INTERVIEW

„Wir brauchen mehr Planungssicherheit“

von Redaktion

VW-Nachhaltigkeitschef über das Verbrenner-Aus und Zulieferer-Skandale

Dirk Voeste: Es gehe darum, Schritte in die richtige Richtung zu machen, sagt der Nachhaltigkeitschef von VW. © Marcus Schlaf

Ein elektrischer ID.4 im VW-Werk in Emden: Volkswagen elektrifiziert seine Modellreihe konsequent. Anders als bei manchen anderen Anbietern gibt es von den E-Fahrzeugen keine Derivate mit Verbrennern. © DAVID HECKER/AFP

München – Fast zehn Jahre ist der Skandal nun her, trotzdem denken viele bei Volkswagen immer noch an den Schummeldiesel. Der Konzern will das ändern, setzt voll auf die Elektromobilität und hat sich nun eine Nachhaltigkeits-Strategie gegeben. Dirk Voeste, der neue Nachhaltigkeitschef des Wolfsburger Weltkonzerns, reist deshalb durch die Lande und verkündet diese. Ein guter Anlass, um mit ihm auch über Themen wie E-Mobilität, das Verbrenner-Aus oder Zwangsarbeit in der Lieferkette zu sprechen.

Herr Voeste, Sie sind 2023 vom Chemiekonzern BASF zu Volkswagen gewechselt, um dort Nachhaltigkeitschef zu werden. Sicher nicht der einfachste Job. Was hat Sie da geritten?

Wir haben das am Sonntag am Frühstückstisch diskutiert und meine Tochter meinte: Du machst das jetzt. Ich hab das so angenommen, immerhin geht es auch um ihre Zukunft. Wir haben uns letztes Jahr bei Volkswagen zusammengesetzt und eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie ausgearbeitet. Unsere Vision ist, einen positiven Beitrag für die Natur und die Gesellschaft zu leisten.

Ich würde mal behaupten, ein Auto ist nie ein positiver Beitrag für die Natur.

Wenn man das rein auf das Auto bezieht, womöglich nicht. Auf den gesamten Konzern bezogen ist das aber durchaus möglich. Wir wollen bis 2040 rund 40 Prozent der Materialien aus Recycling gewinnen, um Ressourcen zu schonen. Unsere europäischen Werke sind alle schon auf grünen Strom umgestellt, weltweit wird das bei der ganzen Gruppe bis 2030 der Fall sein, bis 2040 wollen wir komplett CO2-neutral sein. Und mit Kompensationsmaßnahmen kann man rechnerisch tatsächlich in den positiven Bereich kommen.

Sie wollen mehr Recycling. Geht es Ihnen dabei auch um Kosteneinsparungen und Sicherheit in der Lieferkette?

Nachhaltigkeit hat viele Dimensionen: Die ökologische, die gesellschaftliche, aber auch eine wirtschaftliche. Wir wollen den Konzern für uns und unsere 680 000 Mitarbeiter sicher für die Zukunft aufstellen. Kreislaufwirtschaft. Der Einsatz von Erneuerbaren Energien und die Reduktion von Materialien ist ein Teil davon. Dabei geht es nicht nur um Batterierohstoffe, sondern auch um Stahl, Alu, Glas oder Plastik. Der ID Buzz hat schon jetzt bis zu einem Viertel an Recyclingmaterial in sich.

Bei Batterierohstoffen wie Kobalt oder Lithium sind Sie ab 2031 gesetzlich verpflichtet, mehr Recyclingmaterial zu verwenden. Geht das überhaupt?

Die Vorgabe ist im Prinzip richtig. Bisher gibt es aber noch nicht genug E-Autos und damit wiederverwertbare Batterien auf dem Markt. Das kann zu der absurden Situation führen, dass wir funktionstüchtige Batterien, die problemlos ein zweites Leben haben könnten, schreddern müssen, um die Recyclingquote zu erfüllen. Mit dem Hochlauf der E-Mobilität werden aber immer mehr Batterien aus den Autos zurück in den Kreislauf kommen. Dann wird sich das Angebot an recycelten Rohstoffen verbessern.

Der größte Hebel in Sachen Nachhaltigkeit für Sie als Autobauer ist aber, den CO2-Ausstoß Ihrer Autos auf Null zu senken.

Das stimmt. Die Dekarbonisierung in der ganzen Wertschöpfungskette ist das vorrangige Ziel und die Elektromobilität das Mittel, um dieses Ziel zu erreichen.

Bei manchen anderen Herstellern klingt das nicht mehr so überzeugt.

Wir bei VW planen in Europa mit dem Verbrenner-Aus im Jahr 2035. Ab dann werden wir zumindest in Europa nur noch Elektro-Autos auf den Markt bringen. Das gilt für die Marke VW und für alle anderen Marken im Konzern wie zum Beispiel Audi, Porsche oder Skoda. Wir werden wie geplant auch aus der Entwicklung der Verbrenner-Technik aussteigen.

