Das Baywa-Hochhaus in München: Im Firmensitz am Arabellapark gehen die Banker und Sanierer gerade ein und aus. Der Aktienkurs dümpelt bei zehn Euro herum, früher waren es fast 50. © Andreas Gebert/Picture Alliance
München – Keine neuen Negativnachrichten, keine Schlagzeilen, keine Schlammschlacht – die vergangene Woche war für die Baywa, zumindest verglichen mit der jüngsten Vergangenheit außergewöhnlich ruhig. Doch nun warten Tage der Entscheidung: Am Montag fliegen die Münchner aus dem SDax, am Freitag legt die Baywa verspätet die endgültigen Zahlen für das erste Halbjahr vor und bis Ende des Monats soll auch das für die Zukunft wegweisende Sanierungsgutachten vorliegen, von dem Banken abhängig machen, ob die Baywa weiter kreditwürdig ist. Gleichzeitig läuft eine 550 Millionen Euro schwere Notfall-Finanzierung aus, die Banken und die Großaktionäre aufgelegt hatten, um das Überleben des Agrarriesen bis Oktober zu sichern. Für die Baywa geht es in den kommenden Tagen also um die Zukunft.
Wie aus einem soliden Traditionsunternehmen ein Konzern im Überlebenskampf werden konnte, wird seit Wochen rauf und runter diskutiert: Klaus Josef Lutz, der das Unternehmen von 2008 bis 2023 geleitet hatte, machte die Baywa mit schuldenfinanzierten Zukäufen vom Agrarhändler zum Weltkonzern, der unter anderem weltweit Solarparks projektiert und Apfelplantagen in Neuseeland unterhält. Seinem Nachfolger Marcus Pöllinger fiel mit den gestiegenen Zinsen nun auf die Füße, dass für die unter Lutz aufgetürmten knapp sechs Milliarden Euro an Verbindlichkeiten jetzt hunderte Millionen Euro an Zinszahlungen anfallen. Das drückte die Baywa 2023 erstmals in ihrer langen Geschichte in die roten Zahlen. Der Verlust sowie ein interner Machtkampf und ein tapsiges Liquiditätsmanagement von Pöllinger und seinem Finanzchef Andreas Helber sorgten für große Unsicherheit bei Geldgebern. Das führte die Baywa im Sommer an den Rand der Pleite. Die Aktie stürzte ab, die Dividende wurde gestrichen, ein Sanierungsgutachten beauftragt und mit Michael Bauer wurde ein externer Sanierer eingesetzt. Ohne ihn und die Banken geht am Firmensitz an der Arabellastraße jetzt nichts mehr.
Die Baywa will die Baywa r.e. loswerden
Hinter den Kulissen diskutieren Pöllinger und Bauer schon seit Wochen, welche Baywa-Geschäfte noch erhalten bleiben sollen – und welche nicht. Dabei scheint seit Längerem klar, dass vor allem der Bereich für Erneuerbare Energien ein Millionengrab ist: die Baywa r.e. Sie handelt mit Solarmodulen, plant und errichtet Ladeinfrastruktur, baut aber auch im großen Stil weltweit Solar- und Windparks. Die Baywa r.e. ist im Zuge des Expansionskurses unter Lutz ungebremst gewachsen, hat heute mehr als 5000 Mitarbeiter und ist in 34 Ländern tätig. Und weil die Baywa für die Zwischenfinanzierung der Solarparks wie eine Bank für die 51-prozentige Tochter fungiert, waren dort zum Jahresende 3,7 Milliarden Euro an Kapital gebunden. Angesichts der gestiegenen Zinsen ein doppeltes Problem: Einerseits ächzt die Baywa unter den Finanzierungen. Andererseits lassen sich Energieparks nicht mehr so einfach zu Geld machen wie in der Nullzinszeit, als Großanleger in jedes Projekt investierten, das ein paar Prozent Rendite versprach. Hinzu kommt, dass China mit Dumping-Modulen den Markt flutet und die Preise zerstört. All das lastet auf dem Geschäft der Baywa r.e..
Kenner des Unternehmens gehen deshalb davon aus, dass die Solar- und Windsparte derzeit mit Abstand der größte Verlustbringer ist, während es etwa beim Handel mit Getreide oder Landmaschinen gar nicht so schlecht läuft Dass die verheerende Geschäftsentwicklung der Baywa r.e. im Laufe des Jahres nur scheibchenweise an die Baywa weitergegeben worden sei, hat Pöllinger offenbar in die Verlegenheit gebracht, dass er noch bei der Baywa-Hauptversammlung im Juni eine schnelle Besserung angekündigt hatte, die er dann doch kassieren musste. Die Rede ist davon, dass ein von der Baywa r.e. in Aussicht gestellter sehr hoher Millionenbeitrag beim Gewinn ausblieb. Ob das stimmt, ist unklar. Fakt ist aber, dass die Finanzchefin der Baywa r.e., Mihaela Seidl, im Juli mit sofortiger Wirkung zurücktrat. Insider berichten zudem, dass der Stuhl von Matthias Taft, der die Tochtergesellschaft leitet, bedenklich wackelt. Angesichts des schnellen Wachstums der Baywa r.e. habe er den Überblick über die Finanzen völlig verloren: „Taft steht lieber mit einer Jacke von North Face unter einem Windrad, als sich mit Zahlen zu beschäftigen“, heißt es.
In der Branche gilt es als sicher, dass Pöllinger die Beteiligung an der Baywa r.e. loswerden möchte. Schon bei der Hauptversammlung hatte er den Verkauf von Geschäftsteilen angekündigt und folgende Devise ausgegeben: „Jede Einheit muss künftig für sich profitabel sein.“ Die Baywa r.e.. ist das derzeit nicht. Früher war geplant, den Handel mit Solarmodulen bis 2025 loszuwerden, doch der passe besser zum Geschäft des Handelshauses als der Bau von Solar- und Windparks, die nun weg sollen, heißt es aus Konzernkreisen. Im Sommer wollte die Baywa ihre Mehrheit an der Tochter an Energy Infrastructure Partners (EIP) aus der Schweiz verkaufen, die bereits 49 Prozent der Baywa r.e. besitzen und sich als Minderheitsaktionär nicht an den Finanzierungen für die Energieparks beteiligen. Wäre der Verkauf gelungen, wäre die Eigenkapitalquote der Baywa schlagartig angestiegen und hätte sich die Finanzsituation deutlich verbessert. Doch wegen der akuten Schieflage der Baywa platzte das Geschäft.
Es stehen harte Sparmaßnahmen an
Doch die Baywa hegt wohl weiter Verkaufsabsichten für die Baywa r.e. – obwohl Interessenten von der Finanznot der Baywa wissen, was den Preis drücken dürfte. Und es ist gut möglich, dass auch das für Ende September angekündigte externe Sanierungsgutachten der Unternehmensberatung Roland Berger fordert, die kapitalintensive und verlustbringende Tochter abzustoßen. In der Branche wird außerdem spekuliert, welche weiteren Verkäufe im Gutachten empfohlen werden. Manche können sich gut vorstellen, dass unter anderem der 2012 erworbene neuseeländische Apfelhändler Turners & Growers zur Disposition steht, bei dem es Probleme gibt, weil ein Sturm die Apfelplantagen des Unternehmens verwüstete.
Um Kosten zu reduzieren, dürfte auch die Entlassung hunderter Mitarbeiter ein zentraler Punkt des Gutachtens sein. Die Baywa-Führung hat die Angestellten laut einem Medienbericht schon auf einen Stellenabbau vorbereitet. Läuft die Zwischenfinanzierung Ende des Monats aus, könnte es zudem gut sein, dass die Baywa und die Banken doch noch auf eine Garantie oder andere Beteiligung des Freistaates drängen, um wieder längerfristig planen zu können. Immerhin gilt das Haus als systemrelevant für die bayerische Landwirtschaft. Konkretes gibt es bisher jedoch nicht. Das Sanierungsgutachten soll zunächst auch nicht öffentlich werden.
Der Börsenwert der Baywa ist am Boden
Mehr Klarheit wird es am Freitag bei der Vorlage der endgültigen Zahlen zum Halbjahr geben. Die Verkündung war verschoben worden, weil sich eine Impairment-Überprüfung verzögert hatte. Dabei geht es um die Bewertung der mehr als 500 Baywa-Beteiligungen Beteiligungen, darunter die riesige Baywa r.e., die in massiven Problemen steckt. In der damaligen Ad-hoc-Meldung wird auch auf die Auswirkungen des Kursabsturzes der Baywa-Aktie verwiesen, die in den letzten zwölf Monaten um zwei Drittel eingebrochen ist.
Die schon Mitte 2022 und damit noch unter dem Pöllinger-Vorgänger Lutz begonnene Talfahrt ist Ausdruck des riesigen Vertrauensverlusts der Investoren in die Baywa. Der massive Wertverlust ist auch der Grund, weshalb die Aktie am Montag aus dem SDax fliegt. 2004 hatte der damalige Baywa-Chef Wolfgang Deml das Münchner Traditionshaus in den Index geführt und trotz des Expansionskurses unter Lutz hat die Baywa später nie in eine höhere Börsenliga erreicht. Sie blieb trotz Weltkonzern-Plänen 20 Jahre lang ein Nebenwert. Nun kommt ist auch dieser Status weg: Die Baywa mit ihren mehr als 20 Milliarden Euro Jahresumsatz ist an der Börse noch mickrige 390 Millionen Euro wert, einst waren es zwei Milliarden. Weil auch noch der Streubesitz gering ist, reicht das nicht einmal mehr für den Nebenwerteindex.