von Redaktion

Ingolstadt – Seine Ventile helfen, dass das Bier auf dem Oktoberfest aus dem Zapfhahn fließt und die Springbrunnen in Las Vegas Fontänen speien: Bertram Kawlath leitet den Ventilehersteller Schubert & Salzer – ein klassischer deutscher Mittelständler mit rund 200 Angestellten und Kunden auf der ganzen Welt. Zudem ist er Vorsitzender des Verbandes der Maschinen- und Anlagebauer (VDMA) Bayern, dem über 500 Unternehmen angehören. Die Branche ist mit 223 000 Beschäftigten vor der Autoindustrie Bayerns größter industrieller Arbeitgeber. Mit Kawlath haben wir über die wirtschaftliche Lage und die Probleme der Mittelständler gesprochen.

Herr Kawlath, die deutsche Industrie ächzt und zeichnet düstere Zukunftsszenarien. Wie blickt Bayerns Maschinenbau, dem Sie als Verbandschef vorsitzen, in die Zukunft?

Wir spüren die ganzen Probleme auch. Mir ist aber eines wichtig: Wenn wir nur das Negative in den Vordergrund rücken, reden wir die Krise herbei, sie wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Unternehmertum braucht Optimismus. Und der darf uns nicht verloren gehen.

Stimmt Sie die aktuelle Lage denn optimistisch?

Sie ist kein Grund für Jubel. Die Konjunkturflaute, die Energiepreise, der Fachkräftemangel, eine mögliche Wiederwahl Trumps: Das alles sind Gründe, weshalb sich Unternehmen mit Bestellungen von Maschinen und Anlagen zurückhalten. Für unsere Mitglieder heißt das, dass die Aufträge zurückgehen. Die Talsohle ist wohl auch noch nicht erreicht. Manche Maschinenbauer haben echte Existenzängste. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.

Und die andere Hälfte?

Unter dem Strich geht es uns besser, als man angesichts der Krisenstimmung annehmen sollte. Es trifft nur einen Teil unserer Mitglieder hart. Andere wachsen zweistellig und haben ein Rekordjahr hinter sich. Bei uns im Verband sind auch viele kleine Weltmarktführer, die von Deutschland aus nach wie vor beste Geschäfte machen. Die Auftragslage war bis vor Kurzen so gut wie nie, wir haben noch viele Vorbestellungen in den Büchern. Es ist also längst nicht alles schlecht.

Wenn die Lage gar nicht so miserabel ist, wie erklären Sie sich dann die unterirdische Stimmung?

Zum einen gibt es Firmen, die vor dem Aus stehen. Gerade konzentriert man sich auf diese und blendet die Erfolgsgeschichten aus. Zum anderen sind die letzten Jahre vielen Unternehmern wirklich an die Nieren gegangen.

Inwiefern?

Corona, die Lieferkettenprobleme, der Russland-Krieg und die Explosion der Energiepreise: Seit 2020 folgte Krise auf Krise. Parallel ist die Regulierung ohne Pause weiter auf uns eingeprasselt. Bei den Firmen hat sich deshalb einfach sehr viel Wut angestaut.

Die Bürokratie ist der Hauptgrund dafür?

Jede einzelne Maßnahme wäre vielleicht hinnehmbar und vieles ist gut gemeint. In der Summe überfordert das aber vor allem die kleinen Mittelständler. Kommt das EU-Lieferkettengesetz, sollen wir auch noch persönlich haften, wenn ein Zulieferer Mist baut. Ich habe 450 Zulieferer aus 17 Ländern. Wie soll ich das bitte kontrollieren?

Für Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern soll das Lieferkettengesetz der EU gar nicht gelten.

Es gilt indirekt auch für sie. Will man große Konzerne beliefern, reichen diese die Nachweispflichten oft einfach weiter. Macht man keine Angaben, kriegt man die Aufträge nicht. Und viele Fragen sind kaum zu beantworten.

Weshalb?

Bei einem T-Shirt kann man vielleicht gut nachweisen, dass es mit Kinderarbeit hergestellt wurde oder man sich dabei nicht um Umweltschutz geschert hat. Bei Maschinen und Anlagen, in denen tausende Teile und Vorprodukte stecken, wird das fast unmöglich. Wenn ich Leiterplatten in Asien bestelle und einen Nachweis verlange, aus welchen Minen die Metalle auf den dort verbauten Platinen stammen, zeigen die mir nur einen Vogel. Und das Lieferkettengesetz ist nicht die einzige Vorgabe.

Welche gibt es noch?

Etwa die Dienstreisebescheinigung, die Datenschutzgrundverordnung, das Verpackungsgesetz und so weiter. Über meiner Firma schwebt außerdem das geplante Verbot der PFAS genannten Ewigkeitschemikalien. Es soll nicht nur für Einwegbecher gelten, sondern auch für jedes Ventil, das mein Unternehmen herstellt. Da denkt man manchmal schon: Wollen die mich auf den Arm nehmen? Das alles kostet Nerven, Zeit und Geld.

Wie viel denn?

Wir haben das in einer Studie untersucht. In großen Unternehmen betragen die Bürokratiekosten im Maschinenbau im Moment ein Prozent des Umsatzes, in kleinen drei.

Das klingt aber zumindest nicht völlig überzogen.

Naja. Erstens gilt das nur für Bundesregeln. EU- und Landesregeln sind da gar nicht berücksichtigt. Zweitens entsprechen zwei oder drei Prozent in vielen Firmen etwa den Forschungskosten oder der Rendite. Das heißt: Statt für Forschung muss man das Geld dann für Dokumentationspflichten ausgeben.

Es heißt oft, dass bereits viele Unternehmer abwandern wollen. Auch in Bayerns Maschinenbau?

Nein. Wir haben unsere Mitgliedern gefragt, wer seine Produktion in den nächsten fünf Jahren ins Ausland verlagern will. Das Ergebnis: Nur ein einstelliger Prozentsatz. Der Löwenanteil will hier in Deutschland investieren.

Heißt das, der Standort Deutschland ist nicht so schlecht wie viele sagen?

Vielleicht sind Mittelständler auch nur mehr mit ihrer Heimat verwurzelt als Großkonzerne. Aber gerade weil der Mittelstand hier seine Zukunft sieht, muss die Politik hier gute Rahmenbedingungen schaffen und die ganzen Probleme endlich anpacken.

Was fordern Sie?

Wir unterstützen Klima- und Umweltschutz und auch den Kampf gegen Kinderarbeit. Ich will aber nur für Dinge geradestehen, die ich tatsächlich prüfen kann. Deshalb fordere ich mehr Augenmaß und pragmatische Lösungen. Beispiel Lieferketten: Bei Vorprodukten aus der EU, Japan oder Kanada könnte man Berichtspflichten deutlich reduzieren, weil man dort davon ausgehen kann, dass Grundregeln eingehalten werden. Dafür könnte man im Gegenzug etwa bei Rohstoffimporten aus Afrika oder Textilien aus Bangladesch genauer hinsehen. Aber es gibt noch viele andere Möglichkeiten für Erleichterungen. Und oft reichen kleine Änderungen.

Welche denn?

Wenn man große Anlagen wie Windräder transportiert, muss man auf jeder einzelnen Fahrt für jede einzelne Brücke ein Belastungsgutachten machen – egal, ob man die gleiche Fahrt mit dem gleichen Transport eine Woche zuvor schon hatte. Da reicht auch ein Gutachten! Wir dürfen auch keine Fachkräfte über Zeitarbeitsfirmen aus dem Ausland anwerben, was man mit einem Halbsatz im Gesetz ändern könnte. Wieso tut man das nicht?

So will man vermutlich verhindern, dass deutsche Arbeitsplätze durch Dumpinglöhner aus dem Ausland ersetzt werden.

Das ist doch aus der Zeit gefallen. Dumpinglöhner sind nicht unser Problem. Wir können wegen der Alterung der Gesellschaft nicht mehr alle Stellen besetzen und brauchen dringend Arbeitskräfte aus dem Ausland. Die Politik weiß das seit Jahren, tut aber nichts. Es ist immer noch extrem kompliziert und langwierig, ein Visum zu bekommen. Man scheint die Leute abschrecken statt anwerben zu wollen. Wieso haben wir nicht längst klare Zuwanderungsregeln wie sie etwa Kanada hat, wo es ein einfaches Punktesystem gibt?

Das Thema Zuwanderung ist politisch ein Minenfeld.

Das ist richtig. Deshalb brauchen wir wieder konstruktive und auf Fakten basierende Debatten zu Streitthemen wie Erneuerbaren Energien oder der Zuwanderung. Stattdessen fordern bestimmte Parteien, dass Deutschland aus der EU austreten soll.

Was würde denn passieren, wenn Deutschland aus der EU austritt?

Ich könnte meine Firma zusperren. Es wäre noch schwerer, Fachkräfte zu bekommen. Und: Meine Firma ist in 93 Ländern auf der Welt tätig. Jedes unserer über 20 Millionen verschiedenen Ventile hat 125 Seiten Dokumentation. Darin wird Bezug auf hunderte Normen genommen. Bei einem EU-Austritt müssten wir diese Papiere und Normen zusätzlich für 28 EU-Länder spezialisieren. Es gäbe dann erheblich mehr Bürokratie, nicht weniger.

Interview: Andreas Höß

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