So soll das neue deutsche Stromsystem aussehen

von Redaktion

Berlin – Immer mehr Strom aus Wind und Sonne, immer mehr Wärmepumpen und Elektroautos: Das hat Folgen für das Stromsystem. Es sind Reformen notwendig. Nun hat das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium ein umfassendes Papier für ein „Strommarktdesign“ der Zukunft vorgelegt. Ziel sei ein sicheres, bezahlbares und nachhaltiges Stromsystem. Der Umbau kostet Milliardensummen, zum Beispiel für den Ausbau von Stromnetzen sowie für Investitionen etwa in neue Gaskraftwerke.

Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden. Der Anteil des Stromverbrauchs aus Erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne soll bis 2030 auf 80 Prozent steigen. Im ersten Halbjahr dieses Jahres waren es nach Branchenangaben 58 Prozent.

Es beginne nun die Phase, in der es gelingen solle, die Stromversorgung vollständig über Erneuerbare Energien abzudecken, heißt es im Papier aus dem Ministerium von Ressortchef Robert Habeck (Grüne). Es stehe eine „massive Elektrifizierung“ der Energieversorgung im Wärme- und Verkehrssektor an, Kohle, Öl und Gas als fossile Energiequellen sollen endgültig abgelöst werden.

■ Nachfrage soll sich stärker am Angebot orientieren

In dem Papier ist die Rede von einem neuen „Betriebssystem“. Die wetterabhängige, „variable“ Stromerzeugung aus Wind und Photovoltaik (PV) führe zu einem Paradigmenwechsel. „Während früher die Erzeugung der Nachfrage folgte, orientiert sich im dekarbonisierten Stromsystem die Nachfrage stärker am Angebot.“ Große Teile der Nachfrage – zum Beispiel die E-Mobilität oder bestimmte Teile industrieller Prozesse – würden ihren Verbrauch in Zeitfenster mit einem hohen Angebot an Erneuerbaren Energien und niedrigen Preisen legen. „Das Elektroauto wird die Mittagszeit nutzen, wenn das Angebot an PV-Strom hoch ist und das Auto ohnehin steht.“

Es gibt aber Zeiten, in denen kein Wind weht und keine Sonne scheint – die „Dunkelflauten“. Auch in diesen Zeiten soll aber eine sichere Stromversorgung gewährleistet werden. Dazu ist ein „Technologiemix“ geplant, auch um saisonale Schwankungen bei der Erzeugung Erneuerbarer Energien auszugleichen. Zum einen geht es um „flexible Lasten“ wie zum Beispiel Wärmepumpen oder Elektroautos, die ihren Strombedarf im gewissen Maß verschieben könnten. Speicher sollen kurzfristige Schwankungen in der Wind- und PV-Erzeugung ausgleichen. Dazu kommen „steuerbare“ Back-up-Kraftwerke – sie sollen einspringen, wenn Wind und PV sowie Kurzzeit-Speicher nicht ausreichen. Die Bundesregierung arbeitet seit Längerem an einer Strategie zum Bau neuer Gaskraftwerke als Back-ups, denn für Betreiber müssen sich Investitionen lohnen. Für die neuen Gaskraftwerke, die später mit Wasserstoff betrieben werden sollen, ist eine staatliche Förderung geplant.

■ Wettbewerbsansatz für Back-up-Kapazitäten

Bis zum Jahr 2028 soll eine neue Säule des Stromsystems eingeführt werden: ein „Kapazitätsmechanismus“. In dem Papier legte das Ministerium dazu verschiedene, komplexe Modelle vor. Im Kern geht es darum, dass Anbieter dafür honoriert werden, dass sie sogenannte steuerbare Kraftwerkskapazitäten bereitstellen – auch wenn die Kraftwerke möglicherweise nur wenige Stunden im Jahr laufen. Geplant ist ein wettbewerblicher Ansatz unter anderem mit Pumpspeichern, Batteriespeichern, Bioenergieanlagen und Back-up-Kraftwerken.

Ein Kapazitätsmechanismus soll den bisherigen Großhandelsmarkt ergänzen. Basis ist das „Merit-Order“-Prinzip. Dieses besagt im Kern: Immer die kostengünstigsten Kraftwerke erzeugen Strom. Wie genau dieser Mechanismus aussehen soll, ist offen. Bei diesem Mechanismus aber müssten Kosten im Wege einer Umlage auf die Verbraucher umgelegt werden, heißt es im Papier. Auch um eine Umlage zu verringern, favorisiert das Wirtschaftsministerium eine Kombination mit einem „dezentralen Kapazitätsmarkt“. Bei diesem werde Versorgern die Verantwortung übertragen, ihre Stromlieferungen durch Kapazitäten abzusichern. Sie könnten zum Beispiel durch Anreizmodelle den Verbrauch ihrer Kunden in Spitzenlastzeiten mit wenig Wind- und PV-Strom verringern.

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