INTERVIEW

„Wir sind nicht das Finanzamt“

von Redaktion

Gema-Chef Tobias Holzmüller über Musiklizenzen

Der Tuba-Brunnen vor dem Gema-Gebäude im Stadtteil Haidhausen ist 7,5 Meter hoch und nach Erich Schulze benannt, der nach dem Zweiten Weltkrieg die Gema aufgebaut hat. © MM

München – Ein Backsteinbau am Münchner Gasteig, davor ein Brunnen in Form einer überdimensionalen Tuba: Dass hier am Rosenheimer Platz in München ein milliardenschwerer Konzern sitzt, weiß kaum jemand. Fällt sein Name, sind die Reaktionen gemischt: Die Gema hat nicht nur Fans. Ihr Chef Tobias Holzmüller will das ändern und erklärt, wieso es gerade im Digitalzeitalter wichtiger ist, die Rechte der Künstler zu schützen.

Herr Holzmüller, angenommen, ich schmeiße eine Party mit 100 Gästen und Musik. Muss ich Gema-Gebühr bezahlen?

Zunächst würde ich gerne eine Begrifflichkeit klarstellen: Wir verlangen keine Gebühren, sondern eine Vergütung für das Recht, die Musik einer Künstlerin, eines Künstlers oder einer Band abzuspielen.

Verstanden. Trotzdem: Muss ich zahlen?

Das hängt davon ab, ob es eine öffentliche oder private Feier ist, bei der Sie die geladenen Gäste persönlich kennen. Bei einer privaten Feier – einem Geburtstag, einer Hochzeit, einer Familienfeier – besteht keine Vergütungspflicht.

In Bayern übernimmt der Freistaat für gemeinnützige Vereine die Gema-Zahlungen. Ist das ein sinnvolles Modell?

Die Ehrenamts-Pauschale in Bayern ist ein Pilotprojekt, das bis 2027 läuft. Bayern war das erste Bundesland, mit dem wir so etwas vereinbart haben. Nach jetzigem Stand ist die Pauschale eine Erfolgsgeschichte und eine kluge Lösung für beide Seiten. Sie entlastet das Ehrenamt in bürokratischer und wirtschaftlicher Hinsicht und hilft den Künstlern. In Thüringen vereinbaren wird gerade ein ähnliches Modell und ich kann mir vorstellen, dass das auch in anderen Bundesländern Schule macht.

Für viele andere Feste gilt das nicht. Letztes Jahr gab es viel Kritik, dass Weihnachtsmärkte plötzlich mehr zahlen mussten.

Anders als oft dargestellt gab es keine Preiserhöhung. Unser 2018 ausgehandelter Tarif gilt nach wie vor. Er richtet sich nach der Fläche und der Dauer der Veranstaltung. Viele Märkte eröffneten schon im November, dauerten also länger als in den Vorjahren. Das war der erste Grund für die höheren Lizenzgebühren.

Und der zweite?

Wir haben in einigen Fällen nachgemessen und festgestellt, dass viele Märkte größer waren als in der Anmeldung angegeben. Deshalb wurde es teurer. Für die Musik fallen aber trotzdem nur wenige Cent Lizenzkosten pro Besucher an. Das ist gemessen am Umsatz verschwindend gering – und einen Weihnachtsmarkt ohne Musik möchte ich mir nicht vorstellen.

Sie messen Flächen nach und schauen auch auf Facebook, ob Veranstaltungen angemeldet sind. Muss das sein?

Ja, wir müssen schließlich dafür sorgen, dass die Rechte der Urheber an den Musikwerken gewahrt sind. Das ist unser gesetzlicher Auftrag und das erwarten auch unsere Mitglieder.

Sie wurden schon als Raubritter und Musik-GEZ tituliert. Ärgert Sie das?

Klar, wir sind ja nicht das Finanzamt, sondern ein Verein mit 95 000 Mitgliedern: Musikern, Songwritern, Komponisten, Textern. Wir helfen ihnen, dass sie von ihrem Beruf leben können. Ohne unsere Erträge müssten viele von ihnen aufhören, Musik zu machen. Dann wäre unser Kulturleben um einiges ärmer. Haben Sie schon einmal vom Zuckerwasser-Prozess gehört?

Erzählen Sie.

