Markus Braun, ehemaliger Chef von Wirecard, sitzt seit mittlerweile rund vier Jahren in Untersuchungshaft. © Sven Hoppe, dpa
München – Besonderes liegt in der Luft am 139. Verhandlungstag des Münchner Wirecard-Prozesses. „Soviel Aufmerksamkeit hatten wir noch nicht einmal am ersten Tag“, sagt Richter Markus Födisch mit Blick auf volle Besucherbänke. Denn heute will der bislang abseits stehende dritte Angeklagte erstmals sein Schweigen brechen. Das ist mit Stephan E. der Ex-Chefbuchhalter des Skandalkonzerns aus Aschheim. Dessen Bilanzen und andere Zahlenwerke, von denen man heute weiß, dass sie gefälscht waren, gingen vor allem auch über seinen Tisch. Zwei Tage lang will er reden und sich allen Fragen stellen. Gegen ein Geständnis hat Födisch ihm ein milderes Urteil in Aussicht gestellt. Die Erwartungen im Gerichtssaal sind hoch. Aber es soll ganz anders kommen.
Schon einer der ersten Sätze setzt den Ton. „Ich bin kein Buchhalter“, sagt der Mann, der 14 Jahre lang Chefbuchhalter war. Als Wirtschaftsingenieur sei er eigentlich nicht qualifiziert gewesen für den Job, den er für sich selbst überraschend 2006 bekommen habe. Man kann deshalb nicht erwarten, dass er Bilanzbetrug oder Untreue durchschaut hat, soll das wohl heißen. Vize-Finanzvorstand sei er zudem nur formell gewesen.
Dazu sei zeitliche Überforderung gekommen. „Ich kam mir zeitweise vor wie ein Jongleur, der keine Zeit hatte, sich eingehend mit den Bällen zu befassen“, beschreibt er seinen Alltag. Zu viele Bälle – sprich Zahlenwerke und Abrechnungen – habe er gleichzeitig in der Luft halten müssen. Im Wesentlichen habe er ohne große Entscheidungsbefugnisse nur bilanzielle Informationen weitergereicht, Dokumente oft nur durchgeblättert, auch nicht immer alle E-Mails lesen können und dabei möglicherweise „etwas übersehen“.
Nur an einer Stelle kommt einmal kurz so etwas wie Selbstkritik auf. „Ich hätte innehalten müssen und habe Fehler gemacht, die ich bereue“, räumt E. ein. „Das eine oder andere, was zu tun gewesen wäre, konnte nicht getan werden“, beteuert er und entschuldigt sich bei Wirecard-Geschädigten dafür. Persönlich bereichert habe er sich nie.
Als Fehler sieht Stephan E. auch seine frühere Einschätzung des heutigen Kronzeugen Oliver Bellenhaus an, der mit ihm zeitweise auf dem gleichen Flur bei Wirecard gearbeitet hat. „Er ist gut im Lügen und Verdrehen, das habe ich zu meiner Zeit auch nicht gemerkt“, sagt E. Die Staatsanwaltschaft und das Gericht solle sich deshalb nicht grämen, heute den Falschaussagen von Bellenhaus zu verfallen, findet der dritte Angeklagte großzügig. Die anderen beiden sind neben besagtem Bellenhaus mit Markus Braun der Ex-Chef von Wirecard.
Große Teile seiner Einlassung, die einmal ein Geständnis erhoffen ließ, widmet E. dem geständigen Kronzeugen oder vielmehr dessen Demontage. „Er war extrem egoistisch und auf seinen persönlichen Vorteil bedacht“, charakterisiert der Chefbuchhalter ihn. Das sind noch die netteren Passagen. Bellenhaus sei auch ausländerfeindlich, habe ein problematisches Frauenbild und sei ihm gegenüber wegen großer Gehaltsunterschiede geradezu hasserfüllt und von Neid zerfressen gewesen. Vielleicht komme daher sein Belastungseifer.
Bellenhaus hat gestanden, viele wichtige Dokumente gefälscht und Geschäfte frei erfunden zu haben, um Wirecard auf dem Papier zu einer erfolgreichen Firma zu machen. Dabei hat er auch Stephan E. und Braun schwer als Teil einer gemeinsam handelnden Bande beschuldigt. Diese Bandenmitgliedschaft streitet E. nun entschieden ab.
Was Födisch von den Worten des dritten Angeklagten hält, ist noch nicht erkennbar. Das „qualifizierte Geständnis“, das der Richter zuvor im Gegenzug für eine auf sechs bis acht Jahre begrenzte Haftstrafe in Aussicht gestellt hatte, hat es jedenfalls nicht gegeben.