Berlin – Ein sozialpolitisches Kernvorhaben der Ampel-Koalition geriet zum Zankapfel, später sogar zum Druckmittel für den Finanzminister. Schließlich jedoch stimmte das Bundeskabinett am Mittwoch nach monatelangem Streit für das sogenannte Rentenpaket II. Es soll die Weichen stellen für eine in Zukunft finanziell tragfähige und dennoch sozial gerechte Altersvorsorge. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sprach von einer „Zäsur“. Das Paket muss noch in den Bundestag.
Was ist das Problem am derzeitigen Rentensystem?
Bis in die 1990er-Jahre konnte sich das System selbst finanzieren, weil vielen Beitragszahlenden verhältnismäßig wenig Rentnerinnen und Rentner entgegenstanden. Heute sind die Vorzeichen umgekehrt: Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in diesem Jahrzehnt in Rente, die Zahl der Beitragszahlenden zieht nicht im gleichen Maß nach. Kamen im Jahr 1992 noch 2,7 Beitragszahlende auf einen Rentner, sind es inzwischen weniger als zwei. Für das Jahr 2050 wird ein Verhältnis von etwa eins zu 1,3 erwartet.
Was heißt das?
Dass das System langfristig als unfinanzierbar gilt. Schon in den vergangenen Jahren ist der jährliche steuerfinanzierte Zuschuss auf mehr als 80 Milliarden Euro gestiegen. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, müsste entweder der Beitragssatz steigen, das Rentenniveau sinken oder das Renteneintrittsalter erhöht werden. Letzteres würde faktisch eine Rentenkürzung bedeuten, weshalb die SPD und deren Kanzler Olaf Scholz dies ablehnen.
Wie löst das Rentenpaket II das Problem?
Die Regierung hat sich zum einen auf die Einführung des sogenannten Generationenkapitals geeinigt. Damit hat sich die FDP durchgesetzt, die langfristig eine reine, sogenannte Aktienrente als vierten Pfeiler der Altersvorsorge in Deutschland neben der gesetzlichen Rente sowie der betrieblichen und privaten Versorgung anstrebt. Im Gegenzug soll das Rentenniveau von 48 Prozent des durchschnittlichen Einkommens langfristig stabil bleiben. Laut Gesetzentwurf ist das mindestens bis 2039 garantiert, bisher würde die Zusage 2025 auslaufen. Damit löst die SPD ein Kernversprechen ihres Wahlkampfs ein. Um die Garantie des Rentenniveaus zu finanzieren, soll der Beitragssatz mittelfristig sukzessive steigen. Dieser liegt derzeit bei 18,6 Prozent und wird von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hälftig geteilt. Geplant ist nun ein Anstieg auf zunächst 20 Prozent im Jahr 2028 und von 2035 an auf 22,3 Prozent. Die Regierung nennt dies „vertretbar“.
Worum geht es beim Generationenkapital genau?
Das Generationenkapital ist der Einstieg in die teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung. So soll ein Fonds eingerichtet werden, den der Bund mit Grundkapital füllt. Eine öffentlich-rechtliche Stiftung soll das Geld verwalten und fast ausschließlich in Aktien anlegen. Die erhofften Renditen sollen der gesetzlichen Rentenversicherung zufließen.
Was kostet das den Staat?
Kurz- und mittelfristig muss der Staat für den Aufbau des Generationenkapitals in Vorleistung gehen, also weitere Kredite aufnehmen. Eine Anrechnung bei der Schuldenbremse erfolgt nicht. Dieses Jahr will der Bund zwölf Milliarden Euro für den künftigen Rentenfonds bereitstellen. In den folgenden Jahren sollen die Beträge jeweils um drei Prozent anwachsen, im Jahr 2045 sind somit Einzahlungen von 22,3 Milliarden Euro vorgesehen. Die Bundesregierung verweist darauf, dass durch die Kapitalisierung langfristig der Staatshaushalt nicht stärker belastet werde. Bis 2035 wird mit einem Kapitalstock von 200 Milliarden Euro gerechnet. Eine erste Ausschüttung von zehn Milliarden Euro ist 2040 geplant. 2045 sollen die geschätzten jährlichen Rentenausgaben laut Projektion der Bundesregierung zu bei gleichbleibendem Rentenniveau rund 802 Milliarden Euro betragen – das wäre mehr als eine Verdoppelung der heutigen Kosten.
Warum wurde das Rentenpaket zum Politikum?
Anfang März demonstrierten Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) noch Eintracht bei der Vorstellung der Pläne. Doch seither gibt es Gegenwind von der FDP. Die Liberalen fordern stärkere Arbeitsanreize im Alter und ein Ende der abschlagsfreien Rente mit 63 aus Rücksicht auf die jüngeren Generationen.
Was sagen Kritiker?
„In den nächsten 20 Jahren werden 500 Milliarden Euro mehr für die Rente ausgegeben“, sagte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, dem Magazin „Spiegel“. Das Rentenpaket sei das teuerste Sozialgesetzbuch im 21. Jahrhundert. „Die Zeche zahlen die Jüngeren. Ihnen werden die Kosten für den demografischen Wandel aufgebürdet“, warnte Dulger. afp