Ein Staatsbesuch für Instagram

von Redaktion

VON MIKE SCHIER

Chengdu – Und plötzlich drückt ihm irgendwer diesen Stoffpanda in die Hand. Markus Söder, der Staatsgast aus dem fernen Bayern, steht in der Giant Panda Research Base im chinesischen Chengdu – und knuddelt ein Stofftier. Er streichelt es, er küsst es sogar. Mehrmals. Die Diplomaten schauen irritiert. Die Kameraleute und Fotografen aber bekommen gar nicht genug. Und Söder erst recht nicht. Fünf Tage China. Die erste richtig große Auslandsreise des Ministerpräsidenten seit Langem. Und der Auftakt erfolgt nicht in Peking, sondern im Südwesten des Landes, drei Flugstunden von der Hauptstadt entfernt.

Chengdu ist eine dieser chinesischen Megastädte, die in Europa keiner kennt. Mehr als 20 Millionen Einwohner, Hochhäuser, Shopping Malls, westliches Flair. Während der Pandemie wurde die Provinz Sichuan, deren Hauptstadt Chengdu ist, quasi per Videoschalte zur dritten bayerischen Partnerregion im Reich der Mitte. Und jetzt ist Söder endlich persönlich da, um das mit einer Unterschrift unter einem Abkommen zu dokumentieren.

Wer Söder kennt, weiß: Das steife Protokoll mit dem starken Mann der kommunistischen Partei ist nur kurzes Pflichtprogramm. Gleich der erste Termin am Montagmorgen führt zum Date mit den Pandas – dem aus Stoff und den echten. Pandas sind das Symbol Chengdus, an fast jeder Straßenecke finden sich Poster und Symbole. In der Aufzuchtstation, die einem amerikanischen Naturpark gleicht, leben 250 Pandas. Seit Kurzem auch wieder die beiden in Berlin geborenen Pit und Paule, die den Besuch des bayerischen Ministerpräsidenten mit Berliner Ignoranz ertragen. Auf dass die Kamerateams bald weiterziehen.

Ja, es ist ein Tag der Fototermine. Nach den Pandas geht’s zum Wuhou-Schrein. Und dann zur Magnetschwebebahn (Text unten). Irgendwann, auf einem Fußballplatz bei einem Mädchen-Spiel, wird es sogar Söder fast zu viel. Der FC Bayern, Adidas, Playmobil – alle wollen noch Bilder. Es werden Trikots überreicht. Und eine überdimensionierte Playmobilfigur. Das FC-Bayern-Maskottchen „Bernie“ springt herum. Eine Staatsreise für Instagram.

Die Opposition daheim kocht schon. „Reisefotos, Panda-Kuscheltier, Essen – über Ihre Posts freut sich die chinesische Regierung sicher… Wann sprechen Sie die kritischen Punkte an?“, fragt SPD-Chef Florian von Brunn.

Tatsächlich ist der Hintergrund ernster, als es Söders Bilderflut erwarten lässt. Es ist einiges ins Rutschen geraten in den Beziehungen zwischen China und dem Westen. In Washington sieht man das große Reich zunehmend als den eigentlichen Systemrivalen. Und Berlin betont in seiner China-Strategie, auf die sich die Bundesregierung im Sommer einigte, zwar die wichtige Handelspartnerschaft, pocht aber auf stärkere Unabhängigkeit. Der Schreck über die Energieabhängigkeit von Russland soll sich in China bei kritischen Rohstoffen nicht wiederholen. Es gehe nicht um die Abkopplung, hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einst betont, „aber am Ende des Weges soll die deutsche Wirtschaft robuster dastehen“.

Von Abgrenzung ist bei Söder wenig zu hören. Das Abkommen mit Sichuan eröffne neue Chancen. Sowohl der Parteisekretär der Kommunistischen Partei als auch der Gouverneur nehmen sich Zeit für ihn. Diplomaten vor Ort raunen, ein gemeinsamer Auftritt der beiden sei sehr ungewöhnlich. „Hier gibt es viele Investitionen bayerischer Unternehmen“, sagt Söder. Nicht nur Siemens, Wacker, Audi oder BMW. „Wir wollen den Begleitschutz geben.“ Es sei wichtig, dass sich die Politik engagiere. Söders Delegation, die ohne Wirtschaftsvertreter auskommt, sei die größte im Südwesten seit der Pandemie, heißt es in Diplomatenkreisen. Den Stellenwert erkennt man auch daran, dass die verstopften Straßen für Söders Kolonne gesperrt werden. Die Einladung fürs nächste Oktoberfest steht. Sichuan plant ein Büro in Bayern, über eine Universitäts-Kooperation wird gesprochen.

Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft begrüßt Söders Reise ausdrücklich. Es gehe jetzt darum, „eine Balance zwischen Wettbewerb, Systemrivalität und Partnerschaft für die Beziehungen zu China zu finden“, hat ihm Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt mitgegeben. Man müsse Vertrauen und Stabilität herstellen. Den Unternehmen fehle, was die Ökonomen ein „Level Playing Field“ nennen. Zu Deutsch: Gleiche Voraussetzungen für Unternehmen hier wie dort, ein fairer Marktzugang. „Hier muss und kann Europa selbstbewusster gegenüber China auftreten“, sagte Brossardt.

Söders Leute haben eine ganze Liste mit kleineren und größeren Problemen bayerischer Firmen dabei. Widersprüchlich ist das alles trotzdem. Die Ohren und Augen des Staates sind allgegenwärtig. Die Pandemie hat die Kontrollwut noch mal verschärft. Andere ziehen sich zurück, sagt Söder. Bayern wolle in diese Lücke stoßen. „Natürlich gibt es Unterschiede, natürlich werden die Unterschiede auch angesprochen“, sagt Söder. „Aber es bringt wenig Ergebnisse, einen Partner zu belehren.“

In der Bundesregierung werde das unterschiedlich gehandhabt. Die Grünen sind besonders kritisch. Finanzminister Christian Lindner (FDP) musste vergangenen Mai sogar eine Reise absagen – kein Gesprächspartner hatte Zeit für ihn. „Wir sind da eher auf der gleichen Linie wie der Bundeskanzler“, sagt Söder. Olaf Scholz wird in drei Wochen in China erwartet.

Für Söder aber geht es nicht nur um China. Es geht auch um Söder. In Berlin will er zeigen, dass er nicht nur in der bayerischen Provinz zu Hause ist. Das letzte Wort in der K-Frage ist ja immer noch nicht gesprochen. Außerdem muss der Koalitionspartner mitansehen, wer sich wirklich um die Wirtschaftsthemen kümmert. Hubert Aiwanger hatte dagegen vergangene Woche einen stundenlangen Borkenkäfer-Termin. Diese Woche gehört der Besuch des Umspannwerks in Pleinting zu den Höhepunkten.

Söder dagegen reist heute weiter nach Peking. Wenn er doch noch Grundsätzliches über Menschenrechte, Taiwan oder auch die Spionageaktivitäten ansprechen will, ist es dort besser angebracht. Morgen trifft er sogar Regierungschef Li Qiang, die Nummer zwei im Staat – für das kleine Bayern keineswegs eine Selbstverständlichkeit.

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