Wie krank ist die deutsche Wirtschaft?

von Redaktion

VON THOMAS MAGENHEIM-HÖRMANN

München – Deutschland ist ökonomisch zum kranken Mann Europas geworden. Wie ernst die Krankheit ist und wie man sie kuriert, haben Wirtschaftsforscher beim Leibniz-Wirtschaftsgipfel erörtert. Die Politik der Ampelregierung sahen sie dabei unisono kritisch.

Miese Stimmung

Vieles sei auch eine Frage der Stimmung. „Wir reden die Dinge schlecht“, meinte Almut Balleer vom RWI-Leibniz-Insititut. Deshalb springe trotz kräftiger Lohnsteigerungen, guter Beschäftigung und sinkender Inflation der private Konsum nicht wie erwartet an. „Unsicherheit ist das Hauptproblem“, lautet ihre Kurzfristdiagnose.

Falsche Entlastung

Fehlgeleitete Entlastung von Unternehmen seitens der Ampel rückte Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in den Fokus. „Ich habe Zweifel an der selektiven Industriepolitik“, sagte er. Viele Milliarden Euro für Einzelprojekte wie Chipfabriken meinte er damit. Besser sei das Geld in breiten Entlastungen der ganzen Wirtschaft wie Steuersenkungen oder Investitionen in Energie und Verkehr, Infrastruktur und Wohnungsbau oder Bildung angelegt, weil das allen zugute kommt. „Viele Menschen werden nicht mitgenommen“, so Fratzscher. Das verhindere soziale Akzeptanz.

Fehlende Anreize

Die Ampel müsse gezielt Innovationsanreize schaffen, ergänzte Clemens Fuest vom Ifo-Institut. Nicht nur er attestierte Deutschland gefährliche Innovationsschwäche. Zudem müssten Blockaden wie Bürokratie, Überregulierung und Fachkräftemangel beseitigt werden, fordert Fuest. „Wir bewegen uns aber eher in die Gegenrichtung“, meinte der Ifo-Chef etwa mit Blick auf die viel diskutierte Vier-Tage-Woche. Die verschärfe Personalmangel zusätzlich. Zu verantworten hätten die Lage auch Vorgängerregierungen der Ampel und teils die Firmen selbst, indem sie Innovationen verschlafen haben, urteilten die Experten. So habe die Autoindustrie die Elektromobilität verpennt.

Strukturwandel

Unternehmen müssten sich auch ehrlich machen und könnten nicht alle Probleme auf die Politik schieben. Die deutsche Wirtschaft habe schon lange Risikofaktoren mit sich herumgeschleppt, betont Holger Görg vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Unter anderem hohe Energiepreise durch die Folgen des Ukraine-Kriegs hätten sie nun an den Tag gebracht. Solchen Strukturwandel dürfe Wirtschaftspolitik nicht mit hohen Subventionen zu verhindern versuchen. Denn bei hohen Energiekosten werde es in Deutschland erst einmal bleiben. Besser sei es, energieeffiziente neue Technologien zu fördern, weil darin die wahre Zukunft liege.

Dabei nahmen die Wirtschaftsforscher auch Verbraucher von ihrer Kritik nicht aus. „Die deutsche Gesellschaft ist international mit am ablehnendsten eingestellt gegen neue Technologien“, meinte Görg. Auswirkungen dieses toxischen Gesamtgebräus würden sich nun auch an den Finanzmärkten zeigen, sagen die Experten. Als erstes Zeichen dafür sehen sie ein beobachtbares Abstrafen europäischer Bank- und Autotitel an den Börsen. „Wir haben ein Jahr verschwendet“, meinte Leibniz-Finanzmarktforscher Florian Heidel mit Blick auf speziell die deutsche Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik der Berliner Ampelregierung.

Kurskorrektur

Einig waren sich alle Experten, dass es rasch zur wirtschaftspolitischer Kurskorrektur kommen muss. Weil die Bundesregierung keine klaren Signale sende, würden derzeit sogar Investitionen von Unternehmen verzögert. Die würden in der Hoffnung auf mögliche Subventionen damit vielfach warten. Die Politik müsse sich auch endlich parteienübergreifend klar werden, wie sie mit der Schuldenbremse umgeht. Die Wirtschaft brauche dringend Planungssicherheit, um ihre Fesseln zu lösen. Man darf es durchaus Fundamentalkritik nennen, was die Riege der Wirtschaftsforscher der Politik an den Kopf geworfen hat.

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