Der Chefbuchhalter von Wirecard verwickelte sich nach seiner Aussage in Widersprüche. © Sven Hoppe/dpa
München – Selten findet ein Richter in einem laufenden Wirtschaftsstrafprozess so klare Worte. „Ich glaube das nicht, was Sie uns gesagt haben, ist schlicht falsch“, sagt Richter Markus Födisch an die Adresse von Stephan von Erffa. Der Richter leitet den Wirecard-Strafprozess, in dem von Erffa als früherer Wirecard-Chefbuchhalter einer von drei Angeklagten ist. Gut zwei Tage lang hatte dieser nach gut eineinhalb Jahren des Schweigens zuvor seine Unschuld beteuert und Staatsanwaltschaft sowie den ebenfalls angeklagten Kronzeugen Oliver Bellenhaus heftig angegriffen. Was von Erffa wohl als Befreiungsschlag geplant hatte, stößt beim Richter aber auf völliges Unverständnis. Er braucht auch nur wenige Minuten, um das Bild der Unschuld zum Platzen zu bringen, das der Ex-Chefbuchhalter wortreich von sich gezeichnet hatte.
Dazu muss man wissen, dass Wirecard vor der Pleite 2020 auf dem Papier nur durch asiatisches Geschäft mit sogenannten Drittpartnern (TPA) eine stark wachsende und hochprofitable Firma war. Große Teile des Umsatzes und zeitweise der ganze Gewinn des Zahlungsdienstleisters ging auf das TPA-Geschäft zurück, das aber nach heutigen Erkenntnissen frei erfunden war. Womit Födisch von Erffa nun massiv ins Schleudern und in höchste Erklärungsnot bringt, ist eine Liste, die einige dutzend Posten enthält. Das sind vorläufige Quartalsabschlüsse von Wirecard, die von Erffa in seinen 14 Jahren als Chefbuchhalter erstellt hat.
Schwarz eingefärbt sind jene Gelegenheiten, zu denen TPA-Daten nachweislich des E-Mail-Verkehrs von Wirecard vor Erstellung des jeweiligen Abschlusses vorgelegen haben, wie es eigentlich zwingend notwendig ist, wenn alles mit rechten Dingen zugeht. Rot eingefärbt sind jene Quartale, wo die fundamental wichtigen TPA-Daten erst nachträglich eingegangen sind, wie es eigentlich nicht sein dürfte. Von nicht einmal einer Handvoll Quartale abgesehen, ist die Liste durchgängig rot. „Das passt nicht zu dem, was Sie sagen und das ist der zentrale Punkt“, stellt Födisch klar.
Zuvor hatte von Erffa den Eindruck eines peniblen Buchhalters erweckt, der selbst bei Wirecard-Vorständen hartnäckig auf korrekte Fahrtkostenabrechnungen bestanden haben will. Quartalsabschlüsse hat er dagegen fast immer berechnet, obwohl wesentliche Teile des Zahlenwerks nicht vorlagen. Das sorgt nicht nur beim Richter für Ungläubigkeit. Von Erffa wiederum beteuert, schon Daten zum TPA-Geschäft gehabt zu haben und zwar in Form von Screenshots per Messengerdienst Telegram. Nur ordnungsgemäß dokumentiert seien die halt nicht worden. Man muss also glauben, dass es diese Daten gab und auch, dass sie in irgendeiner Form aussagekräftig waren. Beweise dafür gibt es nicht, denn die Telegram-Kommunikation ist nicht mehr vorhanden. Wobei die Erstellung von Quartalsabschlüssen mittels Screenshot und Telegram bei einem Dax-Konzern schon an sich ein mehr als fragwürdiges Vorgehen wäre.
Das erklärt das Misstrauen, mit dem Födisch von Erffa am letzten Verhandlungstag vor einer vierwöchigen Gerichtspause begegnet. Ab 19. August reserviert er drei Prozesstage für dessen intensive Befragung und kündigt für von Erffa Unangenehmes an. „Ich werde Ihnen weitere Widersprüche vorhalten“, verspricht Födisch. Eigentlich hatte er vom Angeklagten ein Geständnis erwartet und ihm dafür eine auf sechs bis acht Jahre begrenzte Gefängnisstrafe in Aussicht gestellt. Gestanden hat von Erffa aber nicht und sich vielmehr auf die Verteidigungslinie des mitangeklagten und ehemaligen Wirecard-Chefs Markus Braun begeben. Auch der beteuert seine Unschuld und verweist auf andere Täter wie den Kronzeugen Bellenhaus. Die Verteidigungsstrategie von Erffas hat Födisch aber schon jetzt binnen weniger Minuten schwer erschüttert. Eine weitere Demontage könnte folgen. Zu fadenscheinig sind von Erffas Argumente. Einmal hat dieser E-Mails gefälscht, die Wirtschaftsprüfern dann als Beleg für real existierende Geschäfte untergejubelt wurden. Damals habe er geglaubt, dass die Originalbelege nur gerade nicht auffindbar seien, hatte von Erffa erklärt. Heute glaube er, von den wahren Tätern in eine Falle gelockt worden zu sein. Seine Unterschrift unter anderen Dokumenten, die sich mittlerweile als falsch herausgestellt haben, begründet er damit, nicht immer alles genau gelesen oder auf Richtigkeit überprüft zu haben. Selbst aktiv Kontoauszüge gefälscht zu haben, wie es Kronzeuge Bellenhaus sagt, bestreitet von Erffa. Zudem sei er nie wirklich als Buchhalter ausgebildet worden. Das sagt ein Mann, der auch Vize-Finanzvorstand von Wirecard war und jährlich 700 000 Euro Gehalt kassiert hat. Er hat nun vier Wochen Zeit, sich eine andere Verteidigungsstrategie zu überlegen oder doch noch zu gestehen.