„Wir können auch Sahara und Tropen“

von Redaktion

Besuch in der Klimakammer der Deutschen Bahn – Wo Hitze und Frost simuliert werden

Ein Stabsensor misst die Verhältnisse im am Platz.

Michael Meister, Prüfleiter bei der DB Systemtechnik.

Ein roter Zug der Baureihe 642, der oft im Nahverkehr zum Einsatz kommt, steht auf dem Prüfstand. © Björn Hartmann (3)

Minden – Was für ein Sommertag. Keine Wolke am Himmel, die Sonne brennt auf die hellgraue Halle in Minden, Westfalen. 30 Grad, T-Shirt-Wetter. Doch der Techniker, der gerade die Tür an der Seite öffnet, trägt wattierte Jacke und lange Hose. Denn im Innern des Gebäudes herrschen Temperaturen wie an einem kalten November-Morgen. Zehn Grad. Und mitten drin steht ein roter Zug der Baureihe 642, wie er auf vielen Strecken im deutschen Nahverkehr unterwegs ist.

„Wir simulieren hier das Aufwärmen des Triebwagens nach einer kalten Herbstnacht in der Abstellanlage“, sagt Michael Meister, Leiter Prüfung Aerodynamik und Klimatechnik bei DB Systemtechnik, im Dämmer der Halle. Offiziell heißt sie Klimakammer, 75 Meter lang, fünf Meter breit und etwa sechs Meter hoch, die Wände zwölf Zentimeter dick und isoliert. Ein Großlabor, in dem ein Triebwagen, zwei Reisezugwagen, eine S-Bahn oder auch eine komplette Straßenbahn unter gleichbleibenden Bedingungen getestet werden können. Und die Anlage ist einmalig in Deutschland.

Die Kammer lässt sich auf 45 Grad aufheizen und auf minus 25 Grad herunterkühlen. Bei Bedarf können die Techniker eine künstliche Sonne aus neun Stadionlampen zu je 2000 Watt anwerfen oder per Dampfleitung die Luftfeuchtigkeit erhöhen. „Wir können nicht nur Skandinavien, wir können auch Sahara und Tropen“, fasst Meister zusammen. Getestet werden nicht nur ganze Züge, sondern auch einzelne Großelemente: Türantriebe zum Beispiel oder Schiebetritte, die seitlich am Zug herausfahren, um den Spalt zwischen Tür und Bahnsteig zu überbrücken.

Im Diesel-Triebwagen ist es nicht nur kalt, sondern auch dunkel. Keine Lampe soll mit ihrer Wärme den Test beeinträchtigen. Über einem blauen Sitz hängt ein Stabsensor. Kabel schlängeln sich am Boden und durch die offene Tür in die Halle. Dort weht es kalt aus großen Rohren herein, blasen Ventilatoren die Luft auf die Motoren unter dem Zug. Über allem brummt die Klimaanlage.

Verglichen werden sollen die beiden Teile des Zuges: „In einer Hälfte haben wir die Wärmeverteilung zwischen dem Motor und der Heizung für den Fahrgastraum leicht verändert, da sollte es für die Fahrgäste jetzt schneller warm werden“ sagt Meister. „Beim Start nach einer kalten Nacht könnte das wertvollen Brennstoff für die Heizung einsparen.“ Biosprit in diesem Fall. In der anderen Hälfte laufen Motor und Heizung zum Vergleich wie üblich.

Zugklimaanlagen testen die Mindener ebenfalls. „Heizmatten simulieren dabei die Körperwärme der Passagiere, Luftbefeuchter die Feuchtigkeitsabgabe, zusätzliche Heizelemente die Sonnenwärme“, erklärt Meister. Und dann wird eingeheizt oder runtergekühlt. Dass die Realität manchmal stärker ist als die Testumgebung, zeigt sich, wenn die Klimaanlagen im echten Zugbetrieb einmal ausfallen.

Die Techniker prüfen nicht nur, ob Heizung oder Kühlung im Zug funktionieren. „Es geht auch um frische Luft im Führerstand, wenn unsere simulierte Sonne darauf brennt“, sagt Meister. „Oder um die Frage, ob der Defroster und der Scheibenwischer das vereiste Fenster des Führerstands in einer vorgegebenen Zeit frei bekommen.“

DB Systemtechnik betreibt nicht nur die Klimakammer. Das Unternehmen beschäftigt sich auch mit Bremsen, Radsätzen, Aerodynamik, Stromabnehmern, Brandschutz. Es ist das Ingenieurbüro des Konzerns Deutsche Bahn und das größte Kompetenzzentrum für Bahntechnik in Europa. Dieses Wissen vermarkten sie auch außerhalb der Deutschen Bahn etwa bei Herstellern und anderen Bahnbetreibern. Insgesamt beschäftigt DB Systemtechnik rund 1100 Mitarbeiter am Hauptsitz Minden, in Kirchmöser westlich von Berlin und in München.

In Deutschland sind die Mindener die einzigen, die komplette Wagen, Lokomotiven und Triebzüge testen können. Noch größer ist nur der Klima-Wind-Kanal des Rail Tec Arsenal in Wien, hinter dem mehrere Zughersteller wie Siemens und Alstom stehen und der 2003 startete. Der Vorgänger lief seit 1961. Dort lassen sich auch heftige Winde simulieren und eine künstliche Sonne kann von der Seite strahlen. Der Testaufbau dauert und ist entsprechend teuer.

Das bot eine Chance. „Wir sahen den Bedarf für eine Klimakammer, die etwas weniger aufwändig ist als der Klima-Wind-Kanal in Wien – und dadurch auch etwas günstiger“, sagt Meister, der das Projekt mit vorangetrieben hat. Seit 2009 ist die Kammer in Minden in Betrieb, 2015 kamen noch einige Meter dazu. „Der Ausbau war kundengetrieben. Die wollten zum Beispiel auch mal zwei Reisezugwagen gleichzeitig testen.“ Je nach Aufwand kostet ein Tag im Mindener Großlabor für Züge derzeit grob zwischen 12 000 und 15 000 Euro.

Vor allem Fahrzeuge aus Deutschland und den europäischen Nachbarländern Frankreich, Niederlande, Österreich, Polen und der Schweiz standen schon in der Kammer. Wobei die Dienste der Mindener auch in anderen Regionen der Welt gefragt sind. „Der indische Waggon, den wir hier zum Test hatten, war ein absoluter Exot“, erinnert sich Meister. Das Fahrzeug kam nicht wie üblich auf der Schiene, sondern per Frachter und Binnenschiff. Die letzten Kilometer überbrückte dann ein Lastwagen.
BJÖRN HARTMANN

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