas schon einmal?
Ja, und zwar im Jahr 2000, als die Dotcom-Krise den Aktienmarkt einbrechen ließ. Ein Markttechniker würde daher zu dem Schluss kommen, dass es nicht gesund ist, wenn die Börse nur von einigen wenigen Aktien getragen wird.
Warum ist es zu dieser ungesunden Situation gekommen?
Weil die ganzen Profis schwerpunktmäßig in den Aktien investiert sind, die steigen – und das sind eben Technologie-Werte. Es ist nie gesund, wenn alle auf dasselbe Pferd setzen.
Heißt das, wir beobachten schon eine Art Blasenbildung bei den Technologie-Werten?
Ja, das würde ich schon sagen. Natürlich könnte man jetzt argumentieren, dass im Falle von Zinssenkungen es mit den Börsen wieder aufwärts gehen wird, und zwar in der gesamten Breite des Marktes. Aber da gleichzeitig die Konjunkturaussichten gerade alles andere als gut sind, ist nicht gesagt, dass das so kommen wird.
Am Ende hängt es also von der Konjunktur ab, wie es an den Börsen weitergeht?
Im Grunde, ja. Wenn die Konjunktur jetzt schlecht wird, wird es wenig bringen, wenn die Notenbanken die Zinsen senken. Die Aktien fallen dann trotzdem. Daher steht für die Börse gerade diese ganz zentrale Frage im Mittelpunkt: Wie geht es weiter mit der Konjunktur? Gerade für Europa sind die Aussichten derzeit nicht gut, in den USA sieht es etwas besser aus.
Was machen die Amerikaner anders?
Der Staat verschuldet sich massiv und kurbelt damit die Wirtschaft an. In Europa wird fiskalpolitisch viel weniger getan, weswegen das Risiko einer Rezession hier deutlich höher ist.
Das heißt, Sie blicken eher pessimistisch in die Zukunft? Denn es gibt ja auch Analysten, die sagen, an den Börsen ist noch viel Luft nach oben.
Ja, die gibt es. Ich bin aber eher pessimistisch, vor allem für Europa. In Amerika könnte mit weiteren Staatsschulden die Wirtschaft angekurbelt werden. Und selbst wenn Trump noch einmal Präsident werden sollte, kann das für die Börsen gut sein – in seiner letzten Amtszeit hatte er ja die Börsen auch durch Steuersenkungen positiv beeinflusst. Für die europäischen Börsen und China wäre eine Trump-Präsidentschaft aber eher negativ, da Zölle den Handel belasten dürften.
Lässt sich das wirklich so pauschal sagen? Sollte Donald Trump im November antreten und zum US-Präsidenten gewählt werden, ließe sich doch kaum seriös vorhersagen, wie die Welt danach aussehen wird.
Das stimmt schon, seriöse Vorhersagen sind bei Trump kaum möglich. Trumps Charakter ist so sprunghaft, dass er am Ende komplett andere Sachen macht als erwartet. Aber generell dürfte für ihn die Parole „America first“ weiter gelten, und das könnte zumindest der amerikanischen Konjunktur nützen.
Wie lautet in der aktuellen Lage Ihr Ratschlag an Kleinanleger?
In der derzeitigen Phase sollte man nur sehr selektiv investieren. Gerade Themen wie Künstliche Intelligenz werden die Börsenfantasie noch länger anregen, noch ist der gute Lauf der Technologie-Aktien nicht vorbei. Und dann sollte man schauen, welche Branchen gerade gut verdienen: Das sind Pharmaunternehmen oder Versicherungen. Insgesamt ist an den Börsen aber eher mit einer Seitwärtsbewegung in diesem Jahr zu rechnen. Ich weiß, dass diese Aussage etwas unbefriedigend ist, aber es ist angesichts der aktuell unsicheren Konjunkturaussichten sehr schwer, Vorhersagen zu treffen.
Haben Sie dennoch einen Tipp?
Gerade jetzt kann es sich lohnen, neben Aktien immer auch einen Teil an Anleihen zu kaufen. Wenn man Glück hat, kauft man eine 5-Prozent-Anleihe, die im Kurs dann auch noch steigt – und am Ende hat man zehn Prozent verdient. Es ist möglich, dass man in diesem Jahr mit Anleihen sogar besser fährt als mit Aktien.
Interview: Sebastian Hölzle