„Gravierendes Standortproblem“

von Redaktion

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) befürchtet, dass deutsche Autobauer ins Ausland abwandern. Energie müsse billiger, Rohstoffe gesichert und Bürokratie abgebaut werden, forderte VDA-Präsidentin Hildegard Müller. © Frank Hoermann/IMAGO

Osnabrück – Die Autoindustrie sieht angesichts hoher Energiepreise und überbordender Bürokratie die Produktion in Deutschland in Gefahr. „Teilweise können Werke nur hierzulande gehalten werden, weil Geld an Standorten im Ausland verdient wird. Wir haben ein gravierendes Standortproblem“, sagte die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die Jobs in Deutschland könnten nur gehalten werden, wenn Energie billiger werde, Rohstoffe gesichert würden und Bürokratie abgebaut werde.

Stattdessen begebe sich die EU etwa mit dem Lieferkettengesetz auf Sonderwege und türme neue Bürokratie-Hürden auf. „Auch die Bundesregierung muss vom Reden ins Handeln kommen, sonst lässt sich die schleichende Deindustrialisierung nicht mehr stoppen, weil Deutschland bei den Produktionskosten nicht mithalten kann“, warnte Müller. Berlin müsse deutlich mehr Druck auf Brüssel machen, Energiepartnerschaften mit Afrika, dem Nahen Osten und Lateinamerika sowie Handelsabkommen abschließen. „Wir werden nicht daran scheitern, dass wir keine guten Autos mehr bauen. Es geht allein um die Rahmenbedingungen“, so Müller.

Die VDA-Präsidentin forderte auch die Rücknahme der EU-Strafzölle auf chinesische E-Autos. Die Subventionen in China seien zwar eine Herausforderung, aber Strafzölle seien kein geeignetes Mittel für den Schutz der Branche. „Es drohen Gegenmaßnahmen durch China, und eine Protektionismus-Spirale würde Deutschland als Exportnation wohl am härtesten treffen.“ Deutsche Hersteller verkauften in China etwa 100-mal so viele Pkw wie chinesische Marken in Deutschland, betonte Müller im Interview der Zeitung. Die Sorge vor einer E-Auto-Schwemme aus Fernost sei aktuell übertrieben. Die Gespräche, die die EU-Kommission mit Peking führe, müssten intensiviert werden, denn es gebe Lösungsräume.

Außerdem kritisierte Müller das faktische Zulassungsverbot neuer Verbrenner-Autos in der EU ab dem Jahr 2035: Es sei richtig, auf E-Mobilität zu setzen, aber dafür brauche es kein Verbot, sagte Müller. „Wir müssen weg von der schädlichen Verbotsdebatte und hin zu einer Ermöglichungsdebatte.“ Etwa brauche es dringend mehr Ladestationen für E-Autos. Auf EU-Ebene war vor zwei Jahren ein De-facto-Verkaufsverbot für neue Diesel und Benziner ab 2035 beschlossen worden: Die Emissionsgrenzwerte für Neuwagen sinken dann auf ein Niveau, das von Autos mit Verbrennermotor nicht erreicht werden kann. Für die FDP, die Unionsparteien und die AfD war der Widerstand dagegen ein wichtiges Wahlkampfthema zur Europawahl.

Die kürzlich wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ließ jedoch durchblicken, dass sie bis auf eine Ausnahme für Verbrenner, die mit E-Fuels betankt werden, an der bisherigen Regelung festhalten will. Bei E-Fuels handelt es sich um synthetische Kraftstoffe, die mithilfe elektrischer Energie hergestellt werden.

Auch von den Herstellern, etwa von VW-Chef Oliver Blume oder Ford-Aufsichtsratschef in Deutschland, Gunnar Herrmann, kam zuletzt immer wieder die Forderung, die Debatte zugunsten der Planungssicherheit für Unternehmen und Verbraucher ad acta zu legen.

VDA-Präsidentin Müller verwies hingegen auf die im Gesetz zum Verbrenner-Aus vorgesehen Review-Prozesse. In diesem Kontext stelle sie die Frage, ob es zur Erreichung der Klimaschutzziele überhaupt ein Verbrennerverbot brauche. Vielmehr müsse die Versorgung mit grünem Strom gesichert und die Ladenetze ausgebaut werden. Das sei „das Allerwichtigste, um die E-Mobilität hierzulande wieder in Schwung zu bringen“, sagte Müller. „Wenn die Infrastruktur nicht schneller und vorausschauend ausgebaut wird, droht Chaos.“

Die Verkäufe von E-Autos sind in Deutschland seit dem Auslaufen der staatlichen Kaufprämien eingebrochen. Experten führen die Zurückhaltung beim Kauf und wieder steigende Verkaufszahlen von Benzinern und Dieselfahrzeugen allerdings vor allem auf den vergleichsweise hohen Preis von E-Autos zurück. Günstige Kleinwagen als E-Modelle von deutschen und europäischen Herstellern sind bislang Mangelware.
DPA/AFP

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