„Sicher ist man an der Börse nie“

von Redaktion

Fondsmanager Jens Ehrhardt über Geldanlage, Playboys, Betrug und 50 Jahre DJE Kapital

Jens Ehrhardt im Konferenzraum seines Firmensitzes in Pullach. Die Bilder hinter ihm stammen von seinem Vater, der Filme und Fotos gemacht hat. Ehrhardt will ihm bald ein eigenes Museum widmen. © Marcus Schlaf

Pullach – Er ist mit dem Playboy Gunter Sachs um die Welt gereist und hat als Hanseat in München seinen Platz gefunden: Der Vermögensverwalter Jens Ehrhardt gilt als Grandseigneur der deutschen Geldanlage. Am 20. Juni 1974 hat er seine Vermögensverwaltung DJE in München gegründet, damals noch als Einzelkämpfer. Im 50. Jubiläumsjahr hat seine Firma nun 180 Mitarbeiter und verwaltet rund 16 Milliarden Euro an Kapital.

Herr Ehrhardt, Sie haben sich 1974 als Vermögensverwalter selbstständig gemacht. Wie war das damals?

Ich hatte davor schon bei einer Vermögensverwaltung gearbeitet, kannte das Geschäft also. Trotzdem war das ein Sprung ins kalte Wasser. Ich hatte Frau und Kinder, bekam plötzlich kein Fixgehalt mehr. Ich saß alleine mit einer Sekretärin da und musste selbst Kunden auftreiben. Aber: Wer wagt, gewinnt. Ich habe den Schritt in die Selbstständigkeit nie bereut.

Ihr Vater war im Filmgeschäft. Wäre das nicht spannender als Börse gewesen?

Er wollte tatsächlich, dass ich seine kleine Firma in Hamburg übernehme. Seine Hauptarbeit war, Vorfilme für das Kino zu machen. Ein gutes Geschäft, denn es gab damals eine steuerliche Ermäßigung, wenn vor dem eigentlichen Kinofilm ein künstlerisch wertvoller Vorfilm gezeigt wurde. Mein Vater war aber eine ziemlich dominante Persönlichkeit, man hatte wenig Chance, unter ihm beruflich zu wachsen.

Sie wollten nicht der Junior sein?

Es gab charakterliche Inkompatibilitäten. Außerdem hatte ich eher die Kaufmanns-Gene meiner Mutter geerbt. Deshalb habe ich mich nach München verabschiedet und BWL studiert. Ich habe hier schnell viele Freunde gefunden, als Preuße in Bayern ist das nicht selbstverständlich. Letztlich bin ich bis heute hier geblieben.

Deutschland ist eine Sparernation. Gab es in den 1970ern überhaupt genug Menschen, die Geld anlegen wollten?

Vor allem die Vermögenden. Ich habe damals zufällig Gunter Sachs kennengelernt, er war dann einer meiner ersten Kunden. Er galt als Lebemann und Playboy, interessierte sich sehr für Kunst, war aber auch ein Zahlenmensch mit Leidenschaft für die Börse. Er war sehr großzügig, hat mich mit auf Reisen nach Saint-Tropez oder Amerika genommen und zu seinen Partys eingeladen.

Die galten als legendär.

Es waren dort sehr viele schöne Frauen, wobei das für mich gar nicht so ausschlaggebend war, ich war ja liiert. Ich habe über Gunter aber viele weitere Kunden kennengelernt, die mir ihr Geld anvertraut haben. Das hat gerade am Anfang sehr geholfen, als ich nur Kundenvermögen betreut habe. Das Geschäft mit den Investmentfonds fing ja erst in den 1980ern an.

Das klingt nach viel Party und wenig Arbeit.

Falsch. Kundengeld zu betreuen bedeutet Verantwortung und Arbeit. Eigentlich bin ich mal wegen des Skifahrens nach Bayern gekommen, doch das musste ich bald an den Nagel hängen. Ich stehe meist um sieben Uhr auf und checke die Börsenkurse in Asien. Dann gehe ich bis 18 Uhr ins Büro. Nach dem Abendessen setze ich mich dann oft noch bis Mitternacht an den Schreibtisch.

