VW-Chef Oliver Blume legt sich mit den Arbeitnehmervertretern an. Das bisherige Sparprogramm dürfte seiner Einschätzung nach nicht reichen. Jetzt stehen auch Standorte auf dem Spiel. Beschäftigungsgarantien werden nicht verlängert. © Kappeler, dpa
Wolfsburg – Die Situation bei Europas größtem Autobauer Volkswagen spitzt sich zu. Im Rahmen seines Sparprogramms schließt die Kernmarke VW jetzt auch Werkschließungen und betriebsbedingte Kündigungen nicht länger aus, wie das Unternehmen nach einer Führungskräftetagung mitteilte. Die mit dem Betriebsrat geschlossene Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung werde aufgekündigt. Sie schloss betriebsbedingte Kündigungen bis 2029 aus. Arbeitnehmervertreter zeigten sich entsetzt.
Aus Sicht des Vorstands müsse die Kernmarke VW umfassend restrukturiert werden. „Auch Werkschließungen von fahrzeugproduzierenden und Komponenten-Standorten können in der aktuellen Situation ohne ein schnelles Gegensteuern nicht mehr ausgeschlossen werden.“ Zudem reiche der bisher geplante Stellenabbau durch Altersteilzeit und Abfindungen nicht mehr aus, um die angepeilten Einsparziele zu erreichen.
Gewerkschaft und Betriebsrat kündigten umgehend massiven Widerstand an. Die Pläne seien „ein Angriff auf unsere Beschäftigung, Standorte und Tarifverträge“, erklärte VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo. „Dagegen werden wir uns erbittert zur Wehr setzen. Mit mir wird es keine VW-Standortschließungen geben!“ Niedersachsens IG-Metall-Bezirksleiter Thorsten Gröger sprach von einem „unverantwortlichen Plan“, der die „Grundfesten von Volkswagen erschüttert“.
Konkrete Zahlen, wie viele der rund 120 000 Stellen in Deutschland wegfallen könnten, nannte VW auf Nachfrage bisher nicht. Auch zu möglichen Standorten, die geschlossen werden könnten, gab es noch keine Angaben. Nach Angaben des Betriebsrats hält der Markenvorstand aber mindestens ein Fahrzeugwerk und eine Komponentenfabrik in Deutschland für entbehrlich.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil forderte VW auf, Standortschließungen zu vermeiden. Dass bei VW Handlungsbedarf bestehe, sei unstreitig, sagte der SPD-Politiker, der auch im VW-Aufsichtsrat sitzt. VW müsse aber zunächst alle anderen Möglichkeiten zur Kostensenkung prüfen. „Dabei erwarten wir, dass sich die Frage einer Schließung von Standorten durch die erfolgreiche Nutzung von Alternativen schlichtweg nicht stellt.“
Die letzte Schließung eines Produktionsstandorts liegt bei VW mehr als 30 Jahre zurück: 1988 hatte VW seine Fabrik in Westmoreland in den USA dichtgemacht. In Deutschland wurde noch nie ein VW-Werk geschlossen. Neben dem Stammwerk in Wolfsburg unterhält VW Fabriken in Hannover, Emden, Osnabrück, Braunschweig, Salzgitter, Kassel, Zwickau, Dresden und Chemnitz. Die Tochter Audi hatte jüngst bereits ihr Werk in Brüssel auf den Prüfstand gestellt.
Konzernchef Oliver Blume begründete den Kurs mit der sich zuspitzenden Lage. „Die europäische Automobilindustrie befindet sich in einer sehr anspruchsvollen und ernsten Lage. Das wirtschaftliche Umfeld hat sich nochmals verschärft“, sagte er laut Mitteilung. Um die angepeilten Ergebnisverbesserungen von zehn Milliarden Euro bis 2026 zu erreichen, müssten die Kosten nun stärker als bisher geplant sinken. „Der Gegenwind ist deutlich stärker geworden“, sagte Markenchef Thomas Schäfer. „Wir müssen deshalb jetzt noch mal nachlegen und die Voraussetzungen schaffen, um langfristig erfolgreich zu sein.“ Laut „Handelsblatt“ geht es um bis zu vier Milliarden Euro, die zusätzlich eingespart werden müssen.
Die Kernmarke Volkswagen hat seit Jahren mit hohen Kosten zu kämpfen und liegt bei der Rendite weit hinter Konzernschwestern wie Skoda, Seat und Audi zurück. Ein 2023 aufgelegtes Sparprogramm sollte hier die Wende bringen, das Ergebnis bis 2026 um zehn Milliarden Euro verbessern.
FRANK JOHANNSEN