Mit eigenen Spuren für E-Autos und privilegiertem Zugang zur Innenstand würde man Verbraucher zum Umstieg auf die Elektromobilität bewegen, glaubt Nedeljkovic. © Marcus Schlaf
Milan Nedeljkovic ist für die mehr als 30 BMW-Produktionsstandorte weltweit verantwortlich. Die deutschen Werke seien natürlich profitabel, versichert er. „Wir arbeiten auf Rekordniveau und sind weit davon entfernt, Standorte in Frage zu stellen.“ © BMW
München – Die Autoindustrie steckt in der Krise. Deutschland streitet über das Verbrenner-Aus, Elektroautos werden hierzulande zu Ladenhütern. Gleichzeitig sind die Autofabriken vieler Hersteller kaum ausgelastet, Schichten werden gestrichen, Standorte hinterfragt. Doch wie ist die Lage bei BMW? Und wie sieht man dort die Debatte um die E-Mobilität? Wir haben bei BMW-Produktionsvorstand Milan Nedeljkovic nachgefragt, der für alle BMW-Werke weltweit zuständig ist.
Herr Nedeljkovic, für die Autobranche läuft es nicht rund, auch bei BMW ist der Gewinn gesunken. Bei vielen Herstellern sind die Fabriken nicht ausgelastet. Sie sind für die BMW-Werke zuständig. Wie ist die Lage dort?
Unsere Werke sind gut ausgelastet. Besonders in Deutschland hatten wir in den letzten beiden Jahren stetiges Wachstum. Wir haben aufgrund hoher Nachfrage in unserem Werk in Regensburg die Nachtschicht wieder eingeführt und bereiten das auch in Leipzig vor.
Es gibt also keine Produktionskürzungen in Ihren deutschen Werken?
Wir werden in diesem Jahr mehr als eine Million Autos in Deutschland bauen. Zum Vergleich: 2023 waren es gut 930 000, das Jahr davor 780 000. Wir arbeiten also auf Rekordniveau und sind weit davon entfernt, Standorte infrage zu stellen. BMW investiert gerade viel Geld, um die deutschen Werke fit für die Neue Klasse und die nächste Generation der E-Mobilität zu machen.
Wie viel genau?
Allein in den vergangenen fünf Jahren haben wir rund fünf Milliarden Euro in unsere deutschen Standorte investiert. Im Schnitt also rund eine Milliarde Euro pro Jahr. Ein großer Teil davon floss zum Beispiel in Kompetenzzentren für Batterien und Elektroantriebe, in die Weiterentwicklung unserer Werke und in die Vorbereitung für unsere künftige Batteriefertigung in Straßkirchen.
E-Autos sind auf dem deutschen Markt derzeit eher ein Ladenhüter. Wie hoch wird bei Ihnen 2024 der Elektro-Anteil sein?
Wir erwarten weiter deutliches Wachstum bei der E-Mobilität. In unseren bayerischen Werken wird dieses Jahr jedes dritte Auto, das vom Band läuft, vollelektrisch sein. Daran sieht man, dass das Interesse der Kunden an unseren E-Modellen weiter groß ist. Flexibilität bleibt aber der Kern unserer Produktionsstrategie: Wir bauen E-Autos, Verbrenner und Hybride auf einem Band und können so gut auf die Nachfrage der Kunden reagieren.
Bleibt das so? In München sollen ab 2027 nur noch E-Autos gebaut werden, im neuen Werk in Debrecen künftig auch.
Auch dann können wir weiter innerhalb des Werkeverbundes in Deutschland und weltweit Produktionsvolumen verschieben und reallokieren. So bleibt die Auslastung für die Werke gesichert.
Die Chefin des Autoverbandes VDA meinte vor Kurzem, manche Autobauer müssten ihre deutschen Fabriken mit Erlösen aus anderen Teilen der Welt quersubventionieren. Lohnt es sich für BMW noch, in Deutschland Autos zu bauen?
Unser Ansatz ist, dass die Produktion dem Markt folgt. Von all unseren deutschen Werken aus exportieren wir aber auch in die ganze Welt. Fest steht aber: Im Wettbewerb wird es an unserem Heimatstandort immer schwieriger.
Jetzt haben Sie nicht beantwortet, ob Sie mit in Deutschland gebauten Autos Gewinn machen.
Natürlich sind unsere deutschen Standorte profitabel.
Dennoch läuft die Debatte über den Industriestandort Deutschland auf vollen Touren. Finden Sie das gerechtfertigt?
Deutschland ist ein starker Wirtschaftsraum und Industriestandort, das sollte man nicht pauschal schlechtreden. Unser Land hat viele leistungsbereite und gut ausgebildete Menschen, tolle Forschungseinrichtungen, innovative Zulieferer und einen stabilen rechtlichen Rahmen – diese Pluspunkte darf man nicht unterschätzen. Doch natürlich gibt es in Deutschland auch Probleme. Deshalb ist es manchmal nötig, den Finger in die Wunde zu legen.
Was ist aus Ihrer Sicht das größte Standortproblem?
Wäre es ein isolierter Faktor, könnte man ihn einfacher angehen. Aber es ist eher ein Mix aus Bürokratie, hohen Energiepreisen und hohen Standortkosten. Hinzu kommen Herausforderungen bei der Infrastruktur. Wir brauchen ein solides Straßennetz und eine verlässliche Bahn für den Transport von Waren und Fahrzeugen. Wichtig ist aber auch die digitale Infrastruktur.
Haben Sie den Eindruck, dass die Politik diese Schwachstellen angeht?
Die momentanen Diskussionen legen nahe, dass es Willen zur Veränderung gibt. Aktuell erleben wir jedoch eine Abwanderung von Industriebetrieben, gerade im Mittelstand und bei Zulieferern. Was wir eigentlich bräuchten, wäre genau das Gegenteil, nämlich eine Ansiedelung neuer Technologien mit Zukunftsorientierung und damit eine Basis für nachhaltiges Wachstum.
Und wie sieht es mit der Energieversorgung aus?
Wir decken bereits seit 2020 an allen Standorten unseren Fremdstrombedarf ausschließlich mit regenerativ erzeugtem Strom. Dabei versuchen wir an jedem Standort die lokalen Potenziale zu heben. So nutzen wir zum Beispiel Strom aus Wasserkraft – auch in Bayern. In München schauen wir uns die Möglichkeiten von Geothermie an und in Leipzig untersuchen wir die Nutzung von Wasserstoff, weil es dort eine Pipeline gibt. Umso wichtiger ist es, dass diese Maßnahmen honoriert werden.
Wie meinen Sie das?
Im Moment gibt es in Europa im Rahmen einer neuen Batterieverordnung eine Diskussion, den CO2-Fußabdruck eines Unternehmens aus dem Energiemix des jeweiligen Landes zu berechnen, in dem produziert wird. Unser CO2-Fußabdruck würde dann mit dem Strommix in Deutschland gewertet, Kohlestrom inklusive. Das würde unsere Bilanz auf dem Papier massiv verschlechtern. Insgesamt würden die Unternehmen bestraft, die in den Bezug von Grünstrom investieren. Damit wäre der Anreiz weg, sich um eine möglichst klimaneutrale Produktion zu bemühen. Das ist absolut kontraproduktiv.
Die Bilanzierung von Emissionen ist nicht der einzige Punkt, der in der EU diskutiert wird. Gerade wird auch über das Verbrenner-Aus gestritten. Deutschland will das geplante Verbot wieder abräumen. Was halten Sie davon?
Aus unserer Sicht ist es in diesem Fall sinnvoll, sich noch einmal zu fragen, ob es wirklich realistisch ist, innerhalb weniger Jahre in der EU den kompletten Autoverkehr elektrifizieren zu wollen. Ein Verbot von Neufahrzeugen mit Verbrenner ab 2035 ist in seiner Absolutheit kaum umzusetzen. Das Ziel, möglichst viele E-Autos auf den Straßen zu haben, ist dennoch richtig. Nur wäre das mit Anreizen wohl besser realisierbar.
BMW fordert also wieder staatliche Kaufprämien?
Es geht nicht zwingend um Kaufprämien. Das wäre auf Dauer auch nicht sinnvoll. Es gibt andere Möglichkeiten, um E-Autos attraktiver zu machen: Etwa der privilegierte Zugang zu Innenstädten, kostenlose Parkmöglichkeiten oder eine eigene Spur auf der Autobahn. Würde man im Stau stehend dauernd von E-Autos überholt, würden sich viele sicherlich überlegen, ob sie nicht doch umsteigen.
Zurück zur Standortfrage: Sie hatten gesagt, dass Sie viel Geld in Deutschland investieren. Ihr größtes Projekt ist aber ein neues Werk im ungarischen Debrecen. Wieso dort und nicht in Deutschland?
Wir wollten unser Produktionsnetzwerk in Europa für die nächste Generation von E-Autos erweitern und es stand nie zur Debatte, das neue Werk in Deutschland zu bauen – wir haben ja hier vier Fabriken, drei davon in Bayern. Ungarn stellt große Flächen für Neuansiedelungen zur Verfügung und weil es dort viele Zulieferer, gute Universitäten und eine gute Infrastruktur für die Autoindustrie gibt, haben wir uns für den Standort entschieden.
Ministerpräsident Viktor Orbán hat ein zweifelhaftes Bild vom Rechtstaat. Bereuen Sie den Gang nach Ungarn?
Ungarn ist Teil der europäischen Gesellschaft und seit mehr als 20 Jahren EU-Mitglied. Wir investieren mit unserem Werk langfristig in Europa. Unabhängig von der Tagespolitik.
Sind solche Großprojekte wie in Debrecen in Deutschland überhaupt noch möglich?
Natürlich: Wir haben kürzlich erst ein großes Projekt gestartet, nämlich die Batteriefertigung in Irlbach-Straßkirchen in Niederbayern, wo nun bereits gebaut wird. Große Projekte sind also hierzulande möglich. Trotzdem spürt man in Deutschland eine zunehmende Skepsis gegenüber Industrieansiedelungen. Oft finden gerade die kritischen Stimmen in den Medien starken Widerhall. Das kann einen schon an der gesellschaftlichen Akzeptanz für wirtschaftliche Vorhaben zweifeln lassen.
Auch in Straßkirchen gab es Proteste und einen Volksentscheid. Haben Sie sich darüber geärgert?
Nein. Es gehört dazu, dass die Bürger ihre Sorgen und Zweifel auf den Tisch legen dürfen. Das ist ein wichtiger Teil der Demokratie. Bei Ansiedlungsprojekten ist es wichtig, Bürgerbedenken zu berücksichtigen und in die Diskussion zu gehen. Man muss einander zuhören und aufeinander zugehen. Es sollte nur keine Endlosdebatte mit verhärteten Fronten werden. Dann lieber ein klares Nein.
Gab es in Straßkirchen am Ende aber gar nicht.
Das stimmt. Wir sind dort sehr proaktiv auf die Menschen eingegangen, am Ende haben über 75 Prozent für unser Vorhaben gestimmt. Das zeigt: Stellt man sich der Diskussion und den kritischen Fragen, gibt es sehr oft eine Mehrheit für Industrieprojekte, auch wenn die im Vorfeld eher geschwiegen hat.
Dafür mussten Sie aber sicher Zugeständnisse an die Kritiker vor Ort machen, oder?
Natürlich muss man bei Fragen wie Anbindung, Zufahrtswegen, baulicher Gestaltung oder Ausgleichsflächen Bedenken ausräumen und den Nachbarn entgegenkommen. Man sollte ein Industrieprojekt nicht gegen den Willen der Bevölkerung aufbauen. Der Erfolg eines Unternehmens beruht unter anderem darauf, dass die Anwohner und somit auch die Mitarbeiter vor Ort stolz auf den Standort sind. Interview: Andreas Höß