Zürich – Der Schweizer Einzelhandelsriese Migros gehört zur Schweiz wie die Berge, die Uhren und die Schokolade. Niemand kommt an ihm vorbei. Selbst in einer Kleinstadt wie Wädenswil am Zürichsee mit rund 25 000 Einwohnern gibt es mehr als ein halbes Dutzend Migros-Läden, angefangen von den beiden Supermärkten plus dem Discounter Denner über die Sport-, Bau- und Möbelmärkte bis zum Reisebüro Hotelplan. Doch jetzt soll alles anders werden. Die Fachmärkte stehen mehr oder weniger zum Verkauf. Konzentration auf das Wesentliche und Beherrschbare, heißt die Losung des Managements.
Allem voran soll das der angestammte Lebensmittelhandel sein. Nach dem Untergang der Großbank Credit Suisse im März 2023 ist das Eindampfen der Migros der zweite große Umbruch für die Schweizer Konsumenten in der jüngeren Zeit. Wie tief die unternehmerische Neuausrichtung in die DNA der Eidgenossen eingreift, macht das Beispiel Hotelplan deutlich. Migros-Gründer und Sozialpatriarch Gottlieb Duttweiler formulierte 1935 das Ziel, „der bedrängten Schweizer Hotellerie zu helfen und gleichzeitig dem kleinen Mann Ferien zu ermöglichen“. Jetzt meint das Management, das Ziel werde inzwischen durch viele Anbieter gut erfüllt, und sieht für den Reiseveranstalter trotz blühender Geschäfte nach der Pandemie „noch größere Entwicklungschancen bei einem neuen Eigentümer“. Hotelplan erwirtschaftete 2023 einen Gruppenumsatz von 1,7 Milliarden Franken oder umgerechnet 1,8 Milliarden Euro, glatt eine halbe Milliarde Franken mehr als im letzten Vor-Corona-Jahr 2019.
Explizit zum Verkauf gestellt hat die Migros mit ihrer komplizierten Struktur aus Zentrale und mächtigen Regionalgesellschaften daneben noch die Sportwarenkette SportX und die knapp 100 Läden von Melectronics, die besonders unter der Internet-Konkurrenz und Preiskämpfen leiden. Hinzu kommt die Produktionsgesellschaft Mibelle vor allem für Kosmetik und Gesundheitsprodukte.
Das klingt noch unentschieden, dennoch drängt sich der Eindruck auf, als werde in der Migros alles Mögliche auf einen Grabbeltisch für Kaufinteressenten gelegt. Insgesamt kämpfen die Fachmärkte mit schrumpfenden Umsätzen. Daher setzt die Migros-Gruppe neben dem Stammgeschäft sowie der Migros Bank in Zukunft noch mehr auf den Onlinehandel und die Sparte Gesundheit. Ebenso dürften die Bioläden von Alnatura im Verbund bleiben. In all diese Geschäfte sollen in den nächsten fünf Jahren mehr als acht Milliarden Franken investiert werden.
Soweit man bisher weiß, hat der große Umbau mit dem Scheitern des Großinvestors René Benko höchstens indirekt zu tun. Verbindungen gibt es allemal. Benkos Signa Holding hatte 2020 zusammen mit dem thailändischen Partner Central Group von der Migros für rund eine Milliarde Franken die Globus-Warenhäuser erworben, die auch bei deutschen Touristen beliebt sind und in einer Liga zum Beispiel mit dem Oberpollinger in München spielen. Zugleich halfen der Genossenschaftsbund und die Migros Bank bei der Finanzierung. Jetzt stehen sie mit angeblich knapp 130 Millionen beziehungsweise gut 100 Millionen Franken im Feuer. Offenbar ist das Geld nur zum Teil durch Immobilien abgesichert.
Klar scheint, dass das Stammgeschäft von Migros nicht nur vom großen Konkurrenten Coop, sondern auch von den deutschen Discountern Aldi und Lidl bedrängt wird – und das seit Jahren. Dies hat jetzt ebenfalls einschneidende Folgen. „Durch die strategische Fokussierung der Migros-Gruppe wird leider ein Abbau von bis zu 1500 Vollzeitstellen unvermeidlich sein“, schreibt das Management.
JÜRGEN DUNSCH