München – Marion Höllinger hat ihre Karriere im niederbayerischen Eggenfelden begonnen. 1991 als Auszubildende bei der HypoVereinsbank. Bei der Bank arbeitet sie heute noch, inzwischen allerdings als Vorstandschefin. Seit gut einem Jahr ist sie auf diesem Posten. Wir sprachen mit ihr über die Verfassung der deutschen Wirtschaft, den Immobilienmarkt und die Bankfilialen der Zukunft.
Wie steht es um die deutsche Wirtschaft? Stecken wir in einer vorübergehenden Krise oder geht es in Deutschland strukturell bergab?
Ich würde es anders formulieren: Deutschland steckt mitten in einer Transformation. Das ist, denke ich, die treffendere Beschreibung für die aktuelle Lage.
Transformation von wo nach wo?
Im Wesentlichen gibt es zwei Stränge. Zum einen ist das die Digitalisierung. Da immer mehr ältere Menschen aus dem Berufsleben ausscheiden als jüngere nachrücken, bleibt den Unternehmen gar nichts anderes übrig, als ihre Prozesse zu digitalisieren. Der zweite Transformationsstrang ist die grüne Transformation. Auch hier sind die Unternehmen gezwungen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Was sind die Folgen?
Deutschland ist verglichen mit anderen europäischen Staaten industrie- und exportlastiger. Daher ist die Transformation in Deutschland schwieriger als in anderen Ländern. Aber Deutschland ist definitiv auch nicht der kranke Mann Europas, auch wenn man das immer mal wieder hört und liest.
Warum sind Sie sich da so sicher?
Dafür gibt es zwei Gründe: Wir haben aktuell mit 46 Millionen Menschen eine Rekordbeschäftigung. Das spricht dafür, dass wir uns in einer Transformationsphase und nicht in einer Krise befinden. Zweitens ist die Arbeitslosenquote extrem niedrig, auch das passt nicht zu einer Krise. Nichtsdestotrotz ist die Transformation eine anspruchsvolle Phase für die deutsche Wirtschaft. Dennoch haben wir in Deutschland nach wie vor einen sehr, sehr innovativen Mittelstand und wir sehen nach wie vor starke Bilanzen.
Gibt es in Deutschland eine Lust am Negativen?
Die Stimmung, die wir gerade am Markt wahrnehmen, ist jedenfalls schlechter als die eigentliche Lage. Ich will’s aber auch nicht schönreden, weil die Transformation ist nun einmal ambitioniert. Aus Rückmeldung von unseren mittelständischen Kunden wissen wir, dass aktuell zwei zentrale Themen die Stimmung drücken: Zum einen fehlt es in Deutschland an dringend benötigten öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur. Zum zweiten benötigt der Mittelstand dringend einen Bürokratieabbau.
Wie erklären Sie sich, dass bei den öffentlichen Investitionen so wenig geschieht?
Ohne in die Entscheidungsprozesse involviert zu sein, glaube ich Folgendes: Es fehlt nicht an der Erkenntnis, es fehlt am Mut zur Entscheidung. Einen leichten Schub bei den Investitionen könnte es aber im Herbst geben, wenn es – wie allgemein erwartet – mit den Zinsen leicht abwärts geht. Das dürfte nicht nur zu höheren Privatinvestitionen führen, denn dank höherer Steuereinnahmen hätte die Politik auch wieder mehr Spielraum, staatliche Investitionen zu tätigen.
Nehmen wir an, mit den Zinsen geht es im Herbst tatsächlich leicht bergab: Welche Folgen hätte das am deutschen Immobilienmarkt?
Im privaten Wohnungsbau haben wir gesehen: Viele Bauprojekte wurden wegen der gestiegenen Zinsen aufgeschoben. Jetzt spüren wir aber angesichts der erwarteten Zinssenkungen, dass sich der Markt wieder etwas bewegt. Konkret heißt das: Die Kunden machen sich Gedanken, was sie machen müssen, wenn im Herbst Baubeginn sein soll.
Ist das auch ein günstiges Zeitfenster für den Kauf einer Bestandsimmobilie? Die Zinsen reagieren in der Regel schneller als die Preise am Immobilienmarkt. Und falls im Herbst die Zinsen fallen und die Immobilienpreise im Sinkflug bleiben, könnte das doch ein günstiger Moment für einen Kauf sein.
So ist es. Genau das ist der Grund, weshalb sich jetzt viele auf einen Kauf im Herbst vorbereiten. Sie wollen diese Chance nutzen. Auch bei professionellen Investoren sehen wir Bewegung.
Wie ist die HypoVereinsbank inzwischen am Markt positioniert? Welche Rolle spielen Privatkunden, welche Rolle spielen Firmenkunden?
Grundsätzlich ist wichtig zu wissen: Wir decken als HypoVereinsbank die gesamte Kundenklientel am deutschen Markt ab – von Privatkunden über vermögende Kunden bis hin zu Kleinunternehmern, Mittelständlern und größeren Unternehmen. Aber der Mittelstand ist und bleibt unser Rückgrat, wir sind nun einmal die beste Mittelstandsbank in Deutschland.
Das behaupten andere Institute auch von sich.
Das mag sein, aber wir sind es wirklich. Und unsere Kunden bestätigen uns das auch immer wieder. Rund 70 Prozent unseres gesamten Geschäfts ist auf das mit mittelständischen Unternehmen zurückzuführen. Darüber hinaus sind wir dank unseres internationalen Netzwerks ein wichtiger Partner für große Unternehmen. Wir haben eigene Filialen in Paris und New York, profitieren aber natürlich auch stark von unserer Zugehörigkeit zur UniCredit.
Als Teil der UniCredit ist die HypoVereinsbank von einer Aktiengesellschaft in eine GmbH umgewandelt worden. Warum?
Das ist einfach zu erklären: Die Umwandlung spart uns enorm viel Bürokratie. Das Aktiengesetz ist vor allem für börsennotierte Unternehmen mit vielen Aktionären geschrieben worden. Wir hatten als HypoVereinsbank mit der UniCredit aber 18 Jahre lang nur einen einzigen Aktionär – trotzdem galten für uns sämtliche aktienrechtlichen Vorgaben, zum Beispiel das Abhalten einer jährlichen Hauptversammlung.
Das heißt, die HVB ist im Konzern nicht degradiert worden, wie spekuliert worden war?
Nein. Für uns hat sich mit dieser Formalität nichts geändert, und für unsere Kunden schon gar nicht. Wir können uns weiterhin wie bisher am deutschen Markt strategisch positionieren. Und eines darf man nicht vergessen: Innerhalb der UniCredit-Gruppe sind wir nach der italienischen UniCredit die zweitgrößte Bank der Gruppe. 25 Prozent des Ergebnisses der gesamten Gruppe stammen von der HypoVereinsbank.
Und Mailand funkt Ihnen bei der Strategie nicht dazwischen?
Nein. Die Strategie wird hier in Deutschland geschrieben, innerhalb der Gruppe macht das jede Bank für ihren jeweiligen Markt – im Rahmen gemeinsamer Compliance- und Risiko-Standards. Das Gruppen-Ergebnis ist am Ende die Summe der Ergebnisse von 13 erfolgreichen Banken in ihren jeweiligen Ländern.
In Deutschland hat die HVB in den vergangenen Jahren etliche Filialen geschlossen. Geht dieser Prozess noch weiter? Wie wichtig ist Ihnen die Präsenz vor Ort?
Präsenz vor Ort ist genau das richtige Stichwort: Denn dieses Thema wird in Zukunft immer wichtiger werden. Die Frage ist nur: Wie sieht diese Präsenz konkret aus?
Und wie lautet Ihre Antwort?
Wie jede Supermarkt- oder Drogeriekette schauen wir uns unsere Standorte jedes Jahr genau an. Wir schauen, wie die Standorte genutzt werden und welche Dienstleistungen unsere Kunden nachfragen. Daher ist es auch in Zukunft möglich, dass der ein oder andere Standort nicht mehr benötigt wird. Aber es wird gleichzeitig auch Standorte geben, die wir neu eröffnen werden.
Passiert das schon?
Ja, beispielsweise haben wir in Dortmund und Bremen neue Standorte eröffnet. Die sehen aber anders aus als eine klassische Bankfiliale.
Das heißt?
Vor zwei Jahren haben wir einen Filialtyp eingeführt, in dem wir ausschließlich Beratung anbieten. Solche Filialen befinden sich auch nicht zwingend im Erdgeschoss, wie man das früher von einer Bank gewohnt war. Eine solche Filiale kann genauso gut im zweiten Stock sein. Denn wir beobachten Folgendes: Die Kundenberatung vor Ort wird immer noch sehr intensiv nachgefragt. Das ganze Tagesgeschäft mit dem Zahlungsverkehr machen unsere Kunden aber mehr und mehr im Internet – Covid hat das Ganze noch beschleunigt.
Planen Sie solche Berater-Filialen auch in der Region München?
München ist etwas anders aufgestellt, da wir hier traditionell ein vergleichsweise dichtes Filialnetz haben, aktuell haben wir hier mehr als 20 Standorte.
Wenn Bankgeschäfte immer mehr ins Internet wandern, dürften auch Probleme mit Cyberkriminalität und Online-Betrug zunehmen. Wie gehen Sie damit um?
Das Thema gewinnt tatsächlich immer mehr an Relevanz. Wir haben ein Team, das unsere Firmenkunden gezielt unterstützt, wenn sie mit dem Thema Cyberkriminalität konfrontiert sind. Manche mag das überraschen, aber heute arbeiten bei einer Bank nicht mehr nur die typischen Banker, sondern auch immer mehr IT-Spezialisten. Und um Betrugsmuster zu erkennen, greifen wir immer öfter auch auf Künstliche Intelligenz zurück. Trotzdem kann es bei dem Thema IT-Sicherheit oft auch um ganz profane Dinge gehen: Wir müssen zum Beispiel dafür Sorge tragen, dass unsere Kunden sichere Passwörter beim Online-Banking nutzen und nicht die Ziffernfolge „12345“.
Wie gelingt es Ihnen, nach einem anstrengenden Tag im HVB-Tower abzuschalten?
Die Antwort ist einfach: Ich gehe täglich laufen. Das ist der beste Ausgleich nach einem anstrengenden Tag.
Interview: Corinna Maier und Sebastian Hölzle