Ende des 19. Jahrhunderts kamen in Frankreich die Salon-Orchester auf. Eine Gruppe Musiker saß damals in einem Kaffeehaus und trank das Modegetränk der Zeit: Zuckerwasser. Plötzlich hörten sie, dass das Orchester eines ihrer Lieder spielte. Als der Wirt mit der Rechnung kam, haben sie eine Gegenrechnung aufgemacht, weil ja ihre Musik für die Gäste gespielt wurde. Das hat zu einem langen Prozess geführt, bei dem geklärt wurde, ob bei der öffentlichen Wiedergabe eines Musikstücks auch der Komponist entlohnt werden muss. Das war die Geburtsstunde des urheberrechtlichen Aufführungsrechts, mit dem wir bis heute Musiknutzung lizenzieren. Weil niemand die Zeit hatte, alle Bühnen abzuklappern, hat sich damals auch die erste Gewerkschaft der Komponisten gegründet, zu deren Nachfolger Verwertungsgesellschaften wie die Gema zählen.

Drücken sich viele um Gema-Zahlungen?

Wir haben hunderttausende Lizenzkunden in Deutschland. Das sind meist keine Privatnutzer, sondern professionelle Veranstalter, etwa Konzertveranstalter, Gastronomie, Einzelhandel, Radio, Fernsehen, Streamingdienste. Die überwältigende Anzahl stellt den Grundsatz, dass Musik vergütet wird, nicht in Frage.

Mit Plattformen wie Youtube und Streaming-Diensten wie Spotify haben Sie mächtige Verhandlungspartner. Ist es schwieriger geworden, die Rechte der Künstler einzufordern?

Die Vertragswerke sind jedenfalls länger und komplizierter. Wir haben mit Youtube sieben Jahre gekämpft, dass Musik auf Online-Plattformen überhaupt vergütet wird und die Plattformen nicht einfach selbst festlegen, wie viel sie an die Musiker zahlen wollen. Aber wir können nicht alles über den Verhandlungsweg klären, manchmal muss der Gesetzgeber tätig werden und einen rechtlichen Rahmen schaffen. Das war hier der Fall. Nun haben wir Verträge mit allen großen Online-Plattformen, ein Drittel unserer Einnahmen stammt heute aus dem Bereich.

Hat die Digitalisierung ihr Geschäft verändert?

Seit der Erfindung des Grammophons mussten wir unser Geschäftsmodell immer wieder anpassen: denken Sie an Radio, Fernsehen, die CD und so weiter. Mit der Digitalisierung werden selbst wir zum Digitalunternehmen, weil wir zum Beispiel jeden Stream einzeln abrechnen. Die Datenmengen explodieren dadurch. Aber auch die Musik entsteht heute oft anders.

Inwiefern?

Die Künstliche Intelligenz verändert die Musikkreation. Es gibt bereits erste KI-Systeme, die auf Knopfdruck automatisiert Musik erstellen.

Was ist das Problem?

Die KI ist nur deshalb in der Lage, Musik zu produzieren, weil sie mit Musik gefüttert wird, die irgendwann von Menschen geschrieben wurde. Man geht davon aus, dass viele KI-Systeme zum Beispiel mit der Musik auf Youtube trainiert werden. Die Urheber dieser Musikvorlagen hat aber keiner um Erlaubnis gefragt und es fließt auch keine Vergütung der KI-Firmen zurück an sie. Dafür wird die Welt mit endloser Umsonst-Musik geflutet, die auch noch in Konkurrenz zur Musik der menschlichen Urheber tritt, ohne die es die KI-Stücke nicht geben würde. Das ist zutiefst ungerecht.

Was fordern Sie?

Wir möchten eine Vergütung für Komponisten, mit deren Musik die KI gefüttert wurde.

Wie wollen Sie eigentlich nachweisen, von wem die Musik ist?

Öft ist erkennbar, was die Vorlage war. Wenn ein KI-Stück nach Abba klingt, dann war wohl Abba die Vorlage. Aber auch eine generelle Abgabe der KI-Konzerne, die an alle Künstler ausgeschüttet werden, ist denkbar. Schließlich durchforstet die KI Millionen von Werken nach Melodien, bestimmten Songmustern und so weiter. So würde die Abgabe der ganzen Branche zugutekommen.

Glauben Sie, die KI-Konzerne lassen sich darauf ein?

Sie sollten jedenfalls ein Eigeninteresse daran haben. Anders als oft gesagt ist KI nicht kreativ, sondern ahmt bekannte Dinge nach. Gibt es keine Musikerinnen und Musiker mehr, die neue Stücke auf den Markt bringen, dreht sich die KI nur noch um sich selbst. Ohne den Input des Menschen wäre am Ende alles ein Brei ohne neue Impulse und Ideen. Interview: Andreas Höß

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