„Von 2000 Euro brutto bleiben 32 Euro netto“

von Redaktion

VON SEBASTIAN HÖLZLE

München – Mehr arbeiten gehen und schlagartig mehr Geld in der Tasche haben? Diese einfache Regel gilt nicht für alle: In Deutschland gibt es offenbar eine Bevölkerungsschicht, für die sich Mehrarbeit schlicht nicht lohnt – und die bei der aktuellen Gesetzeslage gut beraten ist, nur nicht zu viel zu arbeiten. Darauf hat der Präsident des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest, in einem Interview hingewiesen und Reformen angemahnt.

Der „Augsburger Allgemeinen“ sagte der Ökonom: „Das Problem besteht darin, dass sich nicht nur beim Bürgergeld, sondern auch bei kleineren und mittleren Einkommen Mehrarbeit kaum lohnt, weil dabei steigende Zuschüsse wie Wohngeld oder der Kinderzuschlag wegfallen.“ Als Beispiel nannte Fuest eine Familie mit zwei Kindern in einer Stadt mit hohen Mieten wie München. „Wenn das Einkommen der Familie durch Mehrarbeit einen Sprung von 3000 auf 5000 Euro brutto im Monat macht, werden nicht nur Steuern und Sozialabgaben fällig, zusätzlich fallen die Sozialtransfers weg. Von den 2000 Euro mehr brutto bleiben am Ende 32 Euro netto übrig“, sagte der ifo-Ökonom. „Da versteht jeder, dass sich arbeiten nicht lohnt.“

Bereits Mitte Januar hatte das ifo-Institut eine entsprechende Studie dazu veröffentlicht, die Rede war von einer „Niedrigeinkommensfalle“. In diesem Bereich sei eine Ausweitung der Arbeitszeit über Kleinst- und Minijobs hinaus, eine deutliche Lohnerhöhung oder ein Wechsel in eine besser bezahlte Tätigkeit, oft unattraktiv. Um herauszufinden, wie viel Netto vom Brutto bei Berücksichtigung von Zahlungen wie Wohngeld und Kinderzuschlag am Ende am Ende bleibt, hatten die ifo-Volkswirte eigenen Angaben zufolge die Einkommen für verschiedene Haushaltskonstellationen mit einem Simulationsmodell berechnet. Der Brutto-Netto-Rechner habe „alle Interaktionen im Steuer- und Transfersystem“ berücksichtigt. In der Studie findet sich auch das Beispiel der Familie, das Fuest nun thematisiert hat.

Bleibt die Frage, wie Mehrarbeit für diesen Teil der Bevölkerung wieder attraktiv werden könnte? „Die Politik müsste die verschiedenen Transferleistungen auf den Prüfstand stellen und dann dafür sorgen, dass man von dem Einkommen aus der Mehrarbeit einen größeren Anteil behalten kann“, sagte Fuest. „Das ist nicht ganz trivial, aber machbar.“ Und er sagte auch, warum eine Reform dringend angebracht wäre: „Wir stehen schließlich erst am Anfang der Probleme des demografischen Wandels. Wenn immer mehr Menschen sagen, es lohnt sich nicht, so viel zu arbeiten, und lieber Teilzeit wählen, dann bewegen wir uns als Volkswirtschaft komplett in die falsche Richtung.“

Der Wirtschaftswissenschaftler Enzo Weber vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sagte: „Ganz aus der Welt schaffen lässt sich das Problem nicht.“ Dies ginge nur bei der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. „Ökonomisch gesehen hätte ein Grundeinkommen den Vorteil, dass diese Leistung nicht abgeschmolzen wird, falls man mehr Geld verdient.“ Empfehlen würde Weber die Einführung eines Grundeinkommens dennoch nicht, schon allein wegen der „immensen Kosten“. Außerdem gebe es auch hier Fehlanreize. „Solange wir den Schritt zu einem Grundeinkommen nicht gehen, werden wir immer eine Abschmelzung haben“, sagte Weber. Aber auch innerhalb des bisherigen Systems könnten die „dramatischen Fehlanreize“ abgemildert werden. „Fakt ist: Es gibt dieses ,Tal des Todes‘, in dem man unterm Strich fast nichts zusätzlich verdient, wenn man mehr arbeitet.“ Weber nannte ebenfalls ein Bruttoeinkommen zwischen 3000 und 5000 Euro für eine Münchner Familie.

Sein Vorschlag: Ein durchgängiger transparenter Selbstbehalt bei Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag in Höhe von 30 Prozent. Das bedeutet: Wer nach der bisherigen Regelung durch ein Gehaltsplus etwa den Anspruch auf Wohngeld verliert, dem würde künftig nicht mehr das komplette Wohngeld gestrichen, 30 Prozent des Wohngelds würden weiterhin bezahlt. „Damit hätten die Betroffenen einen Anreiz, mehr zu arbeiten – das ,Tal des Todes‘ gäbe es nicht mehr.“

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