Für den Hauptangeklagten Markus Braun könnte es eng werden. © Peter Kneffel
München – 19 Monte lang hat Stephan von E. geschwiegen. So lange sitzt der Ex-Chefbuchhalter von Wirecard als einer von drei Mitgliedern einer mutmaßlichen Betrügerbande auf der Anklagebank des Landgerichts München. Weil er so hartnäckig schweigt und im Gegensatz zum mitangeklagten und früheren Konzernchef Markus Braun sowie dem Kronzeugen Oliver Bellenhaus von nachgeordneter Prominenz ist, war er im Strafprozess um den kollabierten Skandalkonzern bislang eher eine Randfigur. Das könnte sich nun fundamental ändern. „Mein Mandant hat entschieden, zur Aufklärung beizutragen“, kündigte seine Anwältin Susanne Stetter vor Gericht an. Zwei volle Prozesstage lang Mitte Juli wolle er seine Sicht der Dinge schildern und danach auch alle Fragen beantworten.
Dieser Sinneswandel des dritten Angeklagten kommt nicht aus heiterem Himmel. Ihm vorangegangen waren zwei Rechtsgespräche mit dem vorsitzenden Richter Markus Födisch hinter verschlossenen Türen. Aus ihnen hatte dieser dann vor Kurzem berichtet. Er stelle von E. eine Gefängnisstrafe zwischen sechs und acht Jahren in Aussicht, falls dieser ein „qualifiziertes Geständnis“ ablege, erklärte Födisch. Denn es sei „schwer vorstellbar, dass er nicht beteiligt gewesen“ war. Damit meint der Richter die dem Trio zur Last gelegten Taten gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Untreue sowie Bilanz- und Börsenmanipulation, was bei Anlegern, Banken und anderen einen Milliardenschaden hinterlassen hat.
Von E. will nun offenbar reden, um ein noch härteres Urteil als rund sieben Jahre Freiheitsentzug zu vermeiden. Ohne Geständnis könnte auch das Doppelte drohen. Stetter nennt die geplante Wortmeldung ihres Mandanten vorerst eine Einlassung. „Ob es ein Geständnis wird, das wird man sehen“, ließ sie offen. Nach den Erklärungen ihres Mandanten könne es zudem Sinn machen, ein drittes Rechtsgespräch mit Födisch zu führen.
In dem könnte sie dann ausloten, ob von E. das geliefert hat, was der Richter für sechs bis acht Jahre Gefängnis als angemessen hält. Dazu halten sich der Ex-Chefbuchhalter und seine Anwältin eine weitere Hintertür im Anschluss an ein drittes Rechtsgespräch offen. „Es ist auch denkbar, dass die Einlassung noch ergänzt wird“, erklärte Stetter. Auf ein juristisches Feilschen deutet das skizzierte Prozedere hin. Es kreist um eine Frage. Wie viel Geständnis braucht es, um nicht für mehr als acht Jahre hinter Gitter zu müssen?
Diese Realität ist nach gut eineinhalb Prozessjahren nun offenkundig bei von E. angekommen. Lange hatte er im laufenden Mammutprozess darauf spekuliert, wegen psychischer Probleme als schuldunfähig davonzukommen. Erst im Mai waren diese Hoffnungen aber zerstoben. Experten unter Führung des gerichtserfahrenen Psychiaters Norbert Nedopil hatten dem Angeklagten nach monatelanger Begutachtung eine „psychopathologisch unauffällige Persönlichkeit“ attestiert.
Gesteht aber der Ex-Chefbuchhalter, droht damit auch die Verteidigungsstrategie des Hauptangeklagten Braun in sich zusammenzufallen. Der Ex-Chef von Wirecard bestreitet bislang jede Schuld und skizziert eine Version der Wahrheit, in der er selbst ein getäuschtes Opfer ist. Täter sind demnach Kronzeuge Bellenhaus und der flüchtige Wirecard-Topmanager Jan Marsalek gewesen, der in Russland vermutet wird.
Für Braun wäre ein Geständnis des mit ihm lange im Leugnen vereinten von E. ein zweiter Tiefschlag binnen kurzer Zeit. Vor einem Monat hat der ehemalige Wirecard-Chef seinen Anwalt Alfred Dierlamm verloren, weil er ihn nicht mehr bezahlen kann. Dafür hatte Braun eine von Wirecard abgeschlossene Manager-Haftpflichtpolice angezapft und auf diese Weise rund 15 Millionen Euro für seine Verteidigung ausgegeben. Dann hatten die Versicherer aber Gerichtsurteile erwirkt, um nicht mehr weiter zahlen zu müssen. Dazu sind sie unter anderem bei vorsätzlichen Straftaten berechtigt. Braun wird nun nur noch von Pflichtverteidigerinnen vertreten. Auch ihnen dürfte klar sein, was die Stunde geschlagen hat, wenn von E. am 17. und 18. Juli auspackt. Es könnten denkwürdige Prozesstage werden.