Die Nulllösungen und ihre Kosten

von Redaktion

VON ALEXANDER EISENKOPF

Im Mai 2021 legte die EU-Kommission im Rahmen des European Green Deal ihren „Zero Pollution Action Plan“ vor, der bis zum Jahr 2050 eine schadstofffreie Umwelt („toxic free environment“) verspricht. Begründet wurde z.B. das Ziel sauberer Luft mit einer statistischen Modellierung von aktuell rund 300 000 vorzeitigen Todesfällen, die auf Luftverschmutzung zurückzuführen seien.

Es folgte ein langwieriges Gesetzgebungsverfahren, bis sich EU-Parlament und Rat am 21. Februar 2024 auf neue Grenzwerte für die zulässige Luftverschmutzung einigen konnten. Für Stickoxid (NO2) soll ab 2030 die Grenze von 20 Mikrogramm (µg) pro m3 Luft (bisher 40 µg) gelten, für Feinstaub (Partikel der Größe PM 2,5) 10 µg (heute 25 µg). Die verschärften Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO sehen sogar nur 5 µg/m³ für PM2,5 und 10 µg/m³ für NO2 vor.

Mit den halbierten Grenzwerten kommen auf viele Städte große Probleme zu, da die Luftschadstoffe vor allem innerorts gemessen und von der Politik primär dem Verkehr zugeordnet werden. Gut die Hälfte der bundesdeutschen Messstationen hätten 2022 die neuen NO2-Grenzwerte gerissen. Auch wenn sich die Daten trendmäßig verbessern, bleibt z.B. die Situation in München angespannt – aktuell würden die neuen Grenzwerte an 33 von 59 Stationen nicht eingehalten.

Problematisch für Autofahrer wird es aber mit Sicherheit werden, wenn die EU nach 2030 im Sinne von „Zero Pollution“ die noch schärferen Grenzwerte der WHO umsetzt (geplantes Nullschadstoffziel). Flächendeckende Einfahrbeschränkungen und Fahrverbote mit erheblichen ökonomischen und sozialen Kollateralschäden werden wahrscheinlich die Eingriffe der Wahl sein.

Finale Begründung jeder Zero-Strategie ist das moralische Argument, mit einer Politikmaßnahme Krankheiten und Todesfälle zu vermeiden. Erinnern wir uns an Null- oder No-Covid, wo mit strikten Lockdowns, Schulschließungen und Ausgangssperren versucht wurde, die Ausbreitung des Corona-Virus zu verhindern und die Fallzahlen auf null zu reduzieren.

Eine notwendige Risikoabwägung mit anderen ökonomischen oder gesellschaftlichen Zielen durfte nicht stattfinden; die Folgeschäden dieser Strategie fallen uns heute auf die Füße. Auch die Zero-Fatalities-Strategie, welche die EU bis 2050 verfolgt, dürfte irgendwann mit der Realität kollidieren.

Selbstverständlich ist jeder Unfalltote einer zu viel, doch zeigt ein Blick in die Unfallforschung, dass ein Niveau von null illusorisch bleibt, wenn wir nicht zwecks Risikovermeidung den Verkehr und damit auch alle ökonomischen Aktivitäten massiv reduzieren.

Selbst Innovationen, die Unfallzahlen vermindern helfen könnten – wie das Autonome Fahren – stehen heute unter dem Vorbehalt, dass im Extremfall nichts Schlimmes passieren darf (Nullrisiko). Nullrisikotoleranz zeigen wir auch gegenüber der Nutzung der Kernkraft, selbst wenn hiermit Millionen Tonnen CO2 gespart werden könnten auf dem Weg zur Klimaneutralität, der sogenannten Netto-Null. Diese soll nach den Plänen der EU in Europa bis 2050 erreicht werden. Setzt man allerdings Null oder „Netto-Null“ als absolutes, allein zulässiges und bereits in 25 Jahren zu erreichendes Ziel, muss zwangsläufig auf eine Abwägung gesellschaftlicher Kosten und Nutzen der dafür notwendigen klimapolitischen Maßnahmen und einen entsprechenden politischen Aushandlungsprozess verzichtet werden.

Ökonomische Kosten und soziale Konflikte als Folge der Klimapolitik werden einfach ausgeblendet oder von der Politik bewusst verschwiegen. Netto-Null als technokratischen und ökonomischen Kategorien nicht zugängliche „Randlösung“ ist am Ende nur über Degrowth und Entmotorisierung zu erreichen, wenn alternative Optionen wie z.B. die Kernkraft ausgeschlossen werden.

Zu befürchten sind daher massive Wohlstandsverluste und Verteilungskonflikte, von denen die Diskussionen um das Heizungsgesetz oder die Gebäudeeffizienzrichtlinie bereits einen Vorgeschmack geliefert haben. Allen genannten Null- oder Zero-Politiken gemein ist die moralische Überhöhung und Verabsolutierung der guten Absicht in Form eines Heilsversprechens.

Wer Zero-Covid, Zero-Pollution oder Zero-CO2 proklamiert, ohne die Kosten der Nulllösung zu benennen, wähnt sich zwar im Besitz moralischer Überlegenheit, bewirtschaftet aber eine Utopie und täuscht sich selbst und die Gesellschaft.

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