München – Klaus Josef Lutz hat in den vergangenen Wochen für Schlagzeilen gesorgt: Im Januar war Lutz als Aufsichtsratsvorsitzender des Münchner Agrarkonzerns BayWa zurückgetreten, vorausgegangen war eine Auseinandersetzung mit BayWa-Chef Marcus Pöllinger. Zu den genauen Umständen wollte sich Lutz damals nicht äußern – aus rechtlichen Gründen, wie er sagte. Wenige Tage später sorgte ein Wirtschaftsempfang in Bad Tölz für Wirbel, als Lutz als Präsident der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern (IHK) von „Revolution“ sprach, was ihm Kritik von örtlichen Unternehmern und Gewerkschaftern einbrachte. Im Interview nennt er seine Wortwahl in Bad Tölz eine „Gaudi“ und spricht darüber, was ihn wirklich besorgt: Dass im Freistaat so viele Unternehmer wie noch nie an der deutschen Wirtschaftspolitik verzweifeln.
Wie ist aktuell die Stimmung bei den bayerischen Unternehmern?
Leider überhaupt nicht gut. Wir haben als IHK unsere regelmäßige Umfrage unter unseren Mitgliedsunternehmen durchgeführt, zum ersten Mal haben wir in den Ergebnissen etwas gesehen, was wir bisher noch nicht beobachtet haben: 64 Prozent der Befragten, also knapp zwei Drittel, sehen die Wirtschaftspolitik in Deutschland inzwischen als das größte Geschäftsrisiko an. Einen so hohen Wert gab es noch nie!
Wie war es in den Jahren zuvor?
Vor einem Jahr waren es noch 47 Prozent der Befragten, die in der Wirtschaftspolitik ein Risiko sahen. Noch vor einem Jahr gaben 65 Prozent der befragten Betriebe an, der Arbeitskräftemangel sei das größte Geschäftsrisiko. Dieser Wert ist auf 57 Prozent gesunken, das größte Risiko für die Firmen ist jetzt die Wirtschaftspolitik.
Was bedeutet das?
Die Unternehmen sind nicht nur abstrakt in Sorge, sondern haben ganz konkret die Sorge, dass die Wirtschaftspolitik uns in Deutschland auf ein Abstellgleis führt und die Politik die wirtschaftliche Entwicklung behindert.
Was hätte das für Folgen?
Wenn die Unternehmen in Deutschland nicht mehr ihre Leistung bringen können, wie sie sollten, dann wackelt die gesamte EU. Und es gibt ja leider genügend Feinde der Europäischen Union, genauso wie es auch genügend Feinde der nachhaltig-sozialen Marktwirtschaft gibt.
Wer sind diese Feinde?
Die kommen aus der rechten wie der linken Ecke. Aber auch das Parteiprogramm der AfD ist für die wirtschaftliche Entwicklung und den Wohlstand in diesem Land ganz klar kontraproduktiv, denn Nationalismus und Abschottung treffen das Herz des deutschen Geschäftsmodells.
Wie verhält sich diese Kritik an der AfD mit Ihrer parteipolitischen Neutralität als IHK-Präsident?
Wenn in einem Parteiprogramm steht, dass man die Europäische Union umbauen möchte zu einer Wirtschaftsgemeinschaft, wie wir sie vor Jahrzehnten hatten, und dass man im Falle eines Misslingens dieses Projekts den „Dexit“ in Betracht zieht, also den Austritt Deutschlands aus der EU, dann ist das ein Anschlag auf unseren Wohlstand, und dann sind wir als IHK geradezu dazu verpflichtet, das auch zu benennen. Als IHK sind wir der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sowie der nachhaltig-sozialen Marktwirtschaft verpflichtet, darauf habe ich als Präsident einen Amtseid abgelegt.
Welche Folgen hätte ein EU-Austritt Deutschlands?
