Ökonomen warnen vor Rettungsmaßnahmen

von Redaktion

30 Jahre lang war die Schließung ganzer VW-Standorte ein Tabu. Das hat sich jetzt geändert. Die Verunsicherung in der Belegschaft ist groß. © Julian Stratenschulte, dpa

Wolfsburg – Während in Braunschweig der einstige VW-Boss Martin Winterkorn vor Gericht steht, bereitet man sich bei Volkswagen in Wolfsburg auf eine turbulente Betriebsversammlung vor. Nach der Ankündigung vom Montag, Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen nicht länger auszuschließen, muss sich der Vorstand am heutigen Mittwoch den Fragen der Mitarbeiter stellen.

Betriebsratschefin Daniela Cavallo rechnet bei der Betriebsversammlung mit deutlichen Unmutsbekundungen. „Die Belegschaft ist aktuell natürlich sehr verunsichert.“ Und das werde sie am Mittwoch auch deutlich machen, wenn Markenchef Thomas Schäfer im Beisein von Konzernboss Oliver Blume aufs Podium trete.

Zuspruch kam dagegen von Wirtschaftsexperten. „Die angekündigten Maßnahmen sind überfällig, um eine Trendwende einzuleiten und eine Krise zu verhindern“, sagte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Branchenexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach sprach von einem notwendigen Weckruf. Ohne einschneidende Maßnahmen drohe Volkswagen, in einigen Jahren zum Sanierungsfall zu werden. „Die Situation ist noch im Griff, aber in wenigen Jahren kann das Ganze existenzgefährdend werden.“ Dem müsse man nun vorbeugen. „Und das geht nicht mit Samthandschuhen.“

Europas größter Autobauer hatte am Montag angekündigt, angesichts der sich zuspitzenden Lage den bisher eingeschlagenen Sparkurs bei der Kernmarke Volkswagen noch einmal zu verschärfen. Die mit dem Betriebsrat geschlossene Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung bis 2029 soll nach 30 Jahren aufgekündigt werden, die Schließung ganzer Standorte in Deutschland nicht länger ein Tabu sein.

Gewerkschaft und Betriebsrat kündigen umgehend massiven Widerstand an. IG-Metall-Bezirksleiter Thorsten Gröger sprach von einem „unverantwortlichen Plan“, der die „Grundfesten von Volkswagen erschüttert“.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erklärte mit Blick auf die VW-Krise: Entscheidungen müssten in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern erfolgen und das Ziel im Blick behalten, dass Deutschland ein starker Automobilstandort bleibe. Aktuell bereite man weitere Steuererleichterungen für E-Autos im Rahmen der Wachstumsinitiative vor, erklärte Habeck am Dienstag. Aus Kreisen des Wirtschaftsministeriums verlautete, das Kabinett wolle bereits am Mittwoch darüber beraten.

Führende Ökonomen warnten die Politik davor, jetzt mit gezielten Rettungsmaßnahmen gegen drohende Werksschließungen anzugehen. „Die Politik sollte sich bei dieser Erneuerung heraushalten und darf nicht den Fehler begehen, alte Strukturen zu zementieren und die notwendige Transformation zu behindern“, betonte DIW-Präsident Fratzscher. „Die fehlende Zukunftsfähigkeit Volkswagens ist primär das Resultat eigener Fehlentscheidungen und nicht die Verantwortung der Politik.“ Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm warnte vor direkten staatlichen Eingriffen. Zwar habe der Staat durchaus eine Rolle, wenn es darum gehe, den Strukturwandel zu begleiten. „Direkt die Automobilindustrie zu retten, halte ich aber nicht für den richtigen Weg“, sagte sie der „Rheinischen Post“.

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