Cordelia Schmid und ihre Mitarbeiter forschen seit vielen Jahren daran, Künstliche Intelligenz besser zu machen. Ihr Schwerpunkt ist das autonome Erkennen von Gegenständen. © Europäisches Patentamt
München – Wenn ein modernes, mit Sensoren bestücktes Auto ohne Zutun des Fahrers vor einem Fußgänger bremst, ist das zum Großteil der 56-jährigen Mainzerin zu verdanken. „Als ich angefangen habe, war es für Computer schwierig, in einem Bild einen Würfel als solchen zu erkennen“, sagt Cordelia Schmid. Das war 1993. Seitdem forscht sie daran, Maschinen so zu Künstlicher Intelligenz zu verhelfen, dass sie selbstständig und ohne menschliche Hilfe erkennen, was auf einem Bild dargestellt ist. „Man kann das auch auf dreidimensionales Sehen ausweiten“, sagt die Informatikerin zu den von ihr und ihren Teams entwickelten Algorithmen. Dafür wurde sie heuer für den Europäischen Erfinderpreis nominiert, den das Europäische Patentamt in München im Juli vergibt.
Der Preis nimmt für sich in Anspruch, Forscher auszuzeichnen, die Lösungen für die größten Herausforderungen unserer Zeit gefunden haben und durch ihre Erfindungen tiefgreifende gesellschaftliche Auswirkungen auslösen. „Unsere Algorithmen können in vielen Bereichen von autonom fahrenden Autos über Serviceroboter bis zur Medizintechnik Verbesserungen für viele Menschen erreichen“, sagt Schmid. Zugleich ist die Pionierin des maschinellen Sehens überzeugt, dass man mit den Anwendungen, die ihre Algorithmen erlauben, mehr oder weniger noch am Anfang steht.
Darüber, wohin das alles noch führen kann und wie schnell, will sie aber nicht viel spekulieren. Nur eine Perspektive für Blinde, maschinell sehend durch die Welt zu navigieren, spricht sie an. Wie schwierig Voraussagen sind, erläutert die Forscherin am autonomen Fahren im Endstadium ganz ohne menschlichen Fahrer. Ein Auto benötigt dann nicht einmal mehr ein Lenkrad, weil algorithmusbasierte KI jede Fahrsituation sicher beherrscht.
„Dazu braucht es in Echtzeit 100 Prozent Zuverlässigkeit“, erklärt Schmid. Zwar machten menschliche Fahrer Fehler. Einem selbstfahrenden Auto würden die aber nicht zugestanden. An diesen 100 Prozent sei man schon nahe dran, aber eben noch nicht ganz. Wann es so weit sei, werde in Forscherkreisen unterschiedlich beurteilt. Zwei Jahre sagen die einen, 30 Jahre andere.
„Wir müssen besser verstehen, warum ein Algorithmus mal was Falsches sagt“, erklärt sie. Wann es so weit ist, sei seriös nicht zu beantworten. Deshalb ist die Pionierin mit Prognosen in ihrem Metier so zurückhaltend. Jahrzehntelanges Forschen am selben Thema hat sie demütig gemacht. Einer Maschine das Sehen auf menschlichem Niveau beizubringen, ist ein Großteil dessen, was heute als Künstliche Intelligenz verstanden wird und Wirtschaft gleichermaßen wie Gesellschaft oder Philosophie beschäftigt.
Daran geforscht hat die Mainzerin, die als Kind Pilotin werden wollte, große Teile ihres Berufslebens jenseits deutscher Grenzen. Vom Karlsruher Institut für Technologie führte der Weg nach ihrem Masterabschluss zur Promotion ins französische Grenoble ans Informatik-Institut INP. Dann zog sie zur Forschung weiter ins britische Oxford Robotics Institute. „In Deutschland war Computerforschung damals nicht so verbreitet“, erklärt Schmid diesen Schritt. Heute ist sie die Hälfte ihrer Arbeitszeit Forschungsdirektorin am Pariser Informatik-Institut Inria. Die andere Hälfte forscht die Frau, die KI das Sehen lehrt, für den US-Konzern Google, um akademische Theorie und industrielle Praxis zu verschmelzen. So schließt sich die Lücke zwischen theoretischer KI-Forschung und deren praktischer Anwendung immer mehr.
Bedenken, dass sich KI von sich aus einmal selbstständig macht und sich menschlichem Zugriff entwindet, teilt sie dagegen nicht. „Solche Ängste halte ich für unbegründet, aber wir brauchen natürlich Kontrollmechanismen und einen verantwortungsvollen Ansatz“, sagt Schmid ernst. Ihr Gesicht hellt sich dann aber gleich wieder auf, wenn sie über die Fortschritte spricht, die sehende Autos oder Assistenzroboter, Bilder erkennende Suchmaschinen oder Röntgenaufnahmen analysierende Maschinen für jedermann mit sich bringen. „Verantwortungsvoll entwickelt hat die KI das Potenzial, unsere Gesellschaft zu revolutionieren, auf die gleiche Weise, wie es die Dampfmaschine und der elektrische Strom getan haben“, sagt sie.