Straffer Arbeitstag!

Ja, ich arbeite auch oft am Wochenende. Meine Strategie war immer: Nicht in guten Börsenphasen der Beste sein, sondern in Crashs und Krisen wenig verlieren. Da muss man immer auf der Hut sein. Urlaube habe ich mir oft verkniffen und selbst wenn ich heute im Sommer mal auf meinem Segelschiff im Mittelmeer bin, behalte ich die Börse im Auge. Dafür habe ich in Krisen immer gut abgeschnitten. Das schätzen die Kunden. Früher gab es viele Vermögensverwalter in München, die heute alle weg sind. Uns gibt es nach wie vor.

War es Ihr Ziel, einmal 16 Milliarden zu verwalten?

Nein. Ich bin nicht Gerhard Schröder, der immer Bundeskanzler werden wollte. Ich hätte DJE übrigens schon oft für viel Geld verkaufen können, habe es aber aus Rücksicht auf meine heute 180 Mitarbeiter und wegen der Kunden nie getan. Und aus Rücksicht auf meinen Sohn, der hier mein Nachfolger wird.

An der Börse läuft heute alles über das Internet, riesige Summen verschiebt man mit wenigen Klicks.

Früher war auf dem Parkett die Hölle los, die Händler gaben ihre Orders schreiend auf – sehr eindrucksvoll! Als Vermögensverwalter saß man viel im Büro, Kurse liefen auf Papierstreifen aus einem Ticker ein, man hing dauernd am Telefon. Man handelte auch viel mehr mit heimischen Aktien als heute.

Weil Informationen aus dem Ausland kaum zugänglich waren?

Auch. Es gab damals aber auch die starke Mark. Wegen der Stabilitätspolitik der Bundesbank wertete sie meist gegen Dollar oder Yen auf, dann waren alle ausländischen Kursgewinne wegen Währungsverlusten sofort futsch. Die EZB zielt jetzt eher auf einen weichen Euro. Für uns Anleger ist das gut, weil wir keine großen Währungsverluste mehr fürchten müssen – auch wenn ich persönlich mit diesem Inflations-Kurs nicht einverstanden bin.

Wie kamen Sie damals an Informationen?

Ich kannte fast alle Dax-Vorstände persönlich und bin sehr viel herumgereist. Vor Ort kriegt man einfach den besten Eindruck. Man muss den Leuten in die Augen schauen.

Auch heute, wo man alle wichtigen Informationen aus dem Internet bekommt?

Na klar. Bei Wirecard haben mir die Vorstände überhaupt nicht gefallen. Braun und Marsalek waren für mich wirklich komische Typen. Jetzt sitzt der eine im Knast und der andere in Moskau. Ich habe anders als viele Kollegen die Finger von den Aktien gelassen. Obwohl Wirecard im Dax war und damit in vielen ETFs.

Stichwort ETFs: Die bilden Indizes stur ab und schlagen damit die meisten Fondsmanager.

Der von mir gemanagte FFM-Fonds hat 34 Jahre lang im Schnitt knapp acht Prozent Gewinn pro Jahr gemacht und die Vergleichsindizes geschlagen. Das gehört eigentlich ins Guinness Buch der Rekorde und zeigt, dass aktive Aktienauswahl weiter Sinn macht. Dass die meisten Fondsmanager schlechter als ETFs abschneiden, ist eine Tatsache. Aber manche schlagen die Indizes eben doch.

Wieso glauben Sie, dass Sie das auch in Zukunft schaffen?

Mit ETFs setzt man oft viel zu sehr auf ein paar große Techriesen wie Apple, Alphabet, Microsoft oder Nvidia. Die Chancen bei kleineren und mittelgroßen Werten können viel größer sein, weil sie im Vergleich zu den US-Riesen lange zurückgeblieben sind. Das Gleiche gilt für europäische Aktien. Die US-Techriesen sind dagegen so hoch bewertet, wie es Aktien zuletzt im Jahr 2000 waren. Und da ging es bald schmerzhaft abwärts.

