Trotz Krise: Unternehmen halten Mitarbeiter

von Redaktion

VON WOLFGANG MULKE

Nürnberg/München – Vor gar nicht so vielen Jahren hätten die aktuellen Nachrichten aus der Industrie noch große Sorgen ausgelöst. SAP streicht weltweit 8000 Stellen. Miele verlagert 700 Jobs in der Waschmaschinenproduktion nach Polen, und der Autozulieferer ZF will in den kommenden Jahren gar 12 000 Arbeitsplätze abbauen. Auch der Pharmariese Bayer steht vor einem großen Stellenabbau.

Was früher das Gespenst einer Massenarbeitslosigkeit auferstehen ließ, wird heute vergleichsweise ruhig zur Kenntnis genommen. Der Arbeitsmarkt hat sich massiv verändert. In vielen Branchen herrscht Personalnot. Da liegt der Gedanke nahe, dass die Welle an Stellenstreichungen eher eine Entlastung denn eine Belastung nach sich ziehen wird. Doch da winken Experten ab. „Ein angekündigter Stellenabbau kann nicht mit Entlassungen gleichgesetzt werden“, sagt Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft. Statt Arbeitnehmer vor die Tür zu setzen, kommen eine Reihe anderer Instrumente zum Einsatz. So werden natürlich frei werdende Stellen nicht wieder besetzt oder Ruhestandsregelungen getroffen. Neuerdings liegen auch innerbetriebliche Umschulungen im Trend. Denn wo auf der einen Seite bestimmte Tätigkeiten nicht mehr benötigt werden, entsteht auf der anderen Seite mitunter ein Bedarf an neuen Fähigkeiten und Kenntnissen. Die Statistik der Arbeitsagentur bestätigt die Beobachtung. „Es gibt keine auffällig erhöhte Anzahl von Übergängen aus Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt in Arbeitslosigkeit“, erläutert Schäfer. Nur habe sich die Chance von Arbeitslosen verschlechtert, eine neue Stelle zu finden. Ein Potenzial gegen den Fachkräftemangel gehe aus dem Stellenabbau nicht hervor.

Diese Einschätzung teilt auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das zur Bundesagentur für Arbeit gehört. Noch bis in dieses Jahrhundert hinein war die Beschäftigung eng an die konjunkturelle Entwicklung gekoppelt. Ging es der Wirtschaft schlecht, stieg die Arbeitslosigkeit und umgekehrt. Drei Faktoren hätten diese Gewohnheit durchbrochen, erläutert IAB-Direktor Bernd Fitzenberger. So halten Unternehmen ihre Leute oft auch dann, wenn es mal schlechter läuft. „Denn sie wissen, dass qualifizierte Beschäftigte bei verbesserter Geschäftslage schwer wiederzugewinnen sind“, sagt er.

Ein zweiter Grund ist, dass sich die Digitalisierung keineswegs als Jobkiller erwiesen hat. Die Einführung neuer Technologien gehe mit einer erhöhten Beschäftigung einher, beobachtet Fitzenberger. Schließlich investieren Unternehmen, etwa in Dienstleistungsbereichen, in Arbeitsplätze, um einen erwarteten Bedarf zu decken. Diese Art Vorratshaltung verschärft dann anderswo die Personalnot. Der IAB-Experte erwartet auch aufgrund eines geringen Produktivitätswachstums und der Alterung eine Verschärfung der Personalnot, gerade in Branchen mit unattraktiven Arbeitszeiten wie der Gastronomie oder in Bäckereien.

Auf der anderen Seite weist die Statistik immer noch 2,8 Millionen Arbeitslose aus. Bleibt hier ein großes Potenzial an Arbeitskräften ungenutzt, weil es sich nicht lohnt zu arbeiten? Tatsächlich ist der Abstand zwischen Nied- riglöhnen und Bürgergeld in manchen Fällen unwesentlich. Das ist bei Familien mit mehreren Kindern der Fall. Da summieren sich die Sozialleistungen auf dem Niveau einer Vollzeittätigkeit. Bei Alleinstehenden sieht es anders aus. IAB-Experte Fitzenberger sieht durchaus Verbesserungsbedarf: „Wir haben ein Anreizproblem“ – nicht beim Regelsatz, aber bei der Anrechnung von zusätzlichen Verdiensten auf das Bürgergeld. Auch benötigten die Betroffenen mehr Betreuung, um den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu finden. Auch die Betriebe müssten noch besser unterstützt werden.

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