Großes Festspielhaus in Salzburg: Siemens hat einen Digitalen Zwilling für Veranstaltungssäle entwickelt, um die Akustik und Struktur solcher Gebäude eins zu eins digital nachzubilden. © Daniel Scharinger, IMAGO
3D-Simulation des Großen Festspielhauses. © Siemens
Salzburg – Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2021 lässt Siemens-Chef Roland Busch kaum eine Gelegenheit aus, zu betonen, wohin sich der Konzern entwickeln soll: Siemens wolle, so wiederholt Busch regelmäßig, die reale Welt mit der digitalen Welt verbinden. Das klingt abstrakt, schlägt sich aber in allen Teilen des Konzerns in echten Produkten und Dienstleistungen nieder. Gestern demonstrierte Siemens in Salzburg, dass die Verbindung von digitaler und realer Welt selbst vor dem Kunstbetrieb keinen Halt macht.
Stephan Frucht, Künstlerischer Leiter des Siemens Arts Programms, und Kristina Hammer, Präsidentin der Salzburger Festspiele, präsentierten einen Digitalen Zwilling des Großen Festspielhauses, der die Akustik des Gebäudes eins zu eins nachbilden soll.
Digitale Zwillinge sind in der Industrie nichts Neues: Von ganzen Fabriken, Fertigungsstraßen und Produkten gibt es heute Kopien in Form von Nullen und Einsen. Neu ist das Einsatzgebiet in Konzertsälen. Das Versprechen von Siemens: Veranstaltungsbetreiber sollen in der Lage sein, virtuell zu erkunden, wie sich die Akustik bei unterschiedlichsten Saalkonfigurationen verändert, um das bestmögliche akustische Szenario auszuwählen.
Stephan Frucht von Siemens Arts nennt ein Beispiel: Ein junger Disponent der Berliner Philharmoniker plant einen Auftritt im Salzburger Festspielhaus und will wissen, ob er 14 oder 16 Geigen auf die kostspielige Reise nach Österreich mitnehmen soll – allerdings kennt er die akustischen Gegebenheit im Großen Festspielhaus nicht. Dank des Digitalen Zwillings soll er jetzt die Möglichkeit haben, sich in Berlin eine 3D-Brille mit Kopfhörern aufzusetzen, um das virtuelle Orchester in unterschiedlichen Besetzungen spielen zu lassen. „Man muss sich darauf verlassen können: So klingt das Festspielhaus“, sagt Frucht. Am Ende spare das Geld.
Die Geometrie des Saals, die verbauten Materialien, Sitze – alles müsse in der Simulation berücksichtigt werden, erklärt Peter de Clerck von Siemens. „Alles hat einen großen Einfluss auf die Akustik.“ Siemens hat das Große Festspielhaus vermessen lassen, in einem Studio haben Musiker die Instrumente eingespielt, im Digitalen Zwilling wurden reale und digitale Welt verbunden. „Der große Vorteil der digitalen Zwillinge ist, dass man viele Wenn-dann-Szenarien durchführen kann“, sagt Peter de Clerck.
Siemens entwickelt schon heute Akustiksimulationen, etwa um die Schallemissionen von Flugzeugtriebwerken oder Autos zu simulieren. Daher könne er, sagt Peter de Clerck, auch gar nicht genau beziffern, wie hoch die Entwicklungskosten für das Projekt in Salzburg gewesen seien, das Projekt habe im Konzern eher einen Start-up-Charakter gehabt.
Überraschend: Siemens verlangt von der Festspielleitung in Salzburg auch kein Geld und will den Digitalen Zwilling nicht verkaufen. Siemens sei seit 30 Jahren Partner der Salzburger Festspiele, betonte Festspiel-Präsidentin Kristina Hammer, dabei gehe es nicht nur ums Geld. „Das Schöne bei uns ist, dass Sponsoren über die Jahre mehr als das sind, sie sind echte Partner.“
Stephan Frucht sagt, da Simulationslösungen generell Teil des Siemens-Geschäfts seien, ließe sich im Vertrieb des Konzerns das Festspielhaus in Zukunft als plastisches Beispiel nutzen, um potenziellen Kunden die Technologie zu erklären. Aber ein direktes kommerzielles Interesse verfolge Siemens mit dem Projekt in Salzburg nicht. Gleichzeitig plant Siemens, mit Partnern weitere Säle digital zu erschließen – in Deutschland und England.
Denkbar ist auch, dass bereits bei der Planung eines neuen Konzertsaales die Akustik mit der Software simuliert wird. Ein möglicher Anwendungsfall: München. Nach einer „Denkpause“ der Staatsregierung ist nun doch geplant, in der Landeshauptstadt ein neues Konzerthaus zu bauen – wenn auch in abgespeckter Form. „Da könnten unsere Erkenntnisse optimalerweise einfließen“, sagte Stephan Frucht. Er sei sich sicher, dass Siemens gefragt werde – sofern das Konzerthaus tatsächlich gebaut werde.