„Müssen uns Milliarden zurückholen“

von Redaktion

Nach ihrem Wechsel zur Bürgerbewegung Finanzwende sagt die frühere Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker Steuerhinterziehern abermals den Kampf an. Finanzkriminalität werde in Deutschland zu häufig als Kavaliersdelikt angesehen. „Es geht aber um Milliarden, die uns allen fehlen und die wir endlich zurückholen müssen.“

Im Cum-Ex-Skandal standen Banken im Fokus. Die polizeilichen Ermittlungen konzentrierten sich auf Banken, wie die Hamburger MM Warburg oder (wie hier im Bild) die ABN Amro in Frankfurt. © Frank Rumpenhorst, dpa

München – Anne Brorhilker wirkt sichtlich befreit. „Ich kann nun sagen, was ich als Oberstaatsanwältin nicht sagen konnte“, erklärt Deutschlands bekannteste Ermittlerin in Sachen organisierter Steuerkriminalität. Im April hat sie den Staatsdienst verlassen und auf Macht sowie Pensionsansprüche verzichtet, um seit Juni zivilgesellschaftlich als Geschäftsführerin der Bürgerorganisation Finanzwende gegen Finanzkriminelle und eine mächtige Finanzlobby das Übel an der Wurzel zu packen.

In ihrem Fokus stehen auch Politik und Finanzbehörden. „Wir dürfen Steuerbetrug im Milliardenbereich nicht sanfter behandeln als Sozialhilfebetrug“, lautet Brorhilkers Credo. Ihre erste Schlacht in neuer Funktion gilt Steuerdiebstahl mittels sogenannter Cum-Cum-Geschäfte.

Dabei geht es um Aktiengeschäfte mit (lateinisch cum) Dividendenanspruch, für die ausländische Aktieninhaber steuerpflichtig sind oder besser gesagt wären. Denn diese Steuerpflicht wurde oft kriminell umgangen. Unmittelbar vor dem Dividendenstichtag würden Aktien betroffener deutscher Firmen kurzfristig zu deutschen Banken transferiert, beschreibt Brorhilker die Praktiken. „Dividend holidays“ also Dividendenurlaub nenne man das im Fachjargon. Konservativ geschätzt seien dem deutschen Fiskus bis 2021 dadurch 28,5 Milliarden Euro an Steuern vorenthalten worden, was vor allem in Zeiten klammer Staatskassen nicht hinnehmbar sei.

Das Vorgehen ist kein legaler Trick, wie Täter in Nadelstreif suggerieren. Vielmehr hat der Bundesfinanzhof (BFH) diese Praxis 2015 für illegal erklärt und dazu genaue Kriterien definiert. Damit hätten die Finanzbehörden von Bund und Ländern umgehend tätig werden und Steuergeld zurückholen müssen, stellen Brorhilker und Finanzwende-Mitgründer Gerhard Schick klar.

Dem war aber nicht so. Jahrelang habe das damals von Wolfgang Schäuble (CDU) geführte Bundesfinanzministerium per Schreiben an die Finanzverwaltungen seine schützende Hand über die vom BFH für illegal erklärte Geschäfte gehalten und Steuerrückzahlungen verhindert.

Abweichend vom BFH-Urteil sei darin der Begriff „positive Vorsteuerrendite“ eingeführt worden, der angeblich legales Vorgehen mit sich bringt. Was sich genau dahinter verbirgt, werde nicht wirklich erklärt, betont Brorhilker und vermutet die Finanzlobby als Urheber. „Ich kenne die Täter und weiß, wie sie arbeiten“, sagt sie über ihre Zeit als Oberstaatsanwältin in Köln. Als solche hat sie Steuerbetrug mittels Cum-Ex-Geschäften erfolgreich verfolgt, mehrfach zur Anklage gebracht und Verurteilungen erwirkt.

Cum-Cum- und Cum-Ex-Vergehen gingen in der Praxis oft Hand in Hand, erklärt die Expertin. Es seien vielfach identische Akteure am Werk. Wobei der Steuerschaden durch die Cum-Cum-Variante um ein Dreifaches höher ausfalle. Die Taktik der Steuerkriminellen und ihrer Lobbyisten sei jeweils ähnlich. An sich klare und illegale Sachverhalte würden gezielt verkompliziert, um den Anschein von Legalität zu erzeugen. Im Fall von CumCum-Betrug geschehe das mit dem Terminus positive Vorsteuerrenditen.

„Die Finanzlobby ist interessiert, Cum-Cum fortzusetzen und hat sich eine Exit-Strategie ausgedacht“, erklärt Brorhilker die lange erfolgreiche Steuervermeidung im großen Stil. Nach dem Schreiben von 2016 des Bundesfinanzministeriums hätten nämlich Länderfinanzministerien den Begriff der positiven Vorsteuerrenditen aufgegriffen und entgegen des BFH-Urteils keine Steuern nachgefordert. Erst 2021 habe das Bundesfinanzministerium damals unter dem heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seine irrige Auffassung korrigiert und damit die Blockade auf Länderebene gelöst. Seitenweise seien Unterlagen geschwärzt worden.

So manche Erklärungen zur Auskunftsverweigerung sei entlarvend. Man könne die Fragen nicht beantworten, weil das die „Funktionsfähigkeit der Verwaltung“ oder „den Kernbereich der Exekutive“ gefährde, habe das Bundesfinanzministerium in Berlin erklärt. Anfang dieser Woche hat es sich nach einer Auskunftsklage von Finanzwende eines Besseren besonnen und 100 Seiten an Informationen geschickt, die Brorhilker & Co. aber noch nicht auswerten konnten.

Finanzkriminalität werde in Deutschland zu häufig als Kavaliersdelikt angesehen. „Es geht aber um Milliarden, die uns allen fehlen und die wir endlich zurückholen müssen“, so die Ex-Anklägerin.

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