Damals gab es einen riesigen Hype um Internetaktien. Sie hielten sich da raus. Weshalb?

Es kamen alle möglichen Leute und zeigten mir ihre Depots, die voll mit dubiosen Neue-Markt-Aktien waren, manches davon war schlicht Betrug. Die Leute interessierte das aber nicht, sie waren gierig. Ich setzte dagegen immer auf Unternehmen, die reale Waren herstellten und ein stabiles Geschäft hatten, die Firma Kali und Salz zum Beispiel, kurz K+S. Die Leute nannten mich „Mister K+S“ und spotteten: „Der Ehrhardt reitet ein totes Pferd!“ Dann stürzten die Internetaktien ab, K+S verzehnfachten sich aber als beste deutsche Aktie bis 2007.

Lassen sich Börsenkurse vorhersagen?

Es gibt zumindest Faktoren, die Kurse stark beeinflussen: Geldpolitik und Zinsen etwa, Unternehmensgewinne oder die Frage, wer alles im Markt ist. Ist wie im Neuen Markt jeder mit an Bord, wird die Sache gefährlich, weil es zu viele schwache Hände gibt, die irgendwann hinwerfen. Man darf sich aber nicht der Illusion hingeben, dass man die Kurse wirklich voraussagen kann. Manchmal brechen über einen unerwartete Dinge wie Covid oder der Ukraine-Krieg herein und dann geht es plötzlich abwärts. Sicher ist man an der Börse nie.

Auch jetzt nicht, wo die Börsen auf Rekordniveau sind?

Nein. US-Anleihen werfen im Moment über fünf Prozent Rendite pro Jahr ab, gleichzeitig sind US-Aktien sehr teuer. In der Vergangenheit war das immer ein schlechtes Zeichen für die Aktienmärkte, weil viele Großinvestoren dann in sicherere Anleihen als in Aktien investieren. Es sieht aber auch nicht ganz schlecht aus, vor allem in Europa, wo die Zinsen im Moment tiefer sind als in den USA und auch früher als dort sinken werden, weil die Inflation hier nicht so hartnäckig ist wie in Amerika.

Was hat Sie in Ihrer Karriere besonders geprägt?

Beruflich war es der Börsencrash 1987. Da ging es so schnell nach unten – so etwas habe ich seither nie wieder erlebt. Manche Kollegen hatten in dieser Zeit so hohe Verluste, dass sie sich umgebracht haben. Persönlich war es wohl der Tsunami in Thailand. Ich war im Meer als die Welle kam, konnte mich aber noch auf eine Steilküste retten – viele andere Menschen leider nicht. Da geht einem viel durch den Kopf: Die Familie, die Firma und die Frage was passiert, wenn man plötzlich nicht mehr da ist.

Nun ist auch Ihr Sohn schon länger in der Firma. Nimmt das etwas Druck weg?

Mein Sohn ist schon seit etwa 20 Jahren mit an Bord und managt jetzt sogar den Hauptteil des Geldes. Er ist auch mit einem Drittel an der Firma beteiligt, ich mit der Hälfte. Wir beraten uns, aber er geht seinen eigenen Weg, hat sich mehr nach Amerika orientiert und hat dort direkten Zugang zu Konzernen wie Apple. Das ist eine starke Leistung, die lassen nicht jeden an sich heran.

Aber ganz loslassen können Sie nicht?

Ich will weitermachen. Mein Beruf ist mein Hobby, er fällt mir nicht zur Last. Ich bin zwar 82, aber die Investmentlegende Warren Buffett ist mittlerweile 94 und immer noch am Ruder. Deshalb: Zwölf Jahre mache ich das hoffentlich mindestens noch.

Interview: Andreas Höß

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