INTERVIEW

„Die Renditen landen oft in den USA“

von Redaktion

Start-up-Berater spricht über Bayerns Gründerszene und kuriose Geschäftsideen

Carsten Rudolph und BayStart-Up haben seit 2014 rund 5500 Start-ups bei den ersten Schritten geholfen. © Marcus Schlaf

München – Der Name ist nicht weltbekannt, trotzdem sollte man sich nicht täuschen lassen: BayStart-Up hat schon heute milliardenschweren und weltweit tätigen Konzernen wie Flixbus, Air Up oder Celonis auf die Beine geholfen. Entstanden ist BayStart-Up vor genau zehn Jahren aus dem Zusammenschluss zweier Vorgängerorganisationen. Seither hat das unter anderem vom Wirtschaftsministerium und von der LfA Förderbank Bayern unterstützte Non-Profit-Unternehmen gut 5500 Start-ups aus Bayern betreut und über eine halbe Milliarde an Startkapital vermittelt. Ein guter Anlass, um mit Geschäftsführer Carsten Rudolph über kuriose Geschäftsideen, die Gründerszene und den Start-up-Standort München zu reden.

Herr Rudolph, in den letzten zehn Jahren haben Sie rund 5500 Start-ups betreut. Welchen Spruch von Gründern können Sie echt nicht mehr hören?

„Wir haben keine Konkurrenz“. Denn wenn ein Start-up wirklich keine Konkurrenz hat, hat es meist ein Produkt, das kein Mensch braucht.

Und wann merken Sie, dass eine Idee spannend ist?

Puh, schwer zu sagen. Manchmal direkt beim ersten Gespräch. Das war etwa bei Sewts so. Roboter können eigentlich keine weichen Dinge greifen, der von Sewts kann aber sogar Handtücher falten. Da fragt man sich sofort: Warum gibt es das nicht schon lange? Oft sind die Produkte und Lösungen der Gründer aber technisch so komplex, dass es für uns auf den ersten Blick sehr schwer zu beurteilen ist, ob das nur eine Spinnerei oder wirklich ein Durchbruch ist. Wir sind ja nicht überall Experte – auch, wenn wir in den letzten zehn Jahren viele Geschäftsmodelle gesehen haben.

Und dann?

Versuchen wir mit hoffentlich halbwegs schlauen Fragen herauszukitzeln, ob es etwas Neues oder Besonderes an der Lösung oder Idee gibt. Das sehe ich auch als eine unserer großen Aufgaben bei BayStart-Up.

Was macht BayStart-Up genau?

Wir sind einerseits Ausrichter der Businessplan-Wettbewerbe hier in Bayern, bei denen Gründer eine Jury mit ihren Geschäftskonzepten und Produkten überzeugen müssen. Außerdem helfen wir Start-ups bei den ersten Schritten und betreuen Gründer mit innovativen Ideen dabei, ihr Unternehmen aufzustellen und groß zu machen. Dabei vermitteln wir auch Kontakte zu Investoren. Wir machen das alles kostenlos und finanzieren das weitestgehend über unsere Förderer wie das Wirtschaftsministerium Bayern, unsere Partner und Sponsoren sowie Aufträgen aus der Wirtschaft.

Weshalb sind Start-ups so wichtig, dass der Freistaat als Förderer auftritt?

Unternehmensgründungen sind extrem wichtig für einen Standort, um innovativ zu bleiben. Große Konzerne haben gar nicht mehr die nötige Geschwindigkeit, um überall vorne dabei zu sein. Start-ups sind viel quirliger, erkennen Lücken am Markt und können schnell technische Lösungen schaffen. Das erneuert die Wirtschaft – und das ist heute dringender denn je.

Das heißt, wir brauchen die jungen Gründer?

Auf jeden Fall. Wobei man sagen muss: Der typische Gründer ist nicht immer Student und 25. Viele sind zwischen 35 und 45, haben schon eine Karriere in einem Konzern hinter sich und wollen sich nun ihrem eigenen Projekt widmen. Das sind dann sehr häufig technisch getriebene Ideen.

Also nicht immer nur Lieferdienst und E-Scooter?

Absolut nicht. In München gibt es sehr viele technische Gründungen. Beste Beispiele sind Celonis und Flixbus.

Flixbus? Klingt gar nicht so nach moderner Technik.

Bei Flixbus ist das Spannende ja nicht, dass jemand einen Bus mit Passagieren von A nach B fährt. Neu ist die Buchungs- und Logistiksoftware dahinter. Auch bei Celonis geht es um Daten. Das Unternehmen ist in der Öffentlichkeit relativ unbekannt, aber mittlerweile das größte deutsche Start-up mit 3000 Mitarbeitern und weit mehr als zehn Milliarden Euro an Wert. Celonis schaut sich die IT-Systeme von großen Unternehmen auf der ganzen Welt an und macht dort die Prozesse effizienter. Beide wurden in München gegründet und waren auch bei uns.

Ist München ein guter Standort für Gründer?

In Europa gibt es vielleicht in London noch mehr Bewegung, die Stadt ist aber auch größer. In Deutschland ist München neben Berlin aber führend, wir liefern uns mit der Hauptstadt ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Münchner Stärke sind die guten Universitäten und Forschungszentren sowie die vielen großen Konzerne hier. Deshalb sind wir bei industriellen Lösungen oder auch in der Medizintechnik sehr gut aufgestellt. Reactive Robotics baut zum Beispiel ein automatisiertes Bett für Intensivstationen, das Patienten mit einer Robotics-Lösung bewegt und mobilisiert, sodass das nicht mehr die Pfleger machen müssen.

