Frankreichs Wirtschaft zittert vor Wahlen

von Redaktion

Sorgen um wirtschaftsfreundlichen Regierungskurs – Wahlversprechen trotz Sparzwang

Schreckgespenst Rechtspopulisten: Marine Le Pen mit dem Spitzenkandidaten der Rassemblement National zur Europawahl, Jordan Bardella. Frankreichs Wirtschaft fürchtet eine Politikwende. © Thomas Padilla / dpa

Paris – Frankreich hat wegen seines Haushaltsdefizits in Höhe von 5,5 Prozent eben erst einen blauen Brief aus Brüssel bekommen – doch zehn Tage vor den Neuwahlen überbieten sich die Parteien gegenseitig mit satten Wahlversprechen. Die überraschende Auflösung der Nationalversammlung nach dem Sieg der Rechtspopulisten bei der Europawahl hat die Wirtschaft kalt erwischt. Nun sorgt sie sich um die Zukunft nach der Parlamentswahl am 30. Juni und 7. Juli.

Mit der unternehmerfreundlichen Politik von Präsident Emmanuel Macron dürfte vorerst Schluss sein. Nach Umfragen wird das Regierungslager zusammenschrumpfen und zwischen zwei Blöcken eingekeilt werden, deren Wirtschaftspolitik deutlich von der bisherigen abweichen dürfte. In den vergangenen Jahren hatte Macron, ein ehemaliger Investmentbanker, ausländische Investoren umworben, Start-ups gepampert und Unternehmern ihre Geschäfte erleichtert. Das Rentenalter der Beschäftigten setzte er von 62 auf 64 Jahre hoch.

Sowohl die rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN) als auch die links-grüne Neue Volksfront wollen die Rentenreform rückgängig machen. Der RN verspricht außerdem, die Mehrwertsteuer auf Treibstoff und Strom zu senken, eine Maßnahme, die EU-Regeln widerspricht und nach einer Schätzung des Institut Montaigne etwa elf Milliarden Euro kosten dürfte. Das Programm der Neuen Volksfront enthält etwa das Anheben des Mindestlohns von 1400 auf 1600 Euro, gedeckelte Preise für Lebensmittel und Treibstoff und eine Erhöhung des Wohngelds um zehn Prozent. Dies könnte jährlich etwa 29 Milliarden Euro kosten, hat das Institut Montaigne errechnet.

Am Donnerstag bat der Unternehmerverband Medef Vertreter aller Parteien zu einer Art Vorsingen. In einem Pariser Konzertsaal sollten sie die Linien ihrer künftigen Wirtschaftspolitik erläutern. Es war der erste Termin, bei dem RN-Parteichef Jordan Bardella mit seinem neuen Partner Eric Ciotti, dem übergelaufenen Parteichef der Republikaner, gemeinsam auftrat. Ciotti hatte früher mal gefordert, das Rentenalter auf 65 heraufzusetzen. Dies habe „derzeit keine Priorität“, erklärte er, nachdem er sich auf die Seite des RN geschlagen hatte. Seine Anwesenheit bei der Medef-Veranstaltung sollte offensichtlich die versammelten Unternehmerinnen und Unternehmer beruhigen. So stellte er zunächst eine Prüfung des Finanzspielraums in Aussicht.

Die beiden Vertreter der Neuen Volksfront erklärten ihrerseits unverzagt, dass sich ihr Programm durch mehr Wachstum finanzieren lasse. Zudem appellierten sie an die „Solidarität und den Wirtschaftspatriotismus der Milliardäre“. Der Sozialistenchef Olivier Faure hatte zuvor betont: „Wir greifen denjenigen in die Taschen, die es sich leisten können.“

Der Chef der Deutsch-Französischen Industrie- und Handelskammer in Paris, Patrick Brandmaier, hat in diesen Tagen viele Unternehmer angehört, die sich Sorgen um die künftige Wirtschaftspolitik machen, sei sie vom RN oder von der Neuen Volksfront geprägt. In beiden Fällen könne Frankreich mittelfristig unattraktiver werden für Investoren, fürchtet er. Sollten die Rechtspopulisten an die Macht kommen, drohe zudem eine Abkehr von der EU und vom internationalen Handel. „Das löst Ängste aus“, meint Brandmaier. Er verweist auf das RN-Vorhaben einer nationalen Bevorzugung, die ausländische Unternehmen oder Auftraggeber benachteiligen würde – was zudem EU-Regeln widerspreche.

Offen ist auch, wie es mit den großen deutsch-französischen Rüstungsprojekten weitergeht, also dem gemeinsam entwickelten Kampfjet und Kampfpanzer. Bislang hatte der RN gefordert, aus diesen Vorhaben auszusteigen. Beim Besuch der Rüstungsmesse Eurosatory machte Bardella jedoch eine Kehrtwende und sicherte das Festhalten an internationalen Verträgen zu.

Die Rechtspopulistin Marine Le Pen, die bei der nächsten Präsidentschaftswahl erneut antreten will, interpretierte die negative Reaktion der Finanzmärkte auf die politische Lage in Frankreich als ein Missverständnis. „Die kennen nur die Karikatur unseres Programms. Wenn sie es lesen, finden sie es vernünftig“, sagte sie.
AFP

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