Spatenstich: OB Dieter Reiter und Wirtschaftsminister Robert Habeck im Michaelibad. © Marcus Schlaf
Der rechte weiße Block wird den Wärmetauscher beherbergen. Das Freibad (links) soll während der Bauphase nutzbar bleiben.
München – Dort, wo sich im Sommer auf der Wiese des Michaeli-Freibads die Münchner sonnen, soll die leistungsstärkste Geothermieanlage Kontinentaleurpas entstehen. Die Stadtwerke München (SWM) wollen allein mit dieser Bohrung 75 000 Menschen aus ihrem Fernwärmenetz versorgen. Dementsprechend gut gelaunt zeigte sich Stadtwerke-Chef Florian Bieberbach: „Man könnte mit dieser Anlage eine ganze Kleinstadt versorgen.“
Die SWM sind nach eigenen Angaben der erste und größte Geothermiebetreiber Deutschlands. Die Anlage im Michaelibad wird die siebte im Münchner Netz. Hier gibt es optimale Bedingungen für die Technologie: Knapp 3000 Meter und der Landeshauptstadt verläuft eine Schicht porösen Kalkgesteins, die mit Wasser gefüllt ist. In dieser Tiefe herrschen rund 100 Grad Celsius. Das Thermalwasser wird in einem geschlossenen System an die Oberfläche gepumpt. Dort übergibt das Tiefenwasser seine Energie über einen Wärmetauscher an das Wasser im Fernwärmenetz. Danach geht das Thermalwasser mit rund 42 Grad zurück in die Erde. Im Michaelibad wird zusätzlich eine Großwärmepumpe installiert, um die Ausbeute zu erhöhen.
Erste Bohrungen sollen in einem Jahr beginnen, fertig sein soll die Anlage 2033. Der „Grad der Begeisterung hält sich bei der Bevölkerung natürlich in Grenzen“, sagte Oberbürgermeister und SWM-Aufsichtsratschef Dieter Reiter. Dass die optimale Bohrstelle mitten in der Stadt liege, mache den Bau weder günstiger noch schneller: „Es ist sehr aufwendig, es kostet viel Geld, aber es ist notwendig“, so Reiter. Denn 2040 soll die Stadt klimaneutral sein, fünf Jahre vor dem Bund. Zwei Drittel der Haushalte sollen dann mit Fernwärme beheizt werden, großteils aus Geothermie. Die Kosten für die Umstellung: 9,5 Milliarden Euro. „Das kann auch eine Stadt wie München nicht alleine stemmen“, so Reiter. Möglich gemacht habe eine Förderung des Bundes die Anlage: „Wir teilen die Ziele der Bundesregierung, was die Energie- und Wärmeziele angeht“, sagte Reiter in Richtung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der zum Spatenstich angereist war.
Dieser sieht ein Vorzeigeprojekt: „Der Schatz unter unseren Füßen wird gehoben und die Versorgung damit sichergestellt.“ Wären alle Städte so schnell wie München, wäre man heute mit der Wärmewende deutlich weiter. Und die Zeit dränge: „Wir hatten in Deutschland den Konsens, der auch von der Großen Koalition so beschlossen wurde: Wir wollen 2045 klimaneutral sein. Das ist in 20 Jahren. Wer weiß, wie lange so eine Baustelle dauert, der weiß auch: Politisch ist das quasi morgen.“ Habeck selbst hatte in der Vergangenheit viel Kritik einstecken müssen, weil manche sein Heizungsgesetz als überhastet empfanden. „Wir müssen die Projekte jetzt deutlich schneller voranbringen oder unsere Klimaziele einkassieren.“ In der Geothermie sieht Habeck großes Potenzial: 25 Prozent der Heizenergie Deutschlands könne die Technologie bereitstellen.
Der Grünen-Politiker pocht deshalb auf schnellere Genehmigungsverfahren. Wenn Deutschland – wie geplant – bis 2045 klimaneutral werden wolle, müssten Bauprojekte und ihre Planung schneller umgesetzt werden, betonte Habeck. Dabei dürfe man nicht die Standards senken und den Schutz von Grundwasser oder im Falle von Windrädern Vögeln und Fledermäusen außer Acht lassen. Doch mit geschickterem Vorgehen bei den Genehmigungen könne man die Planung um den Faktor fünf beschleunigen, betonte er. Mit den Beschleunigungsgesetzen für Stromnetze habe die Bundesregierung das gezeigt.
Finanzierung für neue Projekte unklar
Es bleibt die Frage nach der Finanzierung. SWM-Chef Bieberbach sagte unserer Zeitung dazu: „Die Finanzierung für die Anlage im Michaelibad ist fast vollständig gesichert. Die Fördermittel sind aber begrenzt, und wenn jetzt mehr Anträge gestellt werden wird es für alle neuen Projekte nicht reichen.“ Bieberbach schätzt, dass die SWM für ihre ehrgeizigen Ziele rund zehn weitere Anlagen brauchen werden. SWM-Chef und Oberbürgermeister appellierten deshalb beide an Habeck, für weitere Gelder zu werben: „Kämpfen Sie gegen den Bundesfinanzminister, ich wünsche Ihnen alles Glück dabei“, so Reiter.
Dabei ist besonders Oberbayern hervorragend für dafür geeignet. Die wasserleitende Kalkschicht beginnt auf Höhe Kehlheims und senkt sich Richtung Alpen immer weiter ab. Je weiter südlich, desto heißer. Doch besonders für kleine Kommunen ist Geothermie heute nicht umsetzbar, sagte der Grünen-Politiker Ludwig Hartmann. Er sieht den Freistaat in der Pflicht: „Das Ausfallrisiko bei Geothermiebohrungen ist gering, aber vorhanden“ Und eine kleine Kommune könnte das nicht verkraften. „Wir brauchen einen Sicherungsfonds, der das Risiko auf mehrere starke Schultern verteilt. Der Freistaat bürgt für X Sachen, warum nicht für die Wärme seiner Bürger?“ Hartmann spricht sich auch für Fördergelder aus: „Der Bund schießt heute 40 Prozent zu den Nahwärmenetzen zu. Es wäre eine große Hilfe, wenn der Freistaat nochmal 20 Prozentpunkte dazugeben würde.“
Eile wäre geboten: Ab 2027, so das EU-Recht, müssen auch Kraft- und Heizstoffe für Privatverbraucher in den europäischen CO2-Handel integriert werden. Das bedeutet: Fossile Energie wird auf jeden Fall sukzessive teurer, möglicherweise schnell. Das betrifft Erdgas, Heizöl, aber auch Abwärme aus Gaskraftwerken und Müllverbrennung. Geothermie als CO2-freie Energiequelle ist nicht betroffen.
Fragt man Florian Bieberbach, wie teuer der milliardenschwere Geothermieausbau seine Kunden kommt, beruhigt er: „Ich erwarte, dass die Fernwärmepreise ungefähr auf heutigem Niveau bleiben werden, aber stabiler sind. Man darf ja nicht vergessen: Auch die Kraft-Wärmekopplung mit Gaskraftwerken kostet Geld.“ Derzeit rufen die Stadtwerke im Stadtgebiet 15,78 Cent pro Kilowattstunde Fernwärme auf.