Die Bundesregierung hat sich auf die lange erwartete Kraftwerksstrategie geeinigt. Sie soll die Frage beantworten, wie sich Deutschland auch ohne Kohle in der in Zeiten ohne Wind und Sonne versorgt.
Weshalb braucht es eine Kraftwerksstrategie?
Heute laufen Gas- und Kohlekraftwerke relativ viele Stunden im Jahr und können sich durch den verkauften Strom finanzieren. Strom aus Wind und Sonne hat aber keine Brennstoffkosten und kann regelbare Kraftwerke deshalb immer aus dem Markt drängen. „Durch den Ausbau der Stromerzeugung aus Erneuerbaren ist der Bau regelbarer Kraftwerke am freien Markt zunehmend wirtschaftlich unattraktiv geworden“, erklärt Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der bayerischen Energiewirtschaft. Weil regelbare Kraftwerke in Stunden mit wenig Wind und Sonne trotzdem gebraucht werden, will die Regierung die Betreiber für das Bereithalten der – künftig klimaneutralen – Erzeugungskapazitäten bezahlen.
Was ist die Strategie?
Die Bundesregierung will bis 2028 einen technologieoffenen Kapazitätsmarkt schaffen. Bezahlt wird dabei nicht wie bisher üblich nur der gelieferte Strom, sondern auch die verfügbare Leistung. Die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) schätzt, dass ein klimaneutrales Deutschland rund 43 Gigawatt (GW) regelbare Kraftwerksleistung braucht. Eine Verbesserung: Heute sind rund 36 Gigawatt Kohle- und 32 Gigawatt Gaskraft am Netz. Die Bundesregierung will für den Kohleausstieg möglichst schnell zehn Gigawatt H2-ready-Gaskraftwerke ausschreiben. Das sind konventionelle Gaskraftwerke, die ab 2035 auf Wasserstoff umgestellt werden können. Die Konzerne Uniper, Steag und RWE haben bereits Interesse signalisiert. Zuvor muss aber die EU zustimmen und die Öffentlichkeit gehört werden.
Welche Technologien kommen zum Einsatz?
Durch die beschlossenen wasserstofffähigen Gaskraftwerke ist nur ein Teil der benötigten Back-up-Kapazität abgedeckt. Darüber hinaus spricht das Wirtschaftsministerium von einer „technologieoffenen“ Strategie. Die Anbieter verschiedener Technologien sollen um die Kapazitäten konkurrieren, um die Preise zu senken. Die Rede ist auch von Forschungsmitteln für die Kernfusion. Diese wird aber voraussichtlich nicht mehr in dieser Hälfte des Jahrhunderts marktreif. Dafür steht die Biogasbranche in den Startlöchern: „Viele Biomasse-Kraftwerke laufen heute 6000 Stunden im Jahr durch. Das wird in Zukunft aber nicht mehr gebraucht: Deshalb wird es langfristig, also um 2040, Sinn machen, dieselbe Menge Biogas an 1250 Stunden zu verbrennen – mit einem Vielfachen an Leistung“, erklärt Horst Seide, Präsident des Fachverbandes Biogas. Denn für die Lücken in der volatilen Erzeugung braucht es hochflexible Kraftwerke. Das Interesse sei groß: „Viele Biogasanlagen-Betreiber wollen auch Teil des Kapazitätsmarkts werden.“ Auch die Abscheidung von CO2 aus fossilen Gaskraftwerken soll künftig bedacht werden.
Was kostet die Strategie?
Die Ursprungspläne sahen von Anfang an reine Wasserstoffkraftwerke vor, die deutlich teurer gewesen wären. Weil jetzt länger Erdgas verstromt wird, sind die Kosten geringer. Die Kosten will zunächst der Staat tragen: „Die Förderung könnte zuerst aus dem Klima und Transformationsfonds bezahlt werden, damit es schnell gehen kann“, erklärt Andreas Löschel, Energie-Ökonom an der Ruhr-Universität Bochum. „Langfristig dürfte der Kapazitätsmarkt aus dem Strommarkt heraus finanziert wird und letztlich auf den Stromkunden umgelegt werden.“ Wie teuer das ist, lässt sich heute schwer sagen. FfE-Chef Serafin von Roon überschlägt die Kosten für einen reinen Wasserstoff-Kraftwerkspark, indem er den üblichen Kapitalzins für Netzbetreiber auf die Kraftwerke anwendet. „Legen wir das auf die verbrauchten Kilowattstunden um, bedeutet das nach unserer Rechnung einen Aufschlag von 0,28 Cent pro Kilowattstunde. Damit wäre der Kraftwerkspark komplett finanziert.“
Wie gut ist die Strategie?
Das lässt sich noch schwer beurteilen, sagt Detlef Fischer: „Die wichtigsten Punkte sind noch nicht öffentlich: Wir wissen nicht, wer wie viel für die Kraftwerke am Ende bezahlen soll.“ Auch für Andreas Löschel stehen wichtige Entscheidungen noch aus: „Es wird stark auf die Details ankommen, wie gut dieser Markt funktioniert“, so der Wissenschaftler. „Die beschlossenen Gaskraftwerke sind sicher ein sinnvoller Anfang, aber jetzt sollten wir auf Sicht fahren und Dynamiken berücksichtigen.“ Für das Marktdesign sei es jetzt wichtig, alles als ein System zu betrachten: „Wir müssen zum Beispiel auch die Nachfrageflexibilisierung und die Speicher in den Mechanismus einweben“. Man könne das nicht am Reißbrett planen: „Wir wissen noch gar nicht, wie viele Gaskraftwerke am Ende gebraucht werden. Das kommt unter anderem darauf an, wie schnell wir Flexibilitäten in der Industrie, durch E-Autos und Wärmepumpen gewinnen.“