Was in der Konzernzentrale von Wirecard in Aschheim geschah, wird in einem beispiellosen Gerichtsprozess untersucht. Aktuell steht der einstige Chefbuchhalter Rede und Antwort. Er gibt sich gutgläubig und unschuldig. © CHRISTOF STACHE, dpa
München – Markus Födisch bringt die Dinge gern auf den Punkt. „Verstehe ich es richtig, dass Sie einen vollständigen Freispruch anstreben?“, erkundigt sich der den Wirecard-Betrugsprozess führende Richter. Seine Frage richtet sich nach vier Wochen sommerlicher Verhandlungspause an den dritten Angeklagten. Das ist der Ex-Chefbuchhalter von Wirecard, Stephan von E. Dem hatte der Richter zuvor für den Fall eines Geständnisses eine auf sechs bis acht Jahre begrenzte Haftstrafe in Aussicht gestellt. Allein, das Geständnis, es kam nicht. E. windet sich. Er sei davon ausgegangen, dass bei Wirecard alles mit rechten Dingen zugeht, und habe allenfalls unwissentlich Pflichten verletzt. „Ich erwarte, dass man mir folgt“, fordert der Angeklagte.
Födisch tut das erkennbar nicht und verwickelt den Topmanager, über dessen Tisch jahrelang gefälschte Bilanzen in Serie liefen, in zahlreiche Widersprüche. Wie das denn damals gewesen sei, als er einmal persönlich Belege für Wirtschaftsprüfer gefälscht habe, will Födisch wissen. Dazu muss man wissen, dass große Teile des Wirecard-Geschäfts so gut wie sicher frei erfunden waren und nie wirklich existiert haben.
„Ich habe die Belege nicht gefälscht, sie nur nachträglich erstellt“, versucht E. sich zu verteidigen. Er habe geglaubt, dass die Geschäfte existieren, nur die Belege dafür gerade nicht schnell genug greifbar seien. „Sie sagen nachträglich erstellt, für mich ist das Fälschung“, stellt Födisch klar. Bei anderer Gelegenheit hat der Ex-Chefbuchhalter und frühere Vize-Finanzvorstand mit 750 000 Euro Jahresgehalt Kontostände einfach geschätzt. Auch das hält der Richter ihm vor. Plausibel erklären kann E. das ebenso wenig wie den Kern des Wirecard-Skandals. Denn ein Großteil der Umsätze und über Jahre hinweg der ganze Gewinn ging zumindest auf dem Papier auf Geschäfte mit drei sogenannten Drittpartnern (TPA) in Dubai, Singapur und auf den Philippinen zurück. Die bilanziell relevanten Zahlen für diese alles entscheidenden Geschäfte seien stets verspätet gekommen, weshalb seine Buchhaltung immer unter Zeitdruck gestanden habe, hatten E. und diverse Zeugen erklärt. Födisch ist dabei aber etwas Merkwürdiges aufgefallen.
Als die Quartalszahlen der drei voneinander unabhängigen TPA-Partner verspätet kamen, geschah das immer fast zeitgleich binnen zwei bis drei Tagen. Man konnte praktisch die Uhr danach stellen alle drei Monate über Jahre hinweg. Was denn die Begründung für Verspätungen gewesen sei, will Födisch wissen. Unterschiedlich, sagt E.. Mal sei es ein Feiertag auf den Philippinen gewesen. Warum das verspätete Zahlen aus Dubai oder Singapur erklärt, bohrt Födisch nach. E. schweigt. „Ich verstehe nicht, warum das nicht aufstößt“, insistiert der Richter. Sein Misstrauen ist deutlich spürbar.
Der Richter verwickelt den Angeklagten auch in Widersprüche zu Aussagen, die er früher gegenüber Staatsanwälten gemacht hat. „Wortklauberei“, rechtfertigt sich E. Födisch widerspricht. „Sie versuchen Ihre Aussagen in eine andere Richtung zu drehen“, wirft er ihm vor. Es sei falsch, dass er bei Dritten im Konzern „Wunschzahlen“ bestellt habe, um buchhalterisch Erfolgsbilanzen erstellen zu können, verteidigt sich E. Mit nicht dokumentierten Screenshots angeblicher Geschäftsbelege habe er sich aber schon zufrieden gegeben. „Ich bin gutgläubig“, rechtfertigt sich E. Mehrmals kommt der Manager, der mit dem früheren Wirecard-Chef Markus Braun und dem Kronzeugen Oliver Bellenhaus auf der Anklagebank sitzt, während der mehrstündigen Befragung durch den Richter heftig ins Schwimmen. Seine Rechtsanwältin Sabine Stetter sitzt die ganze Zeit regungslos daneben. Selbst in einer kurzen Unterbrechung nimmt sie ihren Mandanten nicht beratend zur Seite.
Auch die Staatsanwaltschaft und die Verteidiger des Kronzeugen Bellenhaus wollen E. noch befragen. Gemütlich dürfte auch das nicht werden.