Wir sind in der Mitte Europas, ein Großteil unseres Wohlstandes hängt vom Außenhandel ab. Das Beispiel Großbritannien zeigt ja, welche Wohlstandseinbußen mit einem EU-Austritt verbunden sind. Natürlich ist in der EU nicht alles perfekt vieles überreguliert aber der Grundgedanke der Europäischen Union ist richtig. Deutschland profitiert von der EU, übrigens auch vom Euro, was oft vergessen wird.
Trotzdem sind die Unternehmen im Freistaat laut Ihrer Umfrage mit der Wirtschaftspolitik so unzufrieden wie noch nie. Wie kommt das?
Da kann ich eine ganze Menge von Gründen aufzählen: Das ist zum einen die Bürokratie, das sind die hohen Kosten, die teure Energie, die Inflation. Das ist alles an sich schon besorgniserregend. Neu ist, dass die Unternehmerinnen und Unternehmer in der Umfrage Deutschland selbst als ein Risiko ansehen.
Das klingt sehr abstrakt. Was ist damit gemeint?
Man könnte fast sagen: Das eigene Land steht den Unternehmen im Weg. Und wo soll das bitte hinführen, wenn wir selbst unser eigenes Land als Risiko ansehen? Stellen Sie sich vor, Sie steigen ins Auto ein und sehen Ihr eigenes Auto als das größte Risiko an, weil es in die Luft fliegen könnte und sehen nicht mehr den Verkehr drum rum als Risiko.
Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Wir brauchen in der Wirtschaftspolitik eine Art Schubumkehr. Es müssen sich vernünftige Leute zusammensetzen und sich fragen, wie man Deutschland wieder auf Spur bringt. Und eine Antwort ist die Soziale Marktwirtschaft – Planwirtschaft kann nicht die Lösung sein, auch wenn einige Politiker in Berlin sich das erträumen.
Wie könnte die „Schubumkehr“ konkret aussehen?
Die Steuern sind zu hoch, die Kosten sind zu hoch, Energie ist zu teuer. Aber das größte Problem ist die Bürokratie. Seit Jahrzehnten wächst der Wust an Paragrafen, unabhängig von der Regierung. Das führt zu einer emotionalen Verunsicherung im Hinblick auf die Stabilität Deutschlands. Jetzt kann es passieren, dass Unternehmer Deutschland verlassen und woanders investieren – oder sie stellen den Geschäftsbetrieb ein, da kennen wir genügend Beispiele, gerade bei kleineren Betrieben ist das häufig der Fall.
Ist es in einer Situation der emotionalen Verunsicherung wirklich vernünftig, von „Revolution“ zu sprechen, wie Sie es neulich auf einer Veranstaltung in Bad Tölz getan haben?
Zum Abschluss meiner freien Rede habe ich dort im Scherz gesagt: „Im Zweifelsfall machen wir Revolution, und Reinhold Krämmel wird unser Revolutionsführer.“ Reinhold Krämmel ist ein lokaler Bauunternehmer. Es war eine Gaudi, ich habe einen Scherz gemacht, das war alles.
Ein örtlicher DGB-Funktionär sagte, „das verwendete Vokabular und die Vortragsweise wies schlimmste Parallelen zu Reden früherer und aktueller Demokratieverächter auf“.
Das ist in hohem Maße ehrabschneidend, das kommentiere ich nicht weiter. Ich möchte stattdessen etwas konstruktives sagen: Ich ermutige jeden, nach München ins Ägyptische Museum zu gehen. Dort läuft gerade die Ausstellung „How to catch a Nazi“ – eine Ausstellung über Adolf Eichmann, einer der größten Schwerverbrecher der Nazis, der für die Deportation der Juden zuständig war. Ich bin einer derjenigen, der die große Ehre hatte, bei der Eröffnungsveranstaltung sprechen zu dürfen. Ich habe auch dafür gesorgt, dass die Finanzierung für diese Ausstellung sichergestellt wird. Ich lade jeden ein, sich die Ausstellung anzusehen, um zu verstehen, was Nationalsozialismus wirklich bedeutet.
Interview: Sebastian Hölzle