„Wir brauchen das EU-Lieferkettengesetz dringend“

von Redaktion

INTERVIEW Die Chefin von Vaude über Kinderarbeit, Umweltschutz und Nachweispflichten für faire Produktion

Tettnang – Für das europäische Lieferkettengesetz gibt es im Moment keine Mehrheit. Deutschland enthielt sich bei einer Abstimmung am Mittwoch, weitere kleine Länder folgten. Die belgische Ratspräsidentschaft will sich weiter für das Gesetz einsetzen, zumindest bis zur EU-Wahl im Sommer dürfte es aber vom Tisch sein. Die FDP sieht das Vorhaben ähnlich wie einige Wirtschaftsverbände als Bürokratiemonster, das deutschen Unternehmen Nachteile im Wettbewerb bringe. In Teilen der Wirtschaft dürfte es deshalb ein Aufatmen geben. Doch längst nicht alle deutschen Firmen finden die Blockadehaltung gut. So setzen sich unter anderem Aldi Süd, Mars, Tchibo oder die Outdoormarke Vaude für die europäische Regelung ein. Doch weshalb? Das haben wir die Vaude-Chefin Antje von Dewitz gefragt.

Frau von Dewitz, das europäische Lieferkettengesetz ist wohl erst einmal vom Tisch. Freut sie das ?

Nein. Aus meiner Sicht braucht es dringend ein europäisches Lieferkettengesetz. Wir müssen endlich gemeinsam gegen Kinderarbeit, Umweltverschmutzung und Klimawandel vorgehen. Dass das Gesetz jetzt nun im Ministerrat der EU gescheitert ist, mag für viele Unternehmen vielleicht eine kurzfristige Entlastung sein. Aber langfristig ist es ein Schaden für unseren Wirtschaftsstandort.

Weshalb?

Deutschland hat sich damit in Europa erneut die Blöße gegeben, weil es schon wieder in letzter Sekunde ein EU-Gesetz blockiert hat, das Deutschland zuvor über Monate mitverhandelt hat. Zudem sollte Deutschland schon aus Eigeninteresse den europäischen Regeln zustimmen.

Wie meinen Sie das?

Deutschland hat bereits ein eigenes Lieferkettengesetz, an das sich deutsche Firmen ab 1000 Beschäftigten halten müssen. Das heißt: Kommt die EU-Regelung nicht, sind wir deutschen Unternehmen im Nachteil, weil wir höhere Auflagen und Kosten haben als der Rest der EU. Die FDP erweist uns damit einen Bärendienst, anstatt zu helfen.

Ein Kritikpunkt am EU-Gesetz ist, dass man deutsche Unternehmen bei Verstößen verklagen kann. Halten Sie das für richtig?

Ja, sonst wäre das Gesetz nur ein zahnloser Tiger, oder?

Und was ist mit dem Bürokratieaufwand? Es heißt, die Nachweise würden Unternehmen überlasten.

Lieferkettennachweise sind vor allem am Anfang mit Arbeit verbunden. Man muss sich das wie den Aufbau eines Qualitätsmanagements vorstellen. Man muss für die Kontrolle der Nachhaltigkeit Risikoanalysen und Überprüfungen machen, alles dokumentieren und ein System dafür aufbauen. Für mich ist das aber keine Bürokratie, sondern einfach ein notwendiger Teil moderner Unternehmensführung. Die wird immer wichtiger, weil immer mehr Kundinnen und Kunden erwarten, dass ihr Handy, T-Shirt oder Auto ohne Kinderarbeit und Umweltsünden hergestellt wird.

Was ist denn, wenn etwa ein deutscher Maschinenbauer tausende Zulieferer hat und für diese künftig haften muss. Kann er das alles überhaupt noch nachprüfen?

Viele haben das EU-Gesetz falsch verstanden und denken, dass sie wirklich jeden einzelnen Zulieferer kontrollieren müssen, auch den Schraubenhersteller aus Portugal oder den Kartonhersteller aus Deutschland. Das stimmt aber nicht. Die Unternehmen müssten zunächst eine Analyse machen und dort genau hinsehen, wo es die größten Risiken gibt. Das ist aus meiner Sicht machbar und sinnvoll.

Trotzdem machen solche Berichtspflichten den Produktionsprozess komplizierter und teurer, oder?

Sicher, aber bei Digitalisierung, Qualitätsmanagement oder Design würde man nie hinterfragen, ob es sich lohnt, dort mehr Geld auszugeben. Bei Nachhaltigkeit heißt es jedoch immer: Das muss man sich leisten können. Das ist unlogisch. Hinzu kommt: Gibt es keine europaweite Verpflichtung für Lieferkettennachweise, werden nur die Pioniere abgestraft, die das bereits freiwillig und auf eigene Kosten tun, statt gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle herzustellen.

Ihre Firma gilt als Pionier bei nachhaltiger Produktion. Welche Mehrkosten haben Sie dadurch?

Grob geschätzt haben wir zehn bis 15 Prozent Mehrkosten – aber für alles, was wir bei Nachhaltigkeit und Klimaneutralität tun. Unser Engagement dort geht weit über das im Lieferkettengesetz Verlangte hinaus. Die Mehrkosten können wir nicht komplett auf die Kunden umlegen. Trotzdem lohnt es sich aus meiner Sicht, nachhaltig zu produzieren.

Auch finanziell oder nur aus ethischen Gründen?

Als wir vor 15 Jahren konsequent mit nachhaltiger Produktion angefangen haben, hat man uns belächelt. Wir haben eine Kultur und Struktur geschaffen, um Lösungen für die Herausforderungen und Zielkonflikte zu finden, was uns sehr innovativ gemacht hat. Im europäischen Branchenvergleich sind wir seither überdurchschnittlich gewachsen und immer mehr Kundinnen und Kunden schätzen uns als glaubwürdige Marke. Nachhaltigkeit ist also kein Hemmschuh, sondern aus unserer Sicht ein wichtiger Erfolgsfaktor.

Glauben Sie, dass das europäische Lieferkettengesetz noch Chance hat?

Ich halte es jedenfalls für dringend notwendig, um zukunftsfähig, innovativ und erfolgreich im globalen Wettbewerb zu sein, weil immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten faire und nachhaltige Produktion fordern. Unternehmen verlieren an Zukunftsrelevanz, wenn sie sich hier nicht professionalisieren. Daher bin ich nach wie vor überzeugt davon, dass früher oder später eine europäische Regelung kommen wird.

Interview: Andreas Höß

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