Gibt es bestimmte Trends bei den Gründungen?

KI ist sicher ein Trend, Nachhaltigkeit auch. Aber ich spreche ungern von Trends. Gründer sind besser beraten, wenn sie nicht einem Trend hinterherlaufen, sondern ein Problem in einem Bereich lösen, in dem sie sich gut auskennen. Dabei muss sich übrigens auch nicht immer die erste Idee durchsetzen. Kennen Sie diese Ledermappen in den Hotels, wo wichtige Telefonnummern, Vorschläge für Ausflüge oder Serviceangebote wie Massagen und Wellness drinstehen?

Ja, wieso?

Es gab immer wieder Versuche, die Ledermappen zu digitalisieren. Manche haben es mit iPads auf den Zimmern versucht – war den Hotels zu teuer. Andere haben es mit Apps probiert – wollten sich die Urlauber nicht aufs Handy laden. Erfolgreich war erst Gastfreund aus Kempten, die das als simple Weblösung mit QR-Code angeboten haben, über den man etwa die Sauna reservieren kann. Einfache Lösungen sind eben oft gute Lösungen.

Saßen schon Gründer mit kuriosen Ideen vor Ihnen?

Ja, einige. Ein Unternehmen wollte Eisberge aus der Südsee für die Trinkwasserversorgung nach Afrika ziehen. Die haben das alles genau berechnet, ist aber nichts daraus geworden. Oder kennen Sie Air Up?

Das sind die Flaschen, bei denen Duft-Pods den Leuten vorgaukeln, dass sie statt Wasser zum Beispiel Apfelsaft trinken.

Genau. Die Gründer haben uns den Prototyp als zuckerfreie Alternative zu Softdrinks vorgestellt. Ich hielt das ganz am Anfang für eine fixe Idee – und war beim Probieren dann erstaunt, dass das wirklich funktioniert. Jetzt ist Air Up ein riesiges Unternehmen, an dem Pepsi beteiligt ist. Es ist also manchmal ganz gut, wenn eine Idee etwas aus dem Off kommt.

Es gibt Fernsehsendungen, in denen sich Start-ups um Investoren bewerben können. Das schauen sicher viele Gründer. Kommen die mittlerweile besser vorbereitet zu Ihnen?

Das Niveau ist definitiv höher geworden, das muss man schon sagen. Ob das an der Sendung liegt? Das glaube ich nicht. Ihr Verdienst ist eher, dass sie Aufmerksamkeit für das Thema schafft. Die Gründer wissen aber oft immer noch nicht, wie man erfolgreich ein Unternehmen startet. In unseren Kursen dazu sitzen jedenfalls jedes Jahr mehr als 1000 Teilnehmer.

Start-ups haben wegen der vielen Unsicherheiten schwierige Jahre hinter sich. Wird es jetzt besser?

Das größte Problem in den letzten Jahren kam tatsächlich mit dem Ukraine-Krieg. Seither ist die Stimmung mies und auch Verbraucher und die Abnehmer der Produkte aus der Industrie halten sich zurück. Auch deshalb wollen wir künftig verstärkt industrielle Nutzer mit Start-ups zusammenbringen, die für ihren Bereich wichtig sind, etwa in der Produktion oder in der Logistik.

Es heißt auch oft, dass die Finanzierung schwieriger geworden ist.

Klar, die Investoren stürzen sich nicht mehr auf jede Idee und wollen wissen, ob ein Unternehmen auch überleben kann. Aber Kapital ist eigentlich genug da. Wir haben rund 600 Geldgeber in unserem Netzwerk, die regelmäßig in Start-ups investieren, 400 davon sind vermögende Privatpersonen, denen das auch Spaß macht und die sich einbringen wollen. Kritisch wird es erst, wenn in späteren Phasen wirklich große Geldspritzen von 200 oder 300 Millionen nötig werden. Dann winken die Deutschen ab und es kommen meist Amerikaner ins Spiel. Für die Start-ups ist das egal, volkswirtschaftlich ist es aber problematisch.

Weshalb?

Weil die Renditen aus den Gewinnen der groß gewordenen Unternehmen dann später eben auch in den USA landen statt hier. Bei Flixbus ist unter anderem ein kanadischer Pensionsfonds mit an Bord. Wenn das Unternehmen erfolgreich ist, macht das kanadische Rentner reich. Es wäre natürlich schöner, wenn am Erfolg von Münchener Unternehmen auch mehr Münchner oder zumindest Deutsche oder Europäer beteiligt wären.

Wie ändert man das?

Schwierig. Der Staat tut schon etwas, die Bayern Kapital kann zum Beispiel ab Januar auch Finanzierungsrunden bis 50 Millionen mitgehen. Fakt ist aber: So große Anlagevehikel wie die Pensionsfonds in Nordamerika gibt es bei uns nicht. Auch die Versicherungen und die großen Kapitalsammelstellen investieren aus regulatorischen Gründen nur sehr begrenzt in Start-ups. Die Folge ist dann eben, dass US-Investoren die Lücke füllen und später profitieren, wenn die deutschen Firmen auf dem Weltmarkt durchstarten. Interview: Andreas Höß

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