Keine Verlängerung?

Es kann schon sein, dass es noch die eine oder andere Nachjustierung im Zeitplan gibt, wenn die Kunden das wünschen.

Also doch.

Alles in allem steht der Fahrplan. Unsere ganze Energie fließt in die Entwicklung neuer E-Autos. 2030 werden wir konzernweit rund 50 neue E-Modelle auf dem Markt haben. Auch bei den Nutzfahrzeugen läuft die Transformation.

Union und FDP wollen das für 2035 geplante Verbrenner-Aus in der EU wieder abräumen, um die deutsche Autoindustrie zu retten. Was halten Sie davon?

Die Rolle rückwärts beim Verbrenner-Aus wird uns nicht retten, sie kann sogar kontraproduktiv sein. Jeder hat nur limitierte Ressourcen zur Verfügung. Nur wenn wir uns voll auf die E-Mobilität konzentrieren, können wir die Stärke, die wir als deutsche Autoindustrie haben, auch im internationalen Wettbewerb ausspielen. Hinzu kommt: Wenn wir dekarbonisieren wollen – und das müssen wir – kommen wir an der E-Mobilität nicht vorbei.

Ärgert Sie die aktuelle Debatte?

Wir als Industrie brauchen langfristige Planungssicherheit und klare Aussagen. Wir können nicht einfach den Schalter schnell hin- und wieder herlegen, da die Investitionen bei uns über viele Jahre laufen. Wir bauen Batteriefabriken, entwickeln Modelle und und rüsten unsere Produktionsstätten auf E-Mobilität um. Das kann man nicht einfach über Nacht rückgängig machen. Das Hin und Her verunsichert auch die Autokäufer, was wir aktuell bei den Absätzen zu spüren bekommen.

Die Euphorie für E-Autos ist derzeit weg. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Das sehe ich nicht so – fast niemand wechselt vom E-Auto zurück auf den Verbrenner. Es gibt jedoch eine Verunsicherung beim Verbraucher, wenn man zugesagte Anreize wie die staatliche Förderung von einem Tag auf den anderen streicht. Mit solch einem Signal, hoher Inflation und Wirtschaftskrise sagen sich die Kunden: Die Umwelt kann warten, dann kaufe ich eben den günstigeren Verbrenner oder fahre mein altes Auto weiter.

Wann werden E-Autos endlich erschwinglich?

Der Hochlauf wird die Batteriepreise nach unten bringen, das ist absehbar. Und wir werden auch günstigere Modelle produzieren. So wird es ab 2026 auch von uns Elektro-Modelle um 25 000 Euro geben.

Der US-Senat hat gerade VW, BMW, Volvo und Jaguar Land Rover kritisiert, weil Sie mit Zwangsarbeit in China hergestellte Teile für US-Autos verwendet haben sollen. Wie können solche Dinge passieren?

Die Teile von einem chinesischem Unternehmen kamen über einen US-Zulieferer. Wir haben sofort reagiert und die Behörden aktiv informiert. Inzwischen werden keine Fahrzeuge mehr mit den fraglichen Bauteilen produziert. Die Untersuchung zu diesem Fall läuft, mehr kann ich Ihnen nicht dazu sagen.

Wie kann man so etwas künftig verhindern?

Wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst. Wir haben allein 63 000 direkte Zulieferer. Im Rahmen unserer Nachhaltigkeitsstrategie haben wir uns klare Ziele für die Validierung dieser Lieferanten gesetzt, die wir systematisch implementieren.

VW steht auch wegen einer Fabrik in der Region Xinjiang in Kritik, wo es systematische Menschrechtsverletzungen geben soll.

Wir haben eine unabhängige Prüfung in Auftrag gegeben und dort wurden die Vorwürfe nicht bestätigt. Das Werk ist ein Joint Venture mit dem chinesischen SAIC-Konzern und wir sind mit unserem Partner immer im Dialog, auch zu kritischen Themen. Momentan befinden wir uns in fortgeschrittenen Gesprächen mit unseren Partnern über die künftige Ausrichtung der Geschäftsaktivitäten in der Region. Verschiedene Szenarien werden intensiv geprüft.

Sieht das Ihre Tochter auch so? Oder müssen Sie zu Hause viel Kritik einstecken?

Feedback bekomme ich oft von meiner Tochter, auch von meinem Sohn. Ich bin froh, dass ich da keinen wöchentlichen Rechenschaftsbericht abgeben muss. Beide sagen jedoch, dass wir das richtige Thema treffen und Schritte in die richtige Richtung machen. Aber eine nachhaltige Transformation geht eben nicht von heute auf morgen. Wirtschaftlich ist das einfach nicht möglich.

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