„Rentiert sich nach neun Monaten“

von Redaktion

Tennet-Geschäftsführer über Kosten und Chancen der neuen Übertragungs-Stromleitungen

…Freileitungen wären aber um Faktoren günstiger © Melissa Erichsen/dpa

Übertragungsleitungen müssen aber seit den „Monstertrassen“-Protesten 2014/15 bevorzugt als Erdkabel verlegt werden… © dpa

Im Norden Deutschlands gibt es Windstrom im Überfluss, im Süden Industrie mit großem Bedarf. Weil es an Übertragungsleitungen fehlt, kommt das Angebot aber nicht zur Nachfrage. Im sogenannten Redispatch müssen die Netzbetreiber den Markt reparieren: Die nicht transportable Windkraft im Norden wird abgeregelt und die Betreiber entschädigt. Gleichzeitig werden im Süden teure fossile Kraftwerke hochgefahren, um dort die Nachfrage zu decken. Die Kosten werden auf die Netzentgelte umgelegt. Die Firma Tennet baut leistungsstarke Stromleitungen, die das Problem beheben sollen. Im Interview spricht Geschäftsführer Tim Meyerjürgens über Kosten und Sparpotenziale des Großprojekts.

Herr Meyerjürgens, die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber wollen in den kommenden zehn Jahren 320 Milliarden Euro investieren, um Süd- mit Norddeutschland zu verbinden. Wie sehr belastet das die Stromkunden – und lohnt sich das?

Die Netzentgelte sind heute wesentlich von den Redispatch-Kosten getrieben, also den Kosten, die entstehen, weil die Netze fehlen. 2023 hatten die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber über drei Milliarden Euro an Redispatch-Kosten, die eins-zu-eins in die Netznutzungsentgelte der Verbraucher eingehen. Wir als Tennet haben im gleichen Zeitraum vier Milliarden Euro in den Netzausbau investiert, das ist die beste Maßnahme gegen den Redispatch. Die Kosten werden auf 40 Jahre abgeschrieben, gehen also, anders als die Redispatchkosten, nur zu einem Vierzigstel in die jährlichen Netzentgelte ein. Ich erwarte, dass die Kosten für Verbraucher – bei den Übertragungsnetzentgelten sprechen wir von rund zwei Cent die Kilowattstunde – mittelfristig etwas steigen werden, langfristig durch die Einsparungen aber wieder sinken.

Die EU droht, den Stromhandel an die physischen Gegebenheiten anzupassen, also den Markt zu teilen. Das würde höhere Stromkosten in Bayern bedeuten. Bauen Sie die Netze schnell genug?

Wir bauen die Netze so schnell aus, wie wir können, weil das große Ziel ist, Redispatch-Kosten zu senken. Ein Preiszonensplit wäre eine technische Maßnahme, die den Redispatch senken kann, weil die Investitionen den Strompreisen folgen. Die Umsetzung würde aber Jahre dauern. Unsere Stromleitungen Suedostlink und Suedlink werden 2027 und 2028 fertig und werden den Redispatch-Bedarf mit insgesamt acht Gigawatt Leistung deutlich senken.

Reicht das, um den Preiszonensplit zu verhindern?

Ein Preiszonensplit würde Jahre brauchen, bis er wirkt. Und bis dahin sind die Netze da.

Gerade in Bayern waren die Stromleitungen nur durchsetzbar, weil sie nun unterirdisch verlegt werden. Das kostet ein Vielfaches der damals „Monstertrassen“ genannten Freileitungen. Ist das nicht viel zu teuer?

Solange das Gesetz besagt, dass Gleichstromleitungen als Erdkabel verlegt werden, können wir nur bauen, was politisch vorgegeben wird. Freileitungen sind deutlich günstiger, deswegen haben wir der Bundesregierung vorgeschlagen, einige der neuen Gleichstromkorridore als Freileitung zu bauen. Das macht aber nur Sinn, wenn wir die Genehmigungsunterlagen noch nicht vorbereitet haben, sonst verzögert sich der Bau enorm. Grundsätzlich können wir aber nicht sagen, dass der Prozess durch die Erdkabel schneller geworden ist. Wir haben den Konflikt nur verlagert: Von einer Allgemeinheit, die sich am Anblick der Freileitungen stört, zu den Landwirten, die keinen Eingriff in ihre Bodenstruktur wollen.

Wenn die Erdkabel so teuer sind – lohnt sich der Bau dann überhaupt noch?

Nehmen wir unsere neue Leitung Ganderkesee–St. Hülfe in Niedersachsen. Die läuft über 60 Kilometer teilweise als Freileitung und teilweise erdverkabelt und hat im ersten Betriebsjahr 500 Millionen Euro Redispatch eingespart. Spätestens nach zwei Jahren hat sich so eine Leitung amortisiert, egal ob ich Kabel oder Freileitung benutze. Wir investieren aber auch in innovative Mittel der Netzsteuerung. Im Umspannwerk Würgau bei Bamberg setzen wir seit 2022 Phasenschiebertransformatoren ein, mit denen wir Stromflüsse intelligenter steuern können. Diese haben 120 Millionen Euro gekostet, haben sich für die Netzkunden aber nach neun Monaten rentiert und senken jetzt dauerhaft die Kosten. Unser Ziel ist ja nicht möglichst viel Netz zu bauen, sondern das Netz möglichst effizient zu nutzen.

Gerade lange Leitungen dürften aber länger brauchen, um sich zu rechnen, das wird auf die Netzentgelte umgelegt. Wie könnten wir heute sparen?

Das größte Potenzial sehe ich bei Offshore-Windenergie. Die Bundesregierung hat das Ziel vorgegeben, 70 Gigawatt Windkraftleistung auf dem Meer zu installieren. Bei der begrenzten deutschen Seefläche werden die Windräder aber am Ende so eng stehen, dass sie sich gegenseitig den Wind nehmen. Dadurch könnte die Zahl der Volllaststunden von 4500 Stunden pro Jahr auf 2500 sinken. Das bedeutet: Sowohl die Windräder als auch unsere Kabel sind schlechter ausgelastet, der Strom wird teurer. Ich würde deshalb bevorzugen, dass wir kein fixes Kapazitätsziel vorgeben, sondern die Menge an Windenergie, die wir jedes Jahr erzeugen wollen. Dann würden die Anlagen so platziert werden, dass sie möglichst effizient sind, und wir könnten deutliche Einsparungen erzielen, ohne die Klimaschutzziele in Frage zu stellen.

Wie groß ist das Problem?

Allein im Tennet-Netz gehen die Hälfte unserer Investitionen in den Offshore-Ausbau. Ich schätze das Sparpotenzial auf Netzseite auf einen zweistelligen Milliardenbetrag, bei gleichem Energieertrag. Die Einsparung aufseiten der Windparkbetreiber ist da noch nicht dabei.

Wie können wir den Netzausbau jetzt noch beschleunigen?

Die Bundesregierung hat in den vergangenen zwei Jahren schon viele gute Entscheidungen getroffen, die wirken sich jetzt aus. Der nördliche Abschnitt der Fulda–Main-Leitung kommt jetzt zwei Jahre früher als geplant. Ähnliche Effekte sehen wir bei der Ostküstenleitung. Großen Bedarf sehe ich aber bei der Genehmigung von Schwerlasttransporten, das geht zu langsam. Das betrifft nicht nur uns, sondern auch andere Netzbetreiber und viele Projektierer von Erneuerbaren